Nach 0:6 - Der Club zwischen Realsatire und bitterer Ironie

9.10.2018, 09:11 Uhr
Schwerer Gang: Auch nach dem 0:6 in Leipzig bedankten sich die Club-Profis bei ihren Fans für die Unterstützung.

© Sportfoto Zink / DaMa Schwerer Gang: Auch nach dem 0:6 in Leipzig bedankten sich die Club-Profis bei ihren Fans für die Unterstützung.

Am liebsten hätte man den armen Kerl in den Arm genommen und ihm ein Bier spendiert oder wenigstens einen italienischen Rotwein. 29 musste Enrico Valentini werden, bis er sich endlich Bundesligaspieler nennen durfte. Gefreut hat er sich wie ein kleiner Bub auf das große Abenteuer. Und dann so was.

Dick eingepackt trat der rechte Verteidiger vor die Journalisten, die von ihm auch noch wissen wollten, wie’s so war am Sonntagabend im Leipziger Fußballstadion. Für ihn, für seine Mannschaft, für den ganzen Club. Ausgerechnet Enrico Valentini musste Rede und Antwort stehen. Jener Enrico Valentini, der vor dem 0:1 in der dritten Minute möglicherweise entscheidend weggerutscht war und auch danach eine unglückliche Szene an die nächste reihte.

Mit Galgenhumor auf Rang zwölf

Man konnte erahnen, wie sich der gebürtige Nürnberger gefühlt haben muss nach dem ernüchternden 0:6. Als das große Abenteuer eher einem großen Albtraum glich, wie schon elf Tage zuvor in Dortmund. Immerhin hätten sie Wort gehalten, dass so etwas wie beim 0:7 nicht noch einmal passieren würde, wie ein Journalist anmerkte. Enrico Valentini lachte gequält. "Ein bisschen Galgenhumor, auch nicht schlecht."

Ein bisschen Galgenhumor kann gewiss nicht schaden, wenn der Fußball plötzlich ernst wird. Gerade nach hohen Niederlagen scheint nur noch der Moment zu zählen und nicht, was einmal war oder noch kommen könnte. Auf Rang zwölf ist der Aufsteiger nach der siebten Runde notiert, mit acht Punkten. Das ist gar nicht so schlecht, das Torverhältnis mittlerweile schon, aber daran muss es ja nicht scheitern.

Dass die Tabelle so früh in einer Saison eher wenig Aussagekraft besitzt, weiß natürlich auch Trainer Michael Köllner, selbst wenn er wie die meisten in seinem Aufgebot bis zum 25. August keinerlei Bundesligaerfahrung vorzuweisen hatte. Trotzdem war sein Club seitdem in fünf Partien durchaus wettbewerbsfähig, zweimal ging es richtig in die Hose.

"Ein bisschen ironisch"

2:0, 0:7, 3:0, 0:6 – die letzten vier Ergebnisse geben auch Enrico Valentini ein paar Rätsel auf. Extrem wechselhaft in seinen Leistungen kam der 1. FC Nürnberg da daher und auch der rechte Verteidiger. Valentini findet die vergangenen Auftritte gar "ein bisschen ironisch", Begründung: Was seine Elf in den bisherigen Heimspielen auszeichnete, "kriegen wir auswärts nicht auf die Reihe", nicht mehr. In Berlin (0:1) und Bremen (1:1) sah das anfangs recht ordentlich aus. Die Auftritte in Dortmund und Leipzig erinnerten hingegen eher an Realsatire. "Die Tore kommen zu früh, zu schnell", sagte Valentini, "zu naiv" habe man sich am Sonntagabend angestellt und "denen in die Karten gespielt". Besonders mit unzähligen Ballverlusten in der Vorwärtsbewegung.

Die Leipziger mussten eigentlich bloß im Zentrum kompakt stehen und auf Fehler der Nürnberger warten; was sie dann nach Ballgewinnen abzogen mit ihren ungemein athletischen und technisch exzellent ausgebildeten Spielern, überforderte nicht nur Enrico Valentini, sondern letztlich auch alle anderen im schwarz melierten Trikot. Und möglicherweise sogar den Trainer.

Kriegt nun Mathenia seine Chance?

Michael Köllner versuchte, von außen einzuwirken und nach 45 Minuten in der Kabine, beim Stand von 0:4 war da aber wohl nicht mehr viel auszurichten. "Wir wussten vorher, dass der eine oder andere Spieler an seine Grenzen kommen wird", sollte er nach der Pressekonferenz sagen. Bei etwas konsequenterer Chancenverwertung hätte es In Leipzig auch locker zweistellig werden können, unter anderem scheiterte Timo Werner mit seinem gegen Tim Leibold geschundenen Elfmeter an Fabian Bredlow. Die mit Abstand beste Tat des jungen Schlussmanns an diesem Abend. Wie in einem Teil unserer Auflage bereits berichtet, erwartet die Nummer eins jetzt eine sogenannte Torwartdiskussion, sein Konkurrent Christian Mathenia soll ja auch einiges draufhaben: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

"Wenn er unbedingt eine Torwartdiskussion möchte, kann er gerne eine haben", antwortete sein Vorgesetzter am nächsten Tag, nachdem er mit seinen Profis über eine Stunde durch den Wald gerannt war. Die anschließende Yoga-Einheit sollte wohl vorrangig der Entspannung dienen. Michael Köllner, so wirkt es zumindest seit eineinhalb Jahren, entspannt sich am besten vor Kameras und Mikrofonen.

Ausgekontert bei einem 0:6

Vorwerfen konnte man seinem Personal lediglich, sich phasenweise die gleichen Aussetzer geleistet zu haben wie in Dortmund. Beispiele für die allgemeine Sorglosigkeit gibt es diverse, etwa dieses: Zehn Sekunden vor Leibolds umstrittener Notbremse samt Roter Karte, für die ihn das DFB-Sportgericht mit einem Spiel Sperre bestrafte, hatte der Club einen Eckstoß ausgeführt und ließ sich anschließend auskontern – beim Stand von 0:6. "Am Ende geht’s immer darum, eine harte Fehleranalyse zu betreiben", sagt Köllner, "allerdings darf man nicht gleich alles infrage stellen." Denn: "Wir sind nicht mit null Punkten Letzter, wir haben in dieser Saison auch schon einiges richtig gemacht."

Wahrscheinlich sogar mehr als falsch, auch deswegen braucht sich Köllner nicht um seinen Job zu sorgen. "Das wird sich auch bis zum Ende der Saison nicht ändern", sagte Sportvorstand Andreas Bornemann am Sonntagabend bei Sky, etwa zeitgleich mit Enrico Valentinis Analyse.

"Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll", sagte der Deutsch-Italiener, "sechs Tore kassiert man nicht einfach so", er wirkte ein wenig ratlos. Dabei hat sein großes Abenteuer doch gerade erst angefangen.

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