Treuchtlinger Polizeichef: "Würde gegen Rassismus sofort vorgehen"

13.7.2020, 06:00 Uhr
Treuchtlinger Polizeichef:

© Polizei Bayern

Wie erleben Sie die derzeitige öffentliche Diskussion rund um die Polizei?

Dieter Meyer: Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Zum einen haben wir eine Rassismus-Debatte in der gesamten Gesellschaft, aber eben auch besonders mit Bezug zur Polizei. Ich kann nur für Treuchtlingen sprechen: Ich habe hier seit zehn Jahren etwa 40 Mitarbeiter und es gab noch keinen Fall von Rassismus. Ich würde das merken, wir sind eine kleine Inspektion. Und ich würde mit aller Macht dagegen vorgehen. Die andere Debatte ist die um Gewalt gegen die Polizei.

Die Diskussion um Rassismus wurde ausgelöst durch den Fall George Floyd...

Ja, das ist aus den USA zu uns herübergeschwappt. Ich bin aber der Meinung, man kann das nicht unbedingt vergleichen. Ich habe drei Jahre Ausbildung genossen und dann noch zwei Jahre Fachstudium gemacht, insgesamt also fünf Jahre Ausbildung. In den USA ist es meines Wissens oft so, dass Polizisten nach sechs bis acht Monaten Ausbildungszeit eine Waffe bekommen und auf Streife geschickt werden. Zudem ist es in Amerika weit verbreitet, dass Einzelstreifen unterwegs sind, was sie bei uns eher selten sehen werden. Und dort sind eine große Zahl von Schusswaffen im Umlauf. Bei uns Gott sei Dank nicht, obwohl es auch schon mehr sind als früher.

Den Fall George Floyd hätte es so in Deutschland also nicht gegeben, sagen Sie?

Wenn man den Fall nimmt und sieht, da ist ein Polizist acht Minuten auf dem Hals eines Festgenommen gekniet, da muss ich sagen: Dieser lagebedingte Erstickungstod war in meiner Ausbildung vor 40 Jahren schon ein Thema. Das ist heute noch immer so. Wenn jemand festgenommen wird und Handschellen bekommt, dann wird er aufgerichtet, um frei atmen zu können. Das lernt jeder Polizist von der Pieke auf. Wenn ich jemanden festnehme, der sich wirklich wehrt, dann kann es sein, dass man kurzfristig mal mit dem Knie in den Rücken muss, um ihn zu fixieren. Aber dann muss derjenige wieder aufgerichtet und hingesetzt werden.


Kommentar: Die USA brauchen eine andere Polizei


Hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert im Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei?

Ich würde sagen, ja. Es ist nicht unbedingt schlechter geworden, aber anders. Das haben wir auch durch Corona nochmal gesehen. Ich habe meinen Kollegen da von Anfang an gesagt, wir müssen mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Weil: Irgendwann dreht sich die Stimmung. Am Anfang waren die Leute total willig, aber irgendwann sind wir die Buhmänner. Da möchte ich mich aber bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einmal herzlich bedanken. Die haben das wirklich sehr gut gemacht.

Was hat sich noch verändert?

Die Leute sind aufgeklärter, hinterfragen mehr. Ich sage immer, die jungen Beamten müssen sich bewegen wie auf einer Bühne. Jeder hat ein Handy, jeder filmt, man ist immer im Fokus. Ich sehe das aber absolut positiv, da ich mir sicher bin, dass 99 Prozent von dem was meine Kollegen hier in Treuchtlingen machen, vollkommen in Ordnung ist. Und über das eine Prozent muss man reden und vor allem bei Beschwerden beide Seiten anhören. Dann kann man meistens – auch wenn etwas nicht optimal gelaufen ist – zumindest nachvollziehen, warum das so war.

"Dienst ist auf dem Land leichter als in Nürnberg"

Treuchtlinger Polizeichef:

© Benjamin Huck

Sie waren auch schon Leiter der Einsatzzentrale in Nürnberg. Was unterscheidet die Polizeiarbeit in Treuchtlingen von der in einer Großstadt?

Im ländlich geprägten Treuchtlingen hat man soziale Kontrolle. Meine Kolleginnen und Kollegen sind oftmals persönlich bekannt in Treuchtlingen. Da kann man auch mal zu zweit in ein Volksfest-Zelt gehen, in dem Leute aneinander geraten sind. Weil man weiß, da sind Menschen außen herum, die uns kennen und die einschreiten würden, wenn wir angegriffen würden. Das ist in Nürnberg anders. Da kann es durchaus vorkommen, dass sich Ruck zuck mal zehn, zwanzig Leute zusammentun und auf jemanden einschlagen, auch wenn es ein Polizist ist. Insgesamt ist es sicher leichter, auf dem Land Dienst zu leisten als in der Stadt.

Innenminister Horst Seehofer hat sich nun doch dagegen entschieden, Rassismus in der Polizei wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Ein Fehler?

Dazu kann ich eigentlich nichts sagen. Ich weiß nicht, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat. Aber mir fällt zum Thema Racial Profiling ein Fall ein: Es ist vier, fünf Jahre her, da hat sich ein Mann bei mir persönlich beschwert. Er hat berichtet dass meine Beamten am Treuchtlinger Bahnhof standen und von 50, 60 Leuten, die aus dem Zug ausgestiegen sind, nur einen kontrolliert haben. Einen farbigen Menschen. Der Hintergrund war: Der Zugbegleiter hat einen Fahrgast beschrieben, der ohne Ticket unterwegs ist und der seine Personalien nicht rausgeben will. Deswegen wussten meine Kollegen eben, dass sie genau diesen farbigen Mann kontrollieren müssen – und alle anderen nicht.

Sie sind 42 Jahre Polizist. Gibt es in der Polizei rassistische und verfassungsfeindliche Tendenzen?

Ich denke das gibt es, wie woanders auch. In den zehn Jahren hier in Treuchtlingen habe ich nichts dergleichen mitbekommen. Zuvor hatte ich Schichtdienst in einer Dienstgruppe, da ist auch nichts gewesen. Würde ich da etwas bemerken, würde ich sofort dagegen vorgehen. Das ist meine ureigenste Aufgabe. Aber natürlich gibt es immer wieder mal solche Fälle, das höre ich ja auch. Die sind ja nicht erfunden. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass das nicht der Großteil ist, sondern eher Einzelfälle.

Anzeigen gegen Beamte oft "Reflexreaktion"

Laut eine Studie der Ruhr-Universität Bochum führen nur zwei Prozent aller mutmaßlich rechtswidrigen Übergriffe von Polizisten zu einem Strafverfahren. Wie erklären Sie sich das?

Ich kenne die Studie nicht. Aber ich bekomme mit, dass auch hier in Treuchtlingen ab und zu Kollegen angezeigt werden. Das ist oftmals eine Reflexreaktion unseres Gegenübers, gegen den eine belastende Maßnahme verhängt wurde und die betroffene Person hiermit von seinem eigenen Fehlverhalten ablenken möchte. Wir müssen das aufnehmen und der angezeigte Polizeibeamte muss sich verantworten. Oft gibt es aber schon Zeugen, deren Aussagen belegen, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Wenn ermittelt wird, dann wird das ohnehin nicht von uns selbst gemacht, sondern an ein eigens dafür eingerichtetes Sachgebiet beim Landeskriminalamt abgegeben.

Die öffentliche Diskussion dreht sich auch um Gewalt gegen die Polizei. Erleben Sie eine Verrohung?

In Treuchtlingen hatten wir 2015 zehn Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte. 2016 waren es neun Fälle, 2017 acht, 2018 neun und 2019 fünf. Das ist jetzt nicht die Welt und etwa 50 Prozent davon sind Beleidigungen. Es ist nicht mehr geworden und es spielt häufig Alkohol- oder Drogenkonsum eine Rolle. Vergangenes Jahr hatten wir zwar nur fünf Fälle, es war aber trotzdem tragisch.

Warum?

Wir hatten drei schwerverletzte Beamte. Dreimal Körperverletzung gegen die Polizisten. Ein Kollege war zwei Monate dienstunfähig. Ein anderer war in eine Schlägerei zwischen mehreren Beteiligten verwickelt und war drei Wochen dienstunfähig. Der dritte Fall ist im Krankenwagen passiert. Da hat sich ein Drogenkranker aus der Fixierung gelöst und dem Kollegen einen Fußtritt ins Gesicht verpasst. Der war dann fünf Wochen dienstunfähig.

Die Bodycam wirkt

Tut der Gesetzgeber genug, um Polizeibeamte zu schützen?

Ich denke schon. Ich glaube auch, dass das Strafmaß ausreichend ist, wenn es angewandt wird und bin nicht der Meinung, dass es verschärft werden muss.

Seit knapp eineinhalb Jahren tragen auch die Treuchtlinger Beamten Bodycams. Wie sind die Erfahrungen damit?

Ich höre von den Kollegen nur Positives. Immer wenn die Bodycam zum Einsatz kommt, zum Beispiel, wenn jemand sehr aggressiv ist, wirkt das auch. Die Kollegen sagen, derjenige schaltet dann ein bis zwei Gänge zurück. Der merkt, dass er jetzt vorsichtig sein muss. Die Kameraaufnahmen können uns auch im Strafverfahren sehr gut weiterhelfen. Dann sieht unter Umständen der Richter, Moment mal, jetzt sitzt der Angeklagte zwar brav gekämmt hier, aber am fraglichen Abend hat er sich anders benommen, was die Kameraaufnahmen durchaus eindrucksvoll belegen können.


Kommentar: Der Rassismus in uns betrifft die ganze Gesellschaft


Abschließend: Wie steht es um das Vertrauen der Treuchtlinger Bevölkerung in ihre Polizei?

Ich höre sehr viel Gutes über die Polizei. Ich bin viel unterwegs und bekomme gutes Feedback. Auf Facebook wird natürlich auch mal gelästert, aber die Grundtendenz ist sehr positiv. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Vertrauen in die Treuchtlinger Polizei sehr hoch ist.

Zur Person: Dieter Meyer, Jahrgang 1960, ist erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Polizeiinspektion Treuchtlingen. Bereits 1978 hat er seine Ausbildung bei der Polizei begonnen, war danach bei der Grenzpolizei und als Dienstgruppenleiter bei der Streifenpolizei tätig. Bevor er 2010 Chef in Treuchtlingen wurde, leitete er die Einsatzzentrale in Nürnberg.

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