Geschlechterklischees und Rollenbilder

Blau für Jungs, Pink für Mädchen: Drogerie-Kette wegen sexistischer Produkte in der Kritik

10.1.2022, 19:14 Uhr
Im Sortiment des Drogeriemarktes finden sich einige Produkte, die speziell für Mädchen oder Jungen gestaltet wurden. Dafür gab es einen Negativpreis. 

© Uli Deck/dpa Im Sortiment des Drogeriemarktes finden sich einige Produkte, die speziell für Mädchen oder Jungen gestaltet wurden. Dafür gab es einen Negativpreis. 

Ein Shampoo für Prinzessinnen oder Piraten. Ein Lätzchen mit Feen oder Baggern. Die Haarbürste in blau oder rosa. Egal ob es um Spielzeug oder Drogerieprodukte geht, die Diskussion um speziell für Mädchen oder Jungen gestaltete Artikel ist in den letzten Jahren immer lauter geworden. Gender-Marketing lautet der Fachbegriff. Auch die Drogeriekette dm steht wegen geschlechterspezifischer Produktgestaltung immer wieder in der Kritik und hat dafür den "Goldenen Zaunpfahl" verliehen bekommen. Ein Negativpreis, mit dem Unternehmen für "absurdes Gendermarketing" geehrt werden.

"Bei der Drogeriekette dm werden diverse Produkte offensichtlich an ein bestimmtes Geschlecht vermarktet", sagt Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung und Jurymitglied des "Goldenen Zaunpfahls". Das Unternehmen habe eine Vielzahl an Produkten "nach binärer Geschlechtertrennung benannt, sortiert und die Verpackungen entsprechend klischeebehaftet gestaltet", hieß es in der Begründung für die Entscheidung. Schon bei der Nominierung war moniert worden, dass dm schon bei den Allerkleinsten eine Zweiteilung bereit halte: "Sag uns, was dein Kind zwischen den Beinen hat, wir sagen dir, welche Schnuller, Spucktücher, Trinkfläschchen und Lätzchen es benutzen soll."

Bemühungen von dm nicht ausreichend

Der Markt wirbt mit dem Slogan: "Hier bin ich Mensch, hier kauf' ich ein". Doch "weit gefehlt", befand die Jury. "Hier bin ich Mann, Junge, Frau oder Mädchen." Das bringe zwar mehr Geld in die Kassen, wenn Familien die Produkte doppelt kaufen müssten, doch es habe negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern. "In der Wissenschaft ist längst belegt, wie früh und schädlich der Einfluss von geschlechtlichen Zuordnungen auf Kinder wirkt. Sie verhindern eine freie Entwicklung von Interessen, verfestigen unterschiedliche Beurteilungen von Jungen und Mädchen und sie verstärken Vorurteile", so Rahner.

Dm ist mit über 2.000 Geschäftsstellen in Deutschland und rund 9 Milliarden Euro Jahresumsatz die größte Drogeriekette hierzulande. "Stereotype Zuordnungen von Produkten haben im Falle von dm also enorme Auswirkungen", sagt Judith Rahner. Zwar sehe die Jury auch die von dm vorgenommenen Veränderungen, doch "das reicht nicht". Denn "warum wird etwa die "Windeltorte" entweder mit hellblauen oder mit rosa Schleifchen verkauft? Kein Mensch weiß, wozu das gut sein soll." Auch die Preisgestaltung wird von der Jury kritisiert. Denn die geschlechterspezifischen Produkte befeuern nicht nur Klischees und Rollenbilder, sondern seien häufig auch noch unterschiedlich teuer. "Wegen Gender Pricing zahlten Kundinnen auch gern mal zwei Euro mehr für die rosa Einwegrasierer statt für die identisch blaue Variante. Das ist besonders dreist, wenn man bedenkt, dass Frauen in dieser Gesellschaft immer noch weniger verdienen", sagt Rahner.

Schluss mit Geschlechterklischees

In der Laudatio der Jury fallen Begriffe wie "überzogene Schönheitsideale", "sexistische Werbung" und "Männlichkeit bedroht". Sie befindet: "Wenn Mädchen nur Prinzessinnen und Jungen die Abenteurer sein müssen, wenn nicht-binäre Personen kein Duschgel finden und wenn im "Männerregal" die Putzmittel und Babysachen fehlen, dann ist es Zeit für den Wink mit dem Zaunpfahl." Denn mit dem "penetranten Gendermarketing" und dem "Widerkäuen uralter Geschlechterklischees" müsse Schluss sein. Der "Goldene Zaunpfahl" wird seit 2017 jährlich von einem Verein aus Bonn verliehen, der sich nach eigenen Angaben für die "Förderung von Wahlfreiheit jenseits limitierender Rollenklischees" einsetzt.

Dm entgegnete auf die Vorwürfe, dass einige der von den Preis-Initiatoren aufgeführten Produkte schon lange nicht mehr Teil des Sortiments seien. Auch betonte Geschäftsführerin Kerstin Erbe: "Im Dialog mit unseren Kundinnen und Kunden empfehlen wir stets, sich für das Produkt zu entscheiden, mit dem sich die Eltern und vor allem das Kind am wohlsten fühlt – unabhängig von Farben und Motiven." Der Drogeriemarkt orientiere sich primär an den Bedürfnissen der Kundschaft: "So stellen wir in Bezug auf Baby- und Kinderprodukte fest, dass sich die Mehrheit unserer Kundinnen und Kunden für Mädchen und Jungen beispielsweise eine bekannte Farbgestaltung und Gestaltung des Designs wünschen." Selbstverständlich gebe es im Sortiment aber auch Produkte "in geschlechtsneutraler Farbgestaltung".

Mädchenprodukte zielen auf Schönheitsideale

Experten beurteilen die geschlechterspezifischen Verkaufsstrategien von Drogerieartikeln aber auch von Spielzeugen sowohl für die Kindern als für die Eltern kritisch. "Ein Gendermarketing, das Eltern anbietet, alles gleich doppelt zu kaufen. Das blaue Fahrrad für den Jungen, mit dem Piraten drauf. Das rosafarbene für das Mädchen. Dann kann auch nicht untereinander vererbt werden, alles wird doppelt konsumiert, das passt hervorragend zusammen", sagt Stevie Schmiedel, Chefin von Pinkstinks, einer Protestorganisation, die gegen Sexismus und Geschlechterklischees in Werbung, Medien und Gesellschaft kämpft, dem Deutschlandfunk. Gender-Produkte bedeuten nicht nur mehr Umsatz für die Industrie, auch die Kinder werden beeinflusst. Die Genforscherin Uta Brandes untersucht den Zusammenhang von Gestaltung und Geschlecht. Gegenüber dem Deutschlandfunk äußert sie, dass Mädchenprodukte auf Schönheit und Hilfsbereitschaft setzten, während Artikel für Jungen den Helden, Retter und Kämpfer fokussierten.

Das sei eine gefährliche Zurichtung auf Rollen: "Diese Fokussierung aufs Äußere – und das zeigen zahlreiche Studien – ist schwierig für Mädchen, die so sehr darauf achten, nett und lieb und hübsch zu sein, dass sie es dann schwieriger haben, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und ihr Gehalt einzufordern oder sexuellen Übergriffen entgegenzutreten", sagt Brandes. Auch für Jungen sei diese Betonung des Geschlecht problematisch, findet Stevie Schmiedel: "Wenn ein Junge heute mit rosa spielt und einen kleinen rosa Pudel mit in den Kindergarten bringt, dann wird er schnell vom halben Kindergarten gemobbt. Weil die Vorstellung da ist, dann bist Du kein richtiger Junge. Es ist ganz wichtig, diese toxischen Männlichkeitsbilder aufzubrechen, damit Jungs eben auch wild und stark sein können, aber eben auch zart und niedlich."

Gene als Ursprung strittig

Allerdings warnen Soziologen auch davor, die Entwicklung einseitig zu betrachten. Sie sehen einen Zusammenhang darin, dass sich auf der einen Seite die Gesellschaft rasch verändert und klassische Rollenmuster hinterfragt werden und andererseits die Sehnsucht nach eindeutigen Geschlechterverhältnissen wächst. In wie weit geschlechterspezifisches Verhalten von Genen und Hormonen bestimmt wird, ist umstritten. Einige Genderforscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Geschlechterrolle zu 90 Prozent ein Ergebnis von Kultur und Erziehung sei. Uta Brandes ist der Überzeugung, Kinder "kommen als weiße Fläche auf die Welt. Ein schreiendes Bündel von Bedürfnissen".

Der Evolutionsbiologe Harald Euler ist davon nicht überzeugt: "Nicht alle Jungen haben eine Präferenz für technisches Spielzeug und nicht alle Mädchen wollen gerne Puppen haben. Aber: Bei dem einen Geschlecht ist eben das eine häufiger und bei dem anderen Geschlecht das andere", sagt er dem Deutschlandfunk. "Die Spielzeugpräferenzen sind genau etwas, was schon relativ früh, biologisch vorgeformt, auftaucht." Doch überschätzen sollte man den Einfluss von Spielsachen und geschlechterspezifisch gestalteten Produkten aber nicht. Für Euler komme es vor allem darauf an, dass Kinder Spaß an ihrem Spielzeug hätten. "Der Zweck der Kindheit ist nicht nur, sich vorzubereiten auf das spätere Leben und dann Dinge in die Kinder reinzupauken, die sie nachher erfolgreich sein lassen. Sondern für Eltern sollte es auch wichtig sein, ihren Kindern einfach eine schöne Kindheit zu machen. Was später passiert, wird ohnehin stärker durch die Gene beeinflusst, als wir gedacht haben. Und vor allen Dingen: Je älter man wird, desto stärker wird der Einfluss der Gene. Nicht umgekehrt."