Ice Tigers: Über die Einsamkeit des Eishockey-Reporters

23.12.2020, 06:56 Uhr
Bunt, jung, alt, laut - und am Mittwochabend allenfalls auf dem Sofa mit dabei: die Fans der Nürnberg Ice Tigers.

© Sportfoto Zink / Thomas Hahn, NN Bunt, jung, alt, laut - und am Mittwochabend allenfalls auf dem Sofa mit dabei: die Fans der Nürnberg Ice Tigers.

Irgendwann, wenn die Ice Tigers schon zwei-, dreimal über die Bande gehüpft sind, wird der Stadionsprecher durchsagen, dass man den Puck immer im Auge behalten soll. Das kann ein lebensverlängernder Ratschlag sein. An diesem Mittwochabend aber werden sich die Menschen in der Arena unter ihren FFP2-Masken zulächeln, so wie sich Menschen konspirativ zunicken, die glauben, einen Witz verstanden zu haben. Der Witz ist, dass die Spieler der Ice Tigers und des ERC Ingolstadt schon sehr genau zielen müssen, um auf den Rängen jemanden zu treffen, der dort arbeiten darf.

1:5 in Mannheim! Ice Tigers schlagen sich trotzdem ordentlich

Wahrscheinlich muss der Stadionsprecher das sagen, weil sich das ein Versicherungsjurist so ausgedacht hat. Vielleicht ist es aber auch nur ein Running Gag, den die Stadionsprecher der Deutschen Eishockey Liga in ihrer Stadionsprecher-WhatsApp-Gruppe teilen. Stadionsprecher dürfen arbeiten, weil ja irgendjemand durchsagen muss, wer gerade eben auf die Strafbank geschickt wurde. Früher haben Stadionsprecher jeden unerlaubten Weitschuss verkündet. "Icing!", heißt das, die Stadionsprecher sagten eher "ei-SING!". Das war aber zu einer Zeit, in der Corona noch nicht einmal als Bier bekannt war.

Nur noch Steckdosenstimmung

Ich darf auch arbeiten, werde dieser Arbeit im Auftrag meiner Redaktion aber mit einem schlechten Gewissen nachgehen. Und mit einer gewissen Wehmut. Ich liebe diesen Job. Ganz ernsthaft. Wenn sich in der Arena die Spannung in einem Schrei entlädt, wenn es gerade auf der Welt nichts Wichtigeres zu geben scheint als dieses Power-Play-Tor von Patrick Reimer, wenn sich Eishockey-Bekanntschaften abklatschen und Eishockey-Liebschaften in den Armen liegen, dann versuche ich vergeblich, dem Bild des neutralen Chronisten gerecht zu werden, der von der Euphorie um ihn herum völlig unbeeindruckt nüchtern in seinen Laptop hackt: 3:2 Reimer (62:57/4-3).

Eishockey ist der aufregendste Sport der Welt, daran kann kein aufgeklärter Geist zweifeln. Eishockey ist schnell, technisch hochanspruchsvoll und zuweilen so albern, dass man sich ob seiner Begeisterung dafür ein wenig schämt. Zum unvergesslichen Erlebnis aber machen erst jene Menschen ein Eishockeyspiel, mit denen man diese Liebe teilt. Früher, als die Stadionsprecher noch jedes "ei-SING!" ansagten und die Fußballfans die vielen Ideen klauten, die sie neidvoll beim Eishockey aufgeschnappt hatten, war dieses Erlebnis intensiver. Klar. Aber früher waren ja auch die Winter kälter, die Bratwurstsemmeln billiger und die Promille im Glühwein zahlreicher. Früher sangen die Gästefans auch noch von "Steckdosenstimmung", wenn der DJ versuchte, ein 2:7 durch die Einspielung von "Brown Girl in the Ring" erträglicher zu machen. Heute kommt nahezu alles aus der Steckdose, nur wenige Rituale und Gesänge haben die Umzüge in die Multifunktionsarenen mitgemacht.

Sie werden fehlen, alle Fans

Der Sport selbst aber emotionalisiert die Menschen noch immer. So wie den Generaldirektor unter den Schiedsrichterbeobachtern, wie ich ihn im Buch "111 Gründe, die Ice Tigers zu lieben" beschrieben habe: "Wenig subtil hat der Generaldirektor bereits Dutzende Radioreportagen beeinflusst – wenngleich nicht immer in seinem Sinn. In normalen DEL-Spielen dauert es schon so zehn Minuten, bis der oberste Schiedsrichterbeobachter die erste Wertung vornimmt, meist ein verächtlich herausgespienes 'Blinder, dou'."

Dieser Schiedsrichterbeobachter folgt keinem offiziellen Auftrag. Er ist Fan – natürlich der Ice Tigers, weshalb ein Schiedsrichter, der gegen die Ice Tigers entscheidet, nur eines sein kann: ein Blinder. Am Mittwochabend wird sein Sitz hochgeklappt bleiben. Auch in der Südkürve, wo stets ein sehr alter Mann im Fantrikot selig lächelnd zwischen sehr jungen und sehr lauten Menschen steht, wird niemand stehen. Und das Podest, auf dem Rollstuhfahrer mitfiebern, die unter den Ice Tigers-Spielern große Fans haben, wird leer bleiben. Die Grantler, die Besserwisser, die Schiedsrichterbeobachter, die Eishockey-Familien, die grundlos Jubelnden, die Euphoriker, die Witzigen und die Schweigsamen, sie werden alle nicht dabei sein. Und sie werden alle unglaublich fehlen.

Ich werde auf den Puck achten, konzentriert hacken, mich am Eishockey erfreuen und mir vorstellen, dass alle, die diese Liebe teilen doch gekommen sind. BLINDER, dou!

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