Anschlag von Halle: Wenn das Internet Terror produziert

21.12.2020, 16:09 Uhr
Stephan B. (Bildmitte) wurde im Gerichtssaal in Naumburg zu lebenslanger Haft verurteilt.

© Ronny Hartmann, afp Stephan B. (Bildmitte) wurde im Gerichtssaal in Naumburg zu lebenslanger Haft verurteilt.

Solche Taten gab es auch vor den Zeiten des Internets: Antisemitismus und/oder Ausländerhass steigerten sich bei manchen Radikalen schon immer derart, dass aus hasserfüllten Gedanken und Sprüchen Gewalttaten wurden. Gerade jährte sich der Erlanger Doppelmord an Shlomo Lewin und Frieda Poeschke zum 40. Mal. Anfang der 1990er Jahre häuften sich migrantenfeindliche Anschläge. Zu viele Ortsnamen wurden zu Synonymen für Ausländerhass: Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Hünxe, Hoyerswerda...


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Auch Halle wurde zu so einem Schlagwort für Terror. Stephan B. wollte 2019 an Jom Kippur, dem höchsten Feiertag der Juden, in der Synagoge der Stadt erklärtermaßen möglichst viele Juden töten. Nur ein glücklicher Zufall - er konnte die Tür nicht öffnen - verhinderte ein Massaker. Dennoch tötete der Einzelgänger wahllos zwei Menschen.

Hasserfüllte Pamphlete

Der Unterschied zu den länger zurückliegenden Anschlägen: Stephan B. radikalisierte sich, wie zu viele junge Männer, im Internet. Eigentlich wollte er seinen Anschlag auch im Netz live übertragen - wie etliche Vorgänger, die es zu unfassbarer Berühmtheit brachten und für extremistische Fanatiker zu Vorbildern, ja Helden wurden. Sie haben etliche Gemeinsamkeiten: Sie verfassen oder studieren umfangreiche Pamphlete, in denen sie ihre hasserfüllte Weltsicht dokumentieren. Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 junge Menschen tötete, war da eine Art schrecklicher Pionier.

Aber auch der rechtsradikale Australier, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Muslime in zwei Moscheen tötete, schrieb umfassend über seine Motive, er berief sich ausdrücklich auf Breivik, bei dem er sich "wahre Inspiration" geholt habe. Stephan B. wiederum bezog sich auf den Massenmörder von Christchurch... Auch der Attentäter von Hanau hinterließ seine von Hass strotzende Weltsicht im Netz, wo er sie sich auch zusammenbastelte.

Tickende Zeitbomben vor dem heimischen PC

Es sind in der Regel einsame weiße junge Männer, die sich in ihren Zimmern vor dem PC zu tickenden Zeitbomben radikalisieren. Dazu gehört auch jener 23-Jährige aus Cham, der kürzlich in Nürnberg wegen rechtsradikaler Anschlagspläne zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Er agierte im Netz unter dem Decknamen "Heydrich" - er benannte sich also nach dem Hauptorganisator des Holocaust.

Sie sind zum Teil gut vernetzt, über das Internet, diese hasserfüllten Möchtegern-Herrenmenschen. In der digitalen Welt finden sie Gesinnungsfreunde ebenso wie Hass in unvorstellbaren Dimensionen. Was lässt sich, lässt sich überhaupt etwas tun gegen derartige Exzesse?

Sie halten an ihrem Freund-Feind-Weltbild fest

Mit Bildung und Informationen sind diese Fanatiker offensichtlich nicht (mehr) zu erreichen. Ihr Weltbild ist geschlossen und radikal, es teilt auf in Gut und Böse, in Freund und Feind. Für Schattierungen ist da kein Platz. Dass viele Juden deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens waren und heute oft wieder sind - das müsste die angeblich national, tatsächlich aber nationalistisch-ausgrenzend denkenden neuen und alten Nazis eigentlich irritieren. Sie lassen sich aber längst nicht mehr beirren, haben sich einbetoniert in ihre Irrsinnswelt - derart massiv, dass sie in der Regel daran festhalten, wenn sie für ihre Taten vor Gericht stehen. Stephan B. nahm im Prozess keinen Millimeter von seinem Hass zurück.

Es braucht zur besseren Ermittlung mehr digital kompetente Fahnder. Sie müssen sich auskennen in den Abgründen des Internets, wo sich Wirrköpfe ebenso tummeln wie potenzielle Terroristen. Denn die Gefahr weiterer Wiederholungstäter - und das waren all die genannten Terroristen - besteht, sie dürfte angesichts der globalen Vernetzung der Antisemiten und Rassisten tendenziell steigen.

Lohnende Investitionen

Es wird sich daher lohnen, mehr in die digitale Spurensuche zu investieren, um besonders radikalisierte potenzielle Täter ausfindig zu machen und zu verhindern, dass aus Gewaltfantasien Terror wird. Der "Fall Heydrich" hat gezeigt, dass dies gelingen kann.

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