Matt und ausgelaugt: Warum wir uns fühlen - und was wir dagegen tun können

11.8.2021, 11:10 Uhr
Matt und ausgelaugt: Warum wir uns fühlen - und was wir dagegen tun können

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Es ist, als hätte sich das Gehirn ausgeknipst. Als wäre man nur noch körperlich vorhanden und der Geist längst verdunstet. Die Haut fröstelt. Der Blick verliert sich im Nirgendwo. Und in den Ohren stellt sich ein leises Pfeifen ein. Am liebsten würde man sich wie ein Kätzchen zusammenrollen und sich in eine Traumwelt schnurren. Das Problem ist nur: Es geht nicht!

Denn dieser lähmende Zustand überkommt Menschen oft dann, wenn sie sich eigentlich konzentrieren sollten: In der Mathestunde kurz vor Schulschluss, wenn das Käsebrot schon lange aufgefuttert ist. In der überlangen Konferenz, wo sich die Stimmen der Kollegen zu einem Geräuschbrei vermengen. Im Büro kurz vor oder nach der Mittagspause, wenn eigentlich ein Geistesblitz nach dem anderen im Oberstübchen herumflitzen sollte.

Genau dann wabert — nicht immer, aber manchmal eben doch — nur noch Nebel durchs Hirn. Zwar sagt ein schlaues Sprichwort: "Faulheit ist die Kunst, sich auszuruhen, bevor man müde wird." Aber eigentlich ist es doch genau umgekehrt. Müdigkeit macht sich breit, lähmt uns in unserem Tatendrang und macht uns träge.

Was ist nur die Ursache dafür, dass wir uns an manchen Tagen — um es mal im Heimat-Jargon auszudrücken — so "lädscherd" fühlen?

Die Gründe für Müdigkeit: Auch Flüssigkeitsmangel macht schlapp

Wenn wir Experten fragen, dann geben sie uns eine Reihe von Antworten, die sich mit unseren eigenen Beobachtungen decken. Nämlich: Wir haben viel zu kurz oder auch zu lange geschlafen. Die Kinderlein haben uns nachts ständig geweckt. Das Büro ist überheizt.

Monatelange Winter-Dunkelheit hat uns tagsüber zermürbt. Wir sitzen in zu kleinen Räumen und produzieren viel zu viel schlechte Luft. Currywurst und Pommes machen sich im Magen breit. Die Arbeit ist eintönig und wir langweilen uns ins Delirium. Wir vergessen, zu trinken.

Und wenn wir mal — das ist wichtig! — ernsthafte Erkrankungen ausschließen können, zu denen wir später noch kommen, dann bleibt nur noch: Wir sind faule Socken und haben schon lange keinen Sport mehr gemacht. All das lässt uns gähnen. Körper und Geist verlangen nach einer Auszeit und würden gerne die Schlummertaste drücken. Tagsüber im Büro erlaubt das der Chef nicht. Nur abends dürfen wir das.


Studie: Zuckerkonsum macht müde


Denn Schlaf ist lebenswichtig. Dann schaltet der Körper von Leistung um auf Reparatur und Erholung. Er erneuert Muskel-, Gewebe-, Haut-, Knochen- und Haarzellen, kümmert sich um die Verdauung und füllt die Energiespeicher. Das Gehirn räumt ebenfalls auf, wirft alles weg, was ihm überflüssig vorkommt und lagert ein, was es noch brauchen könnte.

Wichtig sind dabei alle positiven und auch gefährlichen Eindrücke. Emotionen und Bewegungen festigen sich vor allem in Traumphasen. Texte und Informationen bleiben eher während des Tiefschlafs im Hirnkästchen hängen.

Müdigkeit entsteht im Hirn

Doch egal, ob mittags während des Suppen- und Schnitzelkomas oder abends vor dem Zubettgehen: Müdigkeit wird immer über unser Gehirn gesteuert. "Es gibt dort zwei Hirnkerne, die jeweils für Müdigkeit und Wachheit zuständig sind, und einen zentralen Schrittmacher, der einen Takt von ungefähr 24 Stunden vorgibt, aber auch äußeren Einflüssen wie dem Licht unterliegt", erklärt Dr. Timo Oberstein, Oberarzt der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik an der Uniklinik Erlangen.

Dieser Schrittmacher mit dem etwas sperrigen Namen "Nucleus suprachiasmaticus", kurz SCN, ist der Taktgeber für unsere innere Uhr, die unseren Schlaf-Wach-Rhythmus regelt. Wenn es dunkel wird, schickt diese ein Signal an die Zirbeldrüse, die das Schlafhormon Melatonin ausschüttet. Wird es hell, so registriert unsere innere Uhr das und macht uns wach.

In den Wintermonaten, wenn es draußen auch tagsüber oft ziemlich finster bleibt, wird unser Schrittmacher oft weniger stimuliert. Das wiederum kann unseren Schlaf-Wach- Rhythmus durcheinander bringen, so dass wir aus dem Gähnen gar nicht mehr herauskommen.

Warum müssen wir gähnen?

Gähnen. Warum wir das tun? Der US-amerikanische Evolutionsbiologe Andrew Gallup gilt unter seinesgleichen als der Gähn-Papst und behauptet: "Yawning", wie es auf Englisch heißt, ist ein Mechanismus des Körpers, um das Gehirn nicht zu überhitzen. Durch das weite Öffnen des Kiefers werde nicht nur warmes Blut aus dem Gehirn gepumpt, sondern es ströme auch Luft in die Lungen und kühle die Blutgefäße im Kopf.

Und außerdem: Je größer das Hirn, desto länger werde gegähnt. Tiere mit kleinem Oberstübchen gähnten im Schnitt deutlich kürzer als Menschen, die durchschnittlich sechs Sekunden den Mund aufreißen. Mäuse brauchen nicht mal 1,5 Sekunden. Die Schlussfolgerung, die manche Forscher daraus ziehen: Wer lange gähnt, hat mehr Grips.

Der Erlanger Psychiater Timo Oberstein ist da eher skeptisch. "Die Forschung diskutiert seit langem, wozu Gähnen gut ist. Da gibt es ganz viele unterschiedliche Theorien, die alle nebeneinander existieren. Eindeutig geklärt ist das aber immer noch nicht."

Manche Wissenschaftler vermuten, dadurch solle der Sauerstoffgehalt im Blut erhöht werden. Oberstein findet eine andere Erklärung glaubhafter. "Es ist vor allem ein sozialer Faktor in einer Gruppe. Wir alle wissen: Wenn jemand gähnt, ist das ansteckend und die anderen gähnen automatisch mit."

Gegen Müdigkeit hilft frische Luft und eine relativ niedrige Raumtemperatur

Der Grund: Eine Gruppe verständigt sich durch das genussvolle Mundaufreißen darüber, wann eine gemeinsame Pause sinnvoll ist. Die benötigen alle, die längere Zeit bei geschlossenen Fenstern im Büro sitzen und müde werden. Nicht etwa, weil sie zu viel Sauerstoff verbrauchen. "Es liegt daran, dass Menschen beim Ausatmen Kohlendioxid produzieren und dessen Gehalt in der Luft ansteigt. Es liegt aber auch oft an überheizten Räumen", sagt Professor Joachim Ficker, Pneumologe und Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Klinikum Nürnberg.

Steigt der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft auf nur ein Prozent an, haben Menschen oft Probleme, sich zu konzentrieren, bekommen Kopfschmerzen und werden träge. "Bewusstlos werden sie deshalb nicht", stellt der Mediziner klar und gibt auch gleich eine Empfehlung für ein optimales Raumklima: "Wer leistungsfähig sein will, sollte darauf achten, dass die Temperatur zwischen 16 und 18 Grad liegt, nicht höher. Wir wissen: Wärme und zu wenig Bewegung lässt Menschen ermüden."

Regungslosigkeit macht müde

Das trifft auch jene, die sich eigentlich für ausgeschlafene Kerlchen halten. Hocken sie den ganzen Tag weitgehend regungslos in ihrem eigenen Mief vor dem Rechner, dann fangen auch harte Typen irgendwann an, sich die Augen zu reiben und immer häufiger zu blinzeln. Was die Ursache dafür ist? Es existieren auch hier keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern nur Theorien.

Manche Forscher sagen, wenn wir müde werden, schalten unsere Tränendrüsen in den Ruhemodus, wodurch das Auge trocken wird und juckt. Deshalb reiben wir uns die Augen und die Lider werden schwer. Der Erlanger Psychiater Timo Oberstein bleibt skeptisch und glaubt eher an einen sozialen Taktgeber wie beim Gähnen mit dem Signal: Lasst uns rasten. Machen wir mal Pause.

So viel Schlaf ist gesund

Ein gesunder Mensch braucht nachts etwa sieben bis acht Stunden Schlaf, ältere Menschen weniger, Kinder mehr. Entscheidend dafür, dass man sich tagsüber ausgeschlafen und fit fühlt, ist aber nicht nur die Länge, sondern auch die Qualität. "Wer über drei Monate hinweg in den meisten Nächten mehr als neun Stunden schläft und sich immer noch nicht ausgeruht fühlt oder tagsüber häufig einnickt, der sollte zum Arzt gehen", rät Mediziner Oberstein.

Denn einige ernsthafte Erkrankungen wie die so genannte Schlaf-Apnoe mit nächtlichen Atempausen und Sauerstoffmangel, Blutarmut, eine Schilddrüsen- Unterfunktion oder Eisenmangel können große Müdigkeit als Symptom haben. Ärzte werden auch hellhörig, wenn ihre Patienten sich nicht nur schlapp fühlen, sondern auch antriebslos und traurig, wenn sie jegliches Interesse an Aktivität verlieren und freudlos durch den Tag gehen. Denn das sind Hinweise auf eine Depression.

Wie steht es um die sogenannte Frühjahrsmüdigkeit?

Wer allerdings in in den ersten warmen Wochen des Jahres "nur" gähnend durch den Tag schleicht, bei dem könnte sich auch die Frühjahrsmüdigkeit eingenistet haben — obwohl Wissenschaftler nicht wirklich bestätigen wollen, dass es die gibt. Messbar ist sie nicht. Und weil Diagnose-Kriterien fehlen, handelt es sich auch nicht um eine Krankheit.

Manche sagen, der menschliche Körper schaltet im Winter auf Energiesparmodus und muss sich im Frühling erst wieder langsam "aufwärmen", an Aktivität und längere Tage gewöhnen.

Auch mit dem Mittagsschlaf, der in der Lifestyle-Sprache gerne Power-Nap heißt, tun sich die Wissenschaftler schwer. Einige Experten schwören darauf und halten ihn für "ein biologisches Bedürfnis", dem wir unbedingt nachgeben sollten. Ein israelischer Forscher stellte dagegen fest, das Schläfchen zur Mittagszeit gehe bei älteren Menschen, die bereits Vorerkrankungen haben, mit einer höheren Sterblichkeit einher. Das Nickerchen während des Tages belaste Herz und Gefäße zusätzlich.

Fazit: Vieles kann die Wissenschaft nicht klar beantworten

Wer nun Recht hat? Unterschiedliche Studien liefern Belege für beide Seiten. Seltsam. Da bereitet sich die Forschung auf Mega-Ereignisse wie Mars-Expeditionen vor und kann nicht mal die banalsten biologischen Grundlagen sicher begründen, also warum wir gähnen, unsere Lider schwer werden oder ein Nickerchen gut oder schlecht sein mag.

Nur die Augenringe bei Müdigkeit, die lassen sich eindeutig erklären: Sind wir übernächtigt, dann erschlaffen die Gesichtsmuskeln und das Blut in den erweiterten Gefäßen schimmert als Schatten durch die Haut, die an dieser Stelle besonders dünn ist. Eigentlich wäre es dann Zeit zu dösen, schlummern, moggeln, ratzen, gnatzeln, puffeln — aber während der Arbeit geht das natürlich gar nicht.

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