16 Jahre Kanzlerin: eine Bilanz

Angela Merkel war eine Moderatorin, keine Macherin

4.12.2021, 10:39 Uhr
Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Großen Zapfenstreich.

© Michael Kappeler/dpa Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Großen Zapfenstreich.

Das waren ganz große Gefühle, eigentlich. Doch auch beim "Großen Zapfenstreich" blieb die scheidende Kanzlerin so, wie wir sie kennen: (scheinbar) unberührt und kühl. Und das trotz der höchst emotionalen Musikstücke, die sie ausgewählt hatte.

Unfassbar lang und voller Krisen

Wie war diese Ära Merkel? Unfassbar lang in dieser so schnelllebigen Zeit, zumal prallvoll mit Krisen - Finanz-, Euro-, Migrations- und Corona-Krise. Da zeigte sich eine Stärke dieser Kanzlerin: Sie war eine Ruhe ausstrahlende Krisenmanagerin.

Ruhe kann gut tun. Oft aber übertrieb Merkel es mit dieser Ruhe. Sie behelligte die Bürger in der Regel wenig mit Politik - was viele angesichts einer teils chaotischen Welt im Wandel wohl schätzen. Sie forderte kaum etwas ein, und sie forderte das Land zu wenig heraus.

Deutschland ist längst nicht mehr der Musterknabe

Auch das brachte Corona schonungslos ans Licht: Dieses lange von vielen Nachbarn bewunderte, sich deshalb auch gern selbst überschätzende Deutschland ist längst nicht mehr der Musterknabe unter den Nationen. Andere zogen vorbei - bei der Digitalisierung, bei Bildung und Infrastruktur. Also bei zentralen Zukunftsthemen.

Das liegt auch daran, dass diese Kanzlerin eine ausgleichende Moderatorin war, auf allen Ebenen - im Bund wie in Europa oder weltweit. Aber fast nie eine Macherin, eine Gestalterin, gar eine Visionärin.

Sie reagierte dann, wenn es sein musste

Reformen oder Projekte, die von ihr ausgingen? Die gab es allenfalls dann, wenn Merkel reagieren musste. Auf das Atomunglück von Fukushima - mit dem Atomausstieg. Auf die Flüchtlingswelle - mit dem Offenhalten der Grenze, das sie energisch und emotional verteidigte, ausnahmsweise. Ähnlich kamen die Abschaffung der Wehrpflicht oder die Einführung der Ehe für alle zustande: Merkel ließ vieles zu, sie trieb wenig voran.

Was ihr nur selten, phasenweise gelang: die Menschen mitzunehmen auf ihren Kurs - vielleicht auch deshalb, weil der selten wirklich klar war. "Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst", sagte sie zu Beginn der Pandemie. Das prägte sich ein - aber dabei blieb es, selbst zuletzt, trotz der wieder ernsten Situation, in der sie gewiss Gehör gefunden hätte.

Vieles wird man vermissen

Wie ihr Verhältnis zur CDU war, der Partei, die sie so lange führte? Eine offene Frage. Sie verwaltete die trotzdem kräftig veränderte Union mehr als sie zu gestalten. Die Nachfolge-Kämpfe um Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur schien sie eher befremdet zu verfolgen.

"Sie kennen mich": Mit diesem Satz warb Merkel vor der Wahl 2013 für sich. Aber kannten wir sie wirklich? Sie, die bis zuletzt kaum etwas von sich preisgab? Werden wir sie vermissen? Ihre Besonnenheit, ihren Stil, ihre absolute Affären-Freiheit und die Art, wie sie mit ihren männlichen (Macho-)Kollegen umging - das auf jeden Fall. Mehr politischen Gestaltungswillen aber wird man ihrem Nachfolger wünschen dürfen. Und auch dem Land.

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