Welche Rolle spielt Gewalt beim Derby wirklich?

23.9.2017, 14:19 Uhr
Christjan Böncker (38 Jahre) und Matthias Kosubek (28 Jahre), beides gelernte Erzieher, sind Mitarbeiter des Fanprojekts Fürth, das vor drei Jahren in der Theresienstraße 17 aus der Taufe gehoben wurde.

© Martin Schano Christjan Böncker (38 Jahre) und Matthias Kosubek (28 Jahre), beides gelernte Erzieher, sind Mitarbeiter des Fanprojekts Fürth, das vor drei Jahren in der Theresienstraße 17 aus der Taufe gehoben wurde.

Herr Böncker, Herr Kosubek, was blieb hängen vom letzten Derby im März?

Christjan Böncker: Es war einer meiner ruhigsten Arbeitstage im Fürther Fanprojekt.

Matthias Kosubek: Man merkt langsam, dass Routine einkehrt, bei den Fans und bei uns im Fanprojekt. Dieses Spiel findet mittlerweile jedes halbe Jahr statt. Vor ein paar Jahren war es noch etwas Besonderes.

Dennoch ist diesmal etwas anders: Bis Freitagabend war nicht bekannt, wo sich die Fangruppen treffen, um gemeinsam zum Stadion zu laufen.

Kosubek: Umso mehr Repression seitens der Polizei eine Rolle spielt, umso mehr entziehen sich die Fans der Kontrolle.

Nehmen Sie das denn so wahr, dass die Fans immer weniger dürfen?

Kosubek: Wir sagen: Der Tanzbereich wird enger.
Böncker: Die Fans definieren doch nur noch den Treffpunkt, die Routen zum Ronhof sind seitens der Polizei klar definiert.

Nicht wenige Fürther Bürger sind irritiert vom massiven Polizeieinsatz. Zuletzt kreiste auch immer ein Polizeihubschrauber über der Stadt. Wie wirkt das auf die Fanszene?

Kosubek: In den vergangenen zehn Jahren wurde Fürth bei jedem Derby zur Sicherheitszone erklärt. Die Polizei hat zu gewährleisten, dass es sicher bleibt, daher müssen sie die Maßnahmen definieren. Gerade bei einem Stadion in der Stadt und in einem Wohngebiet ist das etwas anderes als bei einem Stadion auf der grünen Wiese. Trotzdem sollte das mit Augenmaß geschehen. Die Sicherheitsmaßnahmen haben sich stark verändert. Früher war die öffentliche Wahrnehmung viel geringer, die Leute sind an einer Haltestelle ausgestiegen und eigenständig zum Stadion gelaufen, in Fürth und in Nürnberg.

Gewalt spielt an den Derbytagen kaum noch eine Rolle, ist es daher aus Ihrer Sicht denkbar, die Anzahl an Polizisten zu verringern?

Böncker: Es wäre naiv und blauäugig, keine Polizei einzusetzen. Die Trennung der zwei Fangruppen ist sinnvoll, aber die Verhältnismäßigkeit sollte man sich schon genauer ansehen. Kosubek: Ich stelle kreisende Hubschrauber in Frage, weil sie ein falsches Bild erzeugen. Viele geben den Fans die Schuld, außerdem ist es ein großer Kostenfaktor. Aber klar, letztlich muss die Polizei für die Sicherheit geradestehen.

Fürths Polizeichef Peter Messing sagt, die Sichtweise, ob etwas deeskalierend wirkt, ist "individuell unterschiedlich". Wie sehen Sie es?

Kosubek: Wenn wir Fans stigmatisieren, indem wir sie von der Polizei ins Stadion eng begleiten lassen, sie streng kontrollieren und filmen, und ihre Freiheit immer weiter einschränken, dann entziehen sie sich der Öffentlichkeit, kooperieren weniger und verhalten sich irgendwann dem Stigma entsprechend. Es entstehen Feindbilder, die sich verfestigen.
Böncker: Das ist wie bei einem Kind, zu dem man sagt: Du bist böse. Das wird dann vielleicht auch so. Vielleicht tritt dieser Effekt dann auch bei Fans ein.

Was wirkt denn in Ihren Augen deeskalierend?

Kosubek: Die Gespräche vor den Spielen mit allen Beteiligten. Erstens: Die Sicherheitsbehörden sollten transparent darlegen, was sie vorhaben, wie läuft die Fantrennung, wie sind die Laufwege? Das kann viel Luft rausnehmen. Zweitens: Der Dialog mit Verein, Polizei und Fanprojekten mit Fans. Drittens: Es muss eine Verhältnismäßigkeit herrschen. Man muss, überspitzt dargestellt, nicht auf Beleidigungen reagieren, indem man mit Pfefferspray den Block stürmt.

Unabhängig davon geht es zwischen den Fankurven nicht gerade zimperlich zu, das fängt bei der Wortwahl an. In den Choreografien wurde schon dem Fürther Oberbürgermeister der Nürnberger Trichter in den Kopf gesteckt, die Fürther malten eine „Clubsau“. Kann es sein, dass es mittlerweile dazugehört, dass die Derbystimmung vergiftet sein muss?

Kosubek: Das sehe ich nicht so. Wir sagen nicht, dass das Derby Kindergarten ist. Aber das Frankenderby ist eine besondere Rivalität. Der Meister der ewigen Zweitliga-Tabelle und dreimalige Deutsche Meister gegen den neunmaligen deutschen Meister, davon geht etwas Positives aus, das ist ein Massenmagnet.
Böncker: In der Fankurve sehen wir Leute, die wir sonst das ganze Jahr nicht sehen. Wir fragen uns: Warum bekommt der kleinste Teil der Fans, der gewaltbereite, die größte Aufmerksamkeit durch Polizei und Medien? Da müssen sich auch die Medien hinterfragen. Man hört immer: Das sind die Bilder, die wir nicht sehen wollen. Und dann gibt man genau denen eine Bühne. Kirchweihen werden auch nicht mit einem Live-Ticker begleitet, und trotzdem gibt es auf ihnen regelmäßig Schlägereien und Straftaten.

Kosubek: Das Fußball-Derby steht stellvertretend für die Rivalität beider Städte. Schon deshalb sind die Sicherheitsvorkerhungen aus Sicht der Ordnungskräfte verständlich. Aber es muss Raum da sein, um diese Rivalität auszuleben. Gesänge, Choreografien, Spruchbänder – dafür sollte es keine Auflagen geben. Theatralik und Pathos in den Choreografien gehören dazu. Wenn man dem Raum gibt, dann passiert auf der anderen Seite auch weniger.

Also sind Beleidigungen okay, die der Verein ja vermeiden will, indem er die Spruchbänder vorher sehen will?

Kosubek: Die Welt geht nicht unter durch Geschmacklosigkeiten. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. So war die „Clubsau“ in der letzten Choreografie ja gezeichnet wie ein Comic-Schwein. Das kann man schon mit einem Augenzwinkern sehen.

Kann es sein, dass früher der Ton nicht so rau war?

Kosubek: Das wird romantisiert. In den Achtzigerjahren hat es ordentlich geknallt, da gab es harte Schlägereien. Hooligans waren früher viel präsenter. Heute sind die Stadien so sicher wie nie, auch das Frankenderby.

Würden Sie Ihr Kind mit ins Stadion nehmen?

Kosubek: Auch wenn es derb zugeht, es darf derb sein. Das Stadion ist auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Für Familien gibt es zumindest den Schutzraum "Familienblock".

Böncker: Die derben Schimpfwörter sind nichts für Kinderohren. Aber gehen Sie mal zu einem Jugendspiel... Das Thema Sicherheit ist im Ronhof kein Problem. Viele können das aber nicht einordnen, wenn ein Rauchtopf gezündet wird. Das sind ja noch lange keine Brandschatzer. Es geht um martialisches Auftreten, es ist ein Stilelement der Fanszene, sie will provokant sein. Das kann man kritisieren, aber es ist ein Spielen mit Inszenierungen.

Gibt es kein Problem mehr mit Gewalt zwischen den Fanszenen?

Kosubek: Doch, es passieren uncoole Dinge. Aber nicht mehr am Spieltag, wir müssen feststellen: Prävention hat seine Grenzen, aber Gewalt außerhalb des Stadions und abseits der Spieltage werden nicht durch Polizeihubschrauber und Stadionverbote gelöst werden. Damit verlagert man das Problem nur.

Die Ultras hüten die Vorbereitung ihrer Choreografien wie ihren Augapfel. Ist dennoch das Fanprojekt involviert?

Kosubek: Wir fördern die Choreos, indem wir der Kreativität Raum geben und im Netzwerk für möglichst viel Freiheit werben. Choreos sind für uns etwas Positives. Aber auch wir kennen die Choreos vorher nicht, das bleibt Aufgabenbereich der Fans und Ultras und auch diese sollten selbstbestimmt den Inhalt definieren.

Böncker: Es geht darum, den Gegner optisch zu übertrumpfen, und der darf es vorher nicht rauskriegen. Diese bunten Bilder gehen durch die Medien, das wollen sie doch alle sehen. Wenn ein Bild aber ein Missverständnis auslöst, muss man das klären.

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