Experte: "Wähler und Wirtschaft wollen mehr Klimaschutz"

11.4.2021, 06:00 Uhr
Ottmar Edenhofer, Klimaforscher, steht vor einer CO2-Uhr, die am Gasometer angebracht ist. Sie läuft rückwärts und versinnbildlicht das für das Temperaturziel 1,5 Grad das noch verbleibende CO2-Budget.

© Jörg Carstensen, dpa Ottmar Edenhofer, Klimaforscher, steht vor einer CO2-Uhr, die am Gasometer angebracht ist. Sie läuft rückwärts und versinnbildlicht das für das Temperaturziel 1,5 Grad das noch verbleibende CO2-Budget.

Herr Prof. Dr. Edenhofer, aktuell gibt es nur ein Thema – die Bekämpfung der Pandemie. Würden Sie sich wünschen, dass wir das Thema Klimawandel mit ähnlich viel Energie angingen wie Corona?

Edenhofer: Man kann beide Themen nicht trennen. Es gibt aus meiner Sicht zwei Verbindungen zwischen der Pandemie und dem Klimawandel, die zu wenig Beachtung finden. Zum ersten: Wir reden ständig davon, wie wir mit Corona fertigwerden, wie wir uns an die Pandemie anpassen – das ist auch notwendig. Es ist aber genauso wichtig, zu überlegen, wie man das Risiko von Pandemien vermindern kann. Nämlich etwa dadurch, dass man die Abholzung vor allem der Regenwälder drastisch vermindert. Die Zerstörung der Biodiversität, ausgelöst durch die Abholzung, führt zu einer Zunahme der Zoonosen, bei der Viren auf den Menschen überspringen. Und da gibt es eine Verbindung zur Klimafrage – bei dem, was die Amerikaner so unvergleichlich knapp ausdrücken mit „There is no glory in prevention“ – es bringt keinen Ruhm, Schäden zu vermeiden.

Prävention wäre viel günstiger

Eine Studie im Fachjournal „Science“ fand heraus: Wenn man die Abholzung halbieren und den Handel mit Wildtieren besser kontrollieren könnte, dann würde das nur ein Bruchteil von dem kosten, was wir nun im Kampf gegen die Pandemie ausgeben. Ähnlich ist es beim Klimaschutz – auch hier sind die Kosten für Prävention deutlich geringer als die enormen Kosten einer ungebremsten Erderwärmung.

Und die zweite Verbindung?

Edenhofer: Die Pandemie eröffnet uns für die Klimapolitik neue Möglichkeiten. Wir haben jüngst in einer Studie analysiert, wie sich die Kohlenutzung aktuell weltweit entwickelt. Sie ging durch Corona in vielen Ländern stark zurück, weil die Energienachfrage sank. Dadurch fiel der Gaspreis unter den Kohlepreis. Für viele Länder wäre aktuell eine gute Gelegenheit, aus der Kohle auszusteigen. Durch eine minimale CO2-Bepreisung ließe sich das noch forcieren.

Könnte man diesen Prozess verstetigen und fördern?

Edenhofer: Ja, wir sollten vor allem Ländern wie Vietnam, Bangladesch oder Indonesien zinsverbilligte Kredite anbieten, wenn sie aus der Kohle aussteigen und CO2-Preise einführen. Das wäre ein erster mutiger Schritt hin zu einem globalen Kohleausstieg.

Bei Corona sieht man: Verzicht ist möglich, wenn der Staat ihn anordnet. Ist das ein Rezept für Klimapolitik?

Edenhofer: Nein, das ist keine Option. Und wir haben ja auch gesehen, dass der Verzicht nicht viel gebracht hat. Während der Coronakrise sanken die Treibhausgas-Emissionen vorübergehend auf das Niveau von 2006 – eine minimale Pause. Darauf zu hoffen, dass das Runterfahren der Wirtschaft das Problem löst – das ist der falsche Ansatz.

Aktuell hat man ohnehin den Eindruck, dass manche schon mit den Hufen scharren, um wieder richtig Gas geben zu können nach der Pandemie...

Edenhofer: In der Tat. Wenn wir jetzt nicht den Strukturwandel einleiten, dann werden die Emissionen wieder aufs alte Niveau hochgehen. Andere Krisen, zuletzt die Finanzkrise, haben ja auch keinen Strukturwandel bewirkt. Den kann man nur mit neuen Technologien einleiten und mit der damit verbundenen Änderung des Lebensstils. Verzicht wird uns nicht dorthin bringen, wo wir hinmüssen – auf netto null Emissionen bis zum Jahr 2050, eine gigantische Herausforderung.

"Drei Flüge machen Ihre Klimabilanz kaputt"

Sie können privat sicherlich etwas tun – auf Fleisch verzichten, auf Dienstreisen. Wenn Sie dann aber drei Flüge im Jahr haben, machen Sie Ihre private Klimabilanz sofort wieder kaputt. Also sind Sie darauf angewiesen, dass Sie irgendwann klimaneutral fliegen können – und das geht nur durch technologischen Wandel.

Was macht Ihnen da Hoffnung?

Edenhofer: Wichtig sind da drei Komponenten: die CO2-Bepreisung, die vorübergehende Förderung von innovativen Technologien wie synthetischen Kraftstoffen oder grünem Stahl und die Nachhaltigkeit von Innovationsprogrammen in Europa.

Es ist oft die Rede von „grünem Wachstum“ - also Wachstum ohne Umweltschäden. Kann es das überhaupt geben?

Edenhofer: Wir brauchen die Entkoppelung der Emissionen von Wirtschaftswachstum Und wir sollten uns fragen: Wollen wir zusätzliches Einkommen oder mehr Freizeit? Angesichts einer alternden Gesellschaft und der gewaltigen Aufgaben, die vor uns liegen scheinen mir die Spielräume beschränkt. Wir sollten vermehrt in Bildung und Gesundheit investieren. Wir müssen auf jeden Fall aufhören, wie bisher Naturkapital in großem Maßstab zu verschleudern.

Die CO2-Besteuerung scheint zu funktionieren, die Emissionen gehen zurück. Ist die Bepreisung etwas, das weltweit Schule machen kann?

Edenhofer: Wir haben CO2-Bepreisung als Instrument jetzt in Deutschland und das ist gut. Die nächste wichtige Ebene ist die EU, die bis Juni einen entsprechenden Vorschlag für eine Umsetzung machen wird. Weltweit sehen wir, dass das Thema Fahrt aufnimmt – aber noch viel zu wenig, um die nötige Emissionsreduzierung zu erreichen. Deswegen wären die Europäer gut beraten, Schwellenländern zu helfen.

Sehen Sie eine politische Bewegung, die das antreibt?

Edenhofer: Ja. Es gibt da sehr viel Bewegung, zum Beispiel im Finanzsektor. Investoren machen Druck auf Unternehmen. Wenn große Pensionsfonds sagen, wir brauchen eine CO2-Bepreisung, dann hört ein Finanzminister sehr viel genauer hin als wenn ein Professor das gleiche sagt.

Sind die Unternehmen und Investoren da schon weiter als die Politik?

Edenhofer: Auf jeden Fall. Da gab es einen gewaltigen Bewusstseinswandel. Die Unternehmen machen Tempo – wenn Sie VW nehmen oder Daimler: Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Vorstandschef eines Autoherstellers sich mit einem Klima-Experten austauscht. Heute will die Industrie das und sie will umsteuern und fordert von der Politik, dass sie handelt. Die Politik hinkt hinterher, die Wirtschaft wartet darauf, dass endlich Rahmenbedingungen festgelegt werden.

Was tun Sie denn selbst, um sich klimagerecht zu verhalten?

Edenhofer: Eine beliebte Frage. Ich sage dann immer, dass ich mich für den CO2-Preis einsetze. Ich finde es nicht gut, ein politisches Problem auf Individuen zu verlagern. Ich bin wirklich glücklich, dass ich wegen Corona viel weniger reisen muss und mehr Zeit für das habe, was mir Freude macht: die Forschung. Aber andere müssen fliegen oder reisen.

"Die Menschen sind bereit, mehr zu zahlen"

Reduktion von Fleischkonsum – das ist gesund und hilft dem Klima. Aber was man da als einzelner machen kann, hat sehr begrenzte Wirkung. Die Menschen sind bereit, für gute Klimapolitik mehr zu zahlen – aber dafür braucht es vernünftige und gerechte Rahmenbedingungen. Da kann man die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen.

Es müsste deutlich mehr geschehen...

Edenhofer: Gar keine Frage. Wir haben erste, zaghafte Versuche gemacht. Die Politiker waren zuletzt immer geneigt, sich hinter den Wählern zu verstecken. Aber die Wähler und die Wirtschaft – die wollen mehr Klimaschutz. Man hat den Eindruck, dass die Politik größte Schwierigkeiten hat, diese neue Lage richtig wahrzunehmen. Man kann nur hoffen, dass es im nächsten Bundestag einen Generationenwechsel gibt – mit Politikern, die verstehen, dass ihre Wähler das wollen.

Markus Söder umarmt Bäume und gibt sich grün. Ist das glaubwürdig?

Edenhofer: Dafür kenne ich Markus Söder zu wenig. Aber die Machtarithmetik erzwingt, dass jede Partei sich in irgendeiner Form zu den Grünen verhalten und koalitionsfähig mit ihnen sein muss. Das gilt für Markus Söder wie für Armin Laschet.

Braucht es Horrorszenarien, damit Bewegung in die Klimapolitik kommt?

Edenhofer: Wenn wir so weitermachen wie bisher, riskieren wir gefährlichen Klimawandel. Den können wir vermeiden. Es ist nicht zu spät, auch wenn das manche behaupten. Es muss in der Politik mehr denn je um Risikovorsorge gehen. Man sieht ja auch, dass Spitzenpolitiker größte Schwierigkeiten haben, eine komplexe Systemdynamik zu verstehen. Da müssen wir dran arbeiten. Die Politik nimmt unumkehrbare Veränderungen wie etwa die Abholzung der Regenwälder viel zu wenig wahr. Da fehlt ihr ein gutes Sensorium.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Edenhofer: Ich glaube nicht daran, dass die Menschheit ein Selbstzerstörungsprogramm fährt. Was mich optimistisch stimmt: Der europäische Green Deal ist eine gute Sache.
Die USA und China sprechen trotz der großen Spannungen über Klima. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Klimapolitik eines der wenigen erfolgreichen Kooperationsfelder zwischen den Supermächten werden kann. Das sind Hoffnungszeichen. Dass nun sogar der Rechnungshof die Politik zum Handeln auffordert und appelliert, stärker auf die CO2-Bepreisung zu setzen, über die vor fünf Jahren noch gespottet wurde, stimmt mich vorsichtig optimistisch.

6 Kommentare