Pandemie und Derbyfieber? FCN-Fan-Duo erobert das Netz

27.11.2020, 21:00 Uhr
Während der weltweiten Corona-Pandemie erobern zwei Club-Fans das Internet.

Während der weltweiten Corona-Pandemie erobern zwei Club-Fans das Internet.

Wer Michael Sörgels Wohnzimmer erstmals betritt, muss glauben, er wäre in einem Museum gelandet. Neben der rustikalen Stehlampe räkelt sich ein rot-schwarzer Gartenzwerg, über dem Globus hängt ein Foto von Meisterspieler Heinz Strehl. Daneben vermeldet die Titelseite einer antiquarischen "kicker"-Ausgabe in fetten Ziffern ein 5:0. Die Wand ist zugepflastert mit Bildern, Wimpeln, Trikots, Schals und sonstigen Devotionalien rund um den 1. FC Nürnberg. Ein liebevoll gestaltetes Sammelsurium, wie es in den guten Stuben dieser Stadt nicht oft zu bestaunen sein dürfte.

Am Sonntag werden der "Michl" und sein Kumpel Sascha vor dieser Wand wieder in ihren Sesseln sitzen, um Fußball zu schauen, und ein paar Hundert Menschen werden bei ihnen sein. Zumindest virtuell. Als Sörgel im Mai 2016 auf dem Videoportal YouTube einen eigenen Kanal eröffnete, war das kaum zu erahnen gewesen.

Vorreiter war, wie so oft, das Fußball-Mutterland. "Weil ich den FC Liverpool ganz sympathisch finde, habe ich öfter The Redmen TV angeguckt", erzählt Sörgel: "Die haben auch ganz klein angefangen in einer Garage." Heute folgen dem Kanal fast eine halbe Million Menschen. Warum, dachte sich der 38-Jährige, sollte dieses Format nicht auch für Club-Fans funktionieren?

Pandemie und Derbyfieber? FCN-Fan-Duo erobert das Netz

© Foto: privat

Beglubbt TV war geboren. Neben Analysen und Diskussionen, gepflegt etwa im "Lebkoung City Podcast", den Sörgel sogar aus dem vereinseigenen "Club-Haus" senden darf, sind die Live Match Reactions mit Sidekick Sascha Wölfel (34) fester Bestandteil des Programms. Dank Corona nun auch bei Heimspielen.

Dass es wirklich Menschen gibt, die Menschen dabei zuschauen, wie sie Menschen beim Fußballspielen zuschauen, mag auf den ersten Blick skurril anmuten. Doch 13.600 Abonnenten beweisen, dass es für diesen Online-Trend eine Klientel gibt. Darunter sogar treue Fans aus Hamburg, Kiel, Stuttgart oder Dresden, die zwar nichts mit dem Club am Hut haben, aber den speziellen Charme der beiden urfränkischen Protagonisten zu schätzen wissen. Dass es mitunter etwas derber zugeht und im Eifer des Wortgefechts auch mal Kraftausdrücke über die Lippen kommen, mag Sörgel gar nicht bestreiten, "wir schauen aber schon, dass es nicht unter die Gürtellinie geht".

Dank des Relegationsdramas von Ingolstadt hat es das Duo im Internet sogar zu einem gewissen Kultstatus gebracht. Das Video, das sehr authentisch und auch sehr laut die emotionalen Abgründe nach den drei Gegentoren sowie Fabian Schleuseners finalem Rettungsakt widerspiegelt, ging prompt viral. Große Fußballportale wie FUMS und WUMMS teilten das Martyrium der beiden Beglubbten, deren Seelenzustand zwischen unheilvoller Ahnung, purer Fassungslosigkeit, panischer Verzweiflung, lähmender Apathie und kathartischem Freudentaumel wechselte. Nach dem Schlusspfiff sah man zwei tätowierte Kerle mit feuchten Augen und den Nerven am Ende. 140.000 Aufrufe hat der siebenminütige Clip, schon während des Streams waren es bis zu 3000 Leute, "die unseren Absturz sehen wollten", wie Sörgel süffisant anmerkt. Einige auch aus Fürth.

Bekanntlich ist es nochmal gut gegangen, weshalb Nürnberg nun am Sonntag wieder gegen Fürth spielen darf. In normalen Zeiten würden Sörgel und Wölfel ihr Team im Max-Morlock-Stadion unterstützen, doch die Pandemie hat auch sie längst wieder von der Kurve auf die Couch gezwungen.


Derby-Fieber: "Das sind Lebenseinstellungen"


Derbyfieber ist deshalb noch kaum zu verspüren. "Früher hätte man den ganzen Tag danach ausgerichtet, wäre schon lange vorher raus, um sich zu treffen", vermisst Sörgel den sozialen Aspekt des Stadionerlebnisses. "Ich muss aber auch zugeben, dass man sich langsam mit den Geisterspielen arrangiert hat." Und spätestens beim Anpfiff ist das Kribbeln dann schon da, "das kriegst du aus einem Club-Fan nicht raus".

Ein Sieg, der Skepsis schürt

Seit Ende der 90er Jahre die Rivalität der beiden lange getrennten Erzrivalen wieder aufgeflammt ist, hat Sörgel kein Derby verpasst. Siege durfte er eher selten bejubeln, auch diesmal ist er skeptisch – trotz oder gerade wegen des unerwarteten 4:1-Coups in Osnabrück. Denn wäre es nicht "typisch Club, dass sie jetzt bei den Leuten Hoffnungen schüren, um dann wieder alles zu zerstören?", sinniert Sörgel. Pessimismus, der sich erklären lässt: "Ich bin als Franke geboren und als Cluberer groß geworden."

Sein offizieller Tipp – 2:1 für Nürnberg – fußt denn auch nicht auf sportlichen Argumenten, sondern allein auf der trotzigen Erkenntnis, "dass wir einfach wieder mal dran sind". Auch wenn Sörgel gehofft hatte, dass der Entwicklungsprozess unter Trainer Robert Klauß etwas schneller geht, will er in dieser Saison "positiv bleiben und nicht immer draufhauen". Ob dieses edle Vorhaben gelingt, das lässt sich am Sonntag prima bei Beglubbt TV überprüfen.

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