Siemens-Chef Joe Kaeser gibt in Erlangen Karriere-Tipps

20.7.2019, 18:30 Uhr
Siemens-Chef Joe Kaeser gibt in Erlangen Karriere-Tipps

© André De Geare

Die Mehrheit der über 200 Gäste – die lange Warteliste konnte nicht abgearbeitet werden – war wohl deshalb in die große Schalterhalle am Hugenottenplatz gekommen, um mehr über die Zukunft des Konzerns in Erlangen zu erfahren. Doch wichtige Fragen wurden von Moderator Thorsten Otto, Gute-Laune-Onkel beim BR-Hörfunk, gar nicht erst gestellt – und Kaeser musste sie deshalb auch nicht beantworten.

Kein Wort über den Headquarter-Standort des künftigen Bereichs "Gas and Power", bislang im texanischen Houston angesiedelt, für den die Erlanger Politik vehement wirbt, kein Wort zur Einrichtung eines Wasserstoff-Technologiezentrums in Görlitz, obwohl höchste wissenschaftliche Kompetenz in diesem Bereich um den für den Deutschen Zukunftspreis 2018 nominierten Prof. Peter Wasserscheid und die Hydrogenious Technologies in Erlangen vor der Erlanger Haustür wirkt, auch kein Wort zu Kaesers Erfahrungen im Umgang mit dem höchst umstrittenen US-Präsidenten Donald Trump. So wurde es ein Abend der vergebenen Möglichkeiten – weil viele Fragen eher einem Reporter der "Bunten" gut zu Gesicht gestanden hätten.

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"Es ist wichtig, dass man nicht vergisst, wo man herkommt." Nun, Joe Kaeser stammt – dort als Josef Käser geboren – aus dem knapp 2000 Einwohner großen niederbayerischen Arnbruck, dem er sich heute noch verbunden fühlt, "eine Quelle, wo man Kraft schöpfen kann" vor allem für seine vielen Reisen durch die Welt.

Weil: "In der Konzernzentrale sind noch nie großartige Geschäfte entstanden" – dort in München, wo ein "Riesenfehler" gemacht worden sei: die Vorstände separat in den 6. Stock zu verfrachten, am schönsten Platz, der meistens leer ist.

Große Karrieren entstehen durch Zufälle. Kaeser trat 1980 – nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Regensburg – bei Siemens ein, übernahm verschiedene kaufmännische Leitungsfunktionen, war in Malaysia und den USA, wurde 2006 Finanzvorstand und 2013 als Nachfolger von Peter Löscher Vorstandsvorsitzender.

Er positioniert sich seitdem – was ihn von den meisten deutschen Spitzenmanagern unterscheidet – zu Fragen der Moral und Politik. Bei der Sparkasse gab er – zusammen mit dem ebenfalls eingeladenen, aber meist zuhörenden Finanzvorstand Prof. Ralf P. Thomas – die Richtung vor, um auf der Karriereleiter nicht abzurutschen: sich authentisch geben und flexibel bleiben, sich immer mit Neuem beschäftigen. Damit hat auch er die "gewaltigen" Veränderungen bei Siemens seit den 80er Jahren bewältigt – jüngst massiv umgebaut durch die Digitalisierung, die aus dem heutigen Lieferanten den morgigen Wettbewerber macht.

Kaeser geißelte die sozialen Netzwerke, die den Druck auf seriöse Medien verschärfen und die Gründlichkeit der Recherche, bisher gewohnt von der Tageszeitung, aushebeln. Und doch sollte man darin aktiv sein: "Wenn Sie nicht teilhaben, machen andere für Sie die Meinungsbildung." Durch jüngst ausgesprochene Morddrohungen lässt sich Kaeser nicht einschüchtern.

Siemens-Chef Joe Kaeser gibt in Erlangen Karriere-Tipps

© Foto: Udo B. Greiner

Interessenlagen mit Wirkung auf Arbeitsplätze und Werte, die die Reputation des Unternehmens beeinflussen, müssten ausbalanciert werden, am Ende stehe der Dienst an der Gesellschaft – freilich unter Bewahrung der Profitabilität.

Schließlich müsse das Geld erst verdient werden, ehe man es umverteilen kann. Dabei seien Teamspieler gefragt: "Die Zeiten, als Individualist erfolgreich sein zu können, sind vorbei." Leistungssportler war Kaeser, der sich zwar an American Football begeistert, aber dann doch lieber Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" liest, noch nie – im Gegensatz zu seinem Kollegen Thomas, der als Faustballspieler bis ins Weltcup-Finale vorgestoßen ist. Doch eines weiß Kaeser gewiss: "Wenn man das Spiel versteht, hat man bessere Chancen, es zu gewinnen."

Ganz am Ende stellt Otto dann doch noch vorsichtig die entscheidende Frage: "Was haben Sie mitgebracht als Nachricht für Erlangen?" Kaeser wartet, wohl einige Sekunden zu lange, und bringt nur die Allerwelts-Antwort hervor: "Erlangen wird gebraucht." Das war’s nach eineinhalb Stunden.

In der Zeit hat – berichtet Kaeser – das 380 000 Frau und Mann starke Siemens-Personal in aller Welt für 60 Millionen Euro Umsatz gesorgt.

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