Balsam für die gequälte Fürther Seele

4.2.2013, 06:59 Uhr
Balsam für die gequälte Fürther Seele

© Sportfoto Zink

In diesem Moment fiel aller Kummer, fielen alle Zweifel ab: Ersatzspieler, Sportlicher Leiter, Betreuer und — natürlich — Trainer Mike Büskens scherten sich weder um Regeln noch um ihre am Spielfeldrand erkaltete Muskulatur und sprinteten einfach los. Mann für Mann warf sich mit entrücktem Blick auf die orange-grüne Jubeltraube im Strafraum der Schalker. Dass nach 92 spannenden Minuten noch etwa zehn Sekunden zu spielen waren – egal; dass Nikola Djurdjic noch die Gelbe Karte erhielt, weil er sich das Trikot vom Leib gerissen hatte – auch egal; dass der Torschütze im Abseits gestanden hatte – na und.

Sage und schreibe 17 Spieltage hatte die Spielvereinigung Greuther Fürth das süße Gefühl des Sieges entbehren müssen. Noch vor einer Woche, beim 0:3 gegen Mainz 05, wirkten die Fürther Bundesligafußballer vor Verunsicherung wie gelähmt. Der Abstieg schien besiegelt. Der Trainer stand vor seiner Entlassung. Doch ausgerechnet jetzt, in schier aussichtsloser Situation, schafften Büskens und sein Team mit dem 2:1-Sieg auf Schalke den lang ersehnten Befreiungsschlag.

Gerald Asamoah, Ex-Nationalspieler, Ex-Schalker und bis zum Samstag eigentlich auch Ex-Stammspieler des Kleeblatts, brachte die sensationelle Auferstehung des tief gefallenen Aufsteigers auf den Punkt: „Dass das dann wirklich so passiert, das kann nur der Fußball.“

Der neuerdings mehr denn je angezählte Schalker Trainer Jens Keller hatte mit Blick auf die vergangenen Spieltage logischerweise eine Gästemannschaft erwartet, die sich am eigenen Strafraum einigelt. Ein Irrtum. Mit dem Rücken zur Wand suchten die Fürther endlich ihr Heil in Gegenangriffen. Wo sich zuletzt ein einziger Stürmer in vorderster Front sinnfrei die Lunge aus dem Hals rannte, bot Büskens diesmal mit Djurdjic und Asamoah zwei Offensivkräfte auf, die sich gegenseitig unterstützten und von ihren Fähigkeiten her ergänzten.

Als vielleicht noch wichtiger für den überfälligen spielerischen Fortschritt erwies sich die Verpflichtung von Jozsef „Beppo“ Varga. Der 24-jährige Ungar gewann bei seinem überzeugenden Debüt viele Zweikämpfe, schlug klare Pässe – und stieß entschlossen in die unendlichen Weiten vor, die sich zuletzt im Mittelfeld aufgetan hatten. „Er spielt, als ob er schon immer hier gewesen wäre“, lobte Mike Büskens. Eigentlich spielte Varga viel besser: Er verkörperte Mut, Kraft und Entschlossenheit.

Schon vor der Pause hatte sich angedeutet, dass eine Sensation in der Luft lag. Den fraglos überlegenen Schalkern fehlte nach unruhigen Wochen offensichtlich die Selbstgewissheit, den erstaunlich widerständigen Tabellenletzten konstant unter Druck zu setzen. Exakt eine Minute nach dem Seitenwechsel schien die Begegnung dann doch den erwarteten Verlauf zu nehmen. Der aus Lyon ausgeliehene Linksaußen Michel Bastos besorgte mit einem gleichermaßen raffinierten und harten Schuss vom Strafraumeck das 1:0 für die Hausherren. Felix Klaus und Matthias Zimmermann hatten den Brasilianer einen Wimpernschlag zu lange gewähren lassen.

Büskens genervt

Statt erschrocken zu verkrampfen, schlug das Kleeblatt kurze Zeit später zurück. Der nicht nur in dieser Szene sehr geschickt agierende Djurdjic setzte sich am Fünfereck durch und passte den Ball von der Grundlinie aus nach innen, wo Felix Klaus kraftvoll in Position gesprintet war – 1:1.

Anschließend wurden die Fürther für manches Pech entschädigt, das in der Hinrunde ihren Absturz in der Tabelle beschleunigt hatte. Erst stoppte Verteidiger Matthias Zimmermann einen Kopfball von Benedikt Höwedes auf der Torlinie, dann verfehlte Schalkes Jermaine Jones ebenso knapp sein Ziel wie später Raffael.

In der turbulenten Schlussphase traf die Leihgabe von Dynamo Kiew auch noch den Pfosten. Zwischenzeitlich hatten freilich auch die Fürther die ultimative Siegchance liegen lassen. Nach einem Eckball waren nacheinander Lasse Sobiech und Mergim Mavraj an Schalkes Torhüter Timo Hildebrand gescheitert.

Schon ein Remis wäre für die Gäste ein Erfolg gewesen. Asamoah: „Wir hatten ja nicht wirklich die Hoffnung, dass wir hier was mitnehmen können.“ Der 34-Jährige sah bereits von außen zu, als in der Nachspielzeit der schönste Angriff der Fürther in einen Linksschuss des für ihn eingewechselten Ilir Azemi (21) mündete. Hildebrand wehrte unkontrolliert ab, und Djurdjic, der bei Azemis Aktion im Abseits gestanden hatte, nickte den Ball gekonnt ins lange Eck. Das Tor zählte.

„Das war wichtig für die Seele“, befand Mike Büskens. „Wir wurden belohnt für die wahnsinnige Mühe, die wir in dieses Projekt Greuther Fürth stecken.“ Obwohl er angeblich das meiste, was über ihn geschrieben und gesendet wird, nicht zur Kenntnis nimmt, gönnte sich der 44-Jährige in der Stunde des Erfolges eine kleine Medienschelte. Eine „turnusmäßige“ Zusammenkunft sei zur „Krisensitzung“ hochstilisiert worden. „Im allerersten Moment wusste ich nach dem Spiel gar nicht, ob ich mich ärgern oder freuen sollte. Nach allem, was berichtet wurde, hatte ich mich auf meinem iPhone schon nach einem Reiseziel für kommende Woche umgeschaut.“

Schalke: Hildebrand; Uchida, Höwedes, Matip, Fuchs – Neustädter, Jones (82. Pukki) – Farfan, Draxler (66. Raffael), Bastos – Huntelaar.

Fürth: Hesl; Zimmermann, Sobiech, Mavraj, Baba – Klaus (72. Sararer), Varga, Pekovic (69. Nehrig), Stieber – Asamoah (83. Azemi), Djurdjic.

Schiedsrichter: Dankert (Rostock). – Zuschauer: 60.693. – Tore: 1:0 Bastos (46.), 1:1 Klaus (52.), 1:2 Djurdic (90.+2). – Gelbe Karten: Fuchs (5) / Pekovic (4), Sobiech, Varga.

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