Zusatzrunde

VR-Brillen und Sopran-Riesinnen: So wird die Zugabe des Fürther Figurentheater-Festivals

23.9.2021, 21:30 Uhr
VR-Brillen und Sopran-Riesinnen: So wird die Zugabe des Fürther Figurentheater-Festivals

© Foto: Clemens Rudolph

Der Sonnenaufgangsautomat: Sinnbildlich steht er für ein Festival, das sich partout nicht unterkriegen lässt. Von Corona schon gar nicht. Im dritten Anlauf und mit gründlich verändertem Abstandhaltungskonzept ging das 22. internationale Figurentheater-Festival im Mai zwar mit einigen Aufführungen an den Start; der soundsovielte Lockdown war allerdings stärker und die Idee geboren: Nach den Sommerferien holen wir nach, was im Frühjahr nicht stattfinden konnte.

Zur Begegnung mit "Sonnenaufgangsautomat", der abgefahrenen Produktion des Bochumer Duos "scheinzeitmenschen" – sieben Menschen fingen mit Aufnahmegeräten und Sensoren Sonnenaufgänge weltweit ein – kommt es also jetzt. Vom heutigen Donnerstag bis Samstag (13 bis 19.30 Uhr) sowie am Sonntag (11 bis 18 Uhr) stehen je 15-minütige Zeitslots für die performative Installation bereit, mit dabei sein darf jeweils eine Person oder ein Hausstand.

Vier kompakte Tage, neun Produktionen: "Es wird", sagt Fürths Kulturamtschefin Gerti Köhn, "kein Riesen-Festival, aber die, die wir erreichen wollen, die wollen wir ganz." Erlangen und Nürnberg, die beiden anderen Festival-Hotspots, haben ihre Zusatzrunden bereits gedreht, nun kommen die Fürther – und der Weg führt diesmal nicht ins festivalerprobte Kulturforum, sondern an ungewöhnliche Orte, teils Leerstände.

Buchbare Zeitslots

"Sonnenaufgangsautomat" und Yvonne Dicketmüllers interaktive 15-Minuten-Installation "Ein Platz an der Sonne" etwa beherbergen Diele und Keller des Babylon-Kinos (Nürnberger Straße 3), Schauplätze sind ferner das kultur.lokal.fürth in der Königstraße 147, die Aula des Helene-Lange-Gymnasiums (Tannenstraße 19), das Schaufenster Schwabacher Straße 7, zwei Adressen in der Gustavstraße (3 und 12) sowie das Altstadtapartment Fürth (Königstraße 63/Eingang Waagplatz). Die Zeitslots sind buchbar unter www.figurentheaterfestival.de, aber auch direkt vor Ort sind Tickets zu kriegen.

Fans des handelsüblichen Figurentheaters dürften sich abermals die Augen reiben, Mitmachen und Interaktion werden groß geschrieben. In Daniel Ernsts "Fernwehoper" etwa (Gustavstraße 12, je 15 Minuten für je eine Person, täglich 13 bis 20, Sonntag 11 bis 18 Uhr) tauchen die Besucher mittels VR-Brille in eine Welt voller skurriler Figuren; dabei bekommen sie es zu tun mit einer 15 Meter großen Opernsängerin. In "#mysharedspace" mit dem Berliner Ensemble gleichen Namens (Altstadtapartment, je 30 Minuten für je eine Person, täglich 11 bis 20, Sonntag 11 bis 17 Uhr) wird das Publikum eingeladen, sich in einer fremden Wohnung umzuschauen – in Abwesenheit der Bewohnerin. Drittes Beispiel: In "Micro" vom Figurentheater Wilde & Vogel (kultur.lokal.fürth, je 10 Minuten für je eine Person, täglich 13 bis 15 und 16 bis 19 Uhr, Sonntag 13 bis 15 und 16 bis 18 Uhr) führt die Privatvorstellung ins Reich der Insekten; dazu öffnen sich Sound-Räume voller elektronischer Effekte.

Spiel mit Distanz und Nähe

Und das soll also Figurentheater sein?

"Micro", sagt die Fürther Festivalchefin Köhn, sei in der Tat die einzige Produktion, die sich noch erkennbar der klassischen Überwältigungsmittel des Genres bediene, ein Figurenspieler (Michael Vogel) zieht alle Register. Der ganze große Spielplan-Rest jedoch spiegelt Kreativität in Zeiten der Pandemie wider – das Spiel mit Distanz und Nähe in teils irritierenden Räumen und Raumbezügen.

Köhn: "Wer greift uns in die Fäden? Wer lenkt hier wen? Und vor allem: Wer ist die Figur?" So werde das Festival 2021 zum Experimentierfeld "für den Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit". Kurzum, nicht länger sehen wir Protagonisten an Stock oder Fäden zu – wir sind es selbst.

Mit dem schönen Vorteil allerdings, ins Spielgeschehen eingreifen zu können: Die "KnickTick-Crew" etwa lädt im Ladengeschäft Gustavstraße 3 zu einem gemeinsamen Zeichenspiel ein, das die Surrealisten vor 100 Jahren erfanden. Das Ergebnis sind Körperteil-Kombinationen voller Witz und Phantasie, die in einer Video-Klang-Installation in Bewegung gesetzt werden dürfen. Figurentheater anno 2021.

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