Lagerdenken überwinden

Zeit der Volksparteien vorbei? Deutschland hat die Wahl

24.9.2021, 11:41 Uhr
Weniger Ideologie und mehr Pragmatismus, so lautet der Leitfaden für das nächste Bündnis - egal ob es eine Jamaica-, Ampel-, Deutschland- oder Sonst-wie-Koalition sein wird.

© nordphoto GmbH / Hafner, nordphoto GmbH Weniger Ideologie und mehr Pragmatismus, so lautet der Leitfaden für das nächste Bündnis - egal ob es eine Jamaica-, Ampel-, Deutschland- oder Sonst-wie-Koalition sein wird.

Das gab es noch nie: Am Sonntag wird vermutlich eine Partei zum Wahlsieger erklärt, die drei Viertel der Wählerinnen und Wähler gar nicht wollen. Die Zeit der klaren Wahlausgänge, das hat sich über Jahre hinweg abgezeichnet, ist also vergangen. Vielmehr wird es im neuen Bundestag aller Voraussicht nach fünf Gruppierungen geben, die jeweils ein zweistelliges Ergebnis einfahren werden und entsprechend selbstbewusst auftreten..

Der Begriff Volkspartei ist deshalb nicht mehr mit Blick auf das Wahlergebnis zu sehen. Sondern allenfalls aufs Parteiprogramm bezogen. Denn eine Volkspartei im herkömmlichen Sinn, also mit Resultaten jenseits der 30-Prozent-Marke, gibt es auf absehbare Zeit wohl nicht mehr. Lange ist es her, da holten 1976 Union und SPD mehr als 90 Prozent der Stimmen. Der damalige Wahlsieger hieß Helmut Kohl, (CDU) der spätere Kanzler jedoch Willy Brandt (SPD).

Zumindest dieses Szenario, also eine Regierung, die nicht vom Wahlsieger gebildet wird, könnte sich 2021 unter umgekehrten Vorzeichen wiederholen. Möglich ist heute wie früher eben alles. Denn es gilt keinesfalls als ausgemacht, dass die stärkste Kraft automatisch den Bundeskanzler stellt. Das alte Lagerdenken hat ohnehin ausgedient. Weniger Ideologie mehr Pragmatismus, so lautet der Leitfaden für das nächste Bündnis - egal ob es eine Jamaica-, Ampel-, Deutschland- oder Sonst-wie-Koalition sein wird. Es gibt also definitiv etwas Neues auf Bundesebene.

Angst vor instabilen politischen Verhältnissen, wie sie beispielsweise die Union mit Blick auf ein Linksbündnis schürt, muss dennoch niemand haben. Unsere Verfassungsväter waren klug genug, politisches Chaos per Grundgesetz auszuschließen.

Die GroKo hat zudem aus mehreren Gründen ausgedient: Zum einen, weil sie entscheidende Weichen aus egoistischen Motiven nicht gestellt hat. Ein Parlament in Übergröße und somit am Rande der Arbeitsfähigkeit ist eine der Folgen. Mutlos und nur auf den Erhalt der eigenen Pfründe bedacht, wussten Union und SPD eine echte Reform des Wahlrechts zu verhindern. Schade.

Angst vor den Jungen?

Zum anderen, hat sie auch die Diskussion über eine mögliche Herabsetzung des Wahlalters von derzeit 18 auf 16 Jahre im Keim erstickt. Die junge Generation hat in den vergangenen Jahren nachhaltig bewiesen, wie stark politisch sie ist. Die Klimastreiks am Freitag haben dies erneut eindrucksvoll bestätigt.

Ausgerechnet diese Menschen, die an einer besseren Zukunft berechtigtes Interesse haben und die ohnehin am meisten unter den Versäumnissen im Bereich des Klimaschutzes leiden müssen, sind am Sonntag zum Zuschauen verurteilt. Auch hier sind es durchsichtige wahltaktische Motive, die einer Reform im Weg standen. Eine neue Koalition kann dem Land deshalb nur guttun!

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