Gewiss ist, dass nichts gewiss ist

Bundestagswahl 2.0: Diese Studie sollte Politiker alarmieren

5.8.2021, 13:54 Uhr
Für Horst Seehofer und Angela Merkel war die politische Welt noch in Ordnung mit klaren lagern und einem Wahlkampf, der auch in die Bierzelte durfte. All das gilt heute nicht mehr.

© Andreas Gebert, NNZ Für Horst Seehofer und Angela Merkel war die politische Welt noch in Ordnung mit klaren lagern und einem Wahlkampf, der auch in die Bierzelte durfte. All das gilt heute nicht mehr.

Für Politiker sind es weit schwierigere Zeiten, als es auf den ersten Blick scheint. Denn wenn am 26. September mehr als 60 Millionen Deutsche einen neuen Bundestag bestimmen dürfen, ist nur eines gewiss: Die alten Gewissheiten gelten nicht mehr.

"Die vier wichtigsten Themen derzeit zählen alle zu Corona", sagt der Meinungsforscher Helmut Jung. "Von denen haben wir vor zwei Jahren noch gar nichts gehört. Die politische Agenda hat sich völlig verändert." Der Klimaschutz gewinnt laut seiner neuesten Umfrage zwar wieder etwas an Gewicht als Folge der Flutkatastrophen. Insgesamt aber wird er nach Jungs Einschätzung eher nachrangig bleiben und Corona die Agenda bestimmen.

Keine Bindung mehr

Mehr als 2000 Menschen fast jeden Alters haben Jungs Mitarbeiter beim Marktforschungsinstitut GMS befragt und ein umfassendes Bild der Wählerlandschaft entworfen. Was sie herausgefiltert haben, muss die Politik alarmieren. Nur noch 30 Prozent aller Stimmberechtigten sagen von sich, sie seien Stammwähler. Mehr als zwei Drittel entscheiden, wenn sie denn zur Wahl gehen, jedes Mal neu, bei wem sie ihr Kreuz machen. Vor 15 Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt.

"Es gibt kaum noch Wähler, für die nur eine Partei in Betracht kommt", sagt Jung. Weil zudem die Zahl der Briefwähler deutlich wächst, zerfällt laut Jung der Wahlkampf neuerdings "in zwei Kampagnen, technisch und inhaltlich".

Neue Formate

Für die Politiker ist das eine Herausforderung. Sie müssen bereits im Sommer ihr Stammpublikum ansprechen, weil eher die politisch Interessierten zu den Briefwahlunterlagen greifen. Und im Herbst mit neuen, anderen Themen und anderen technischen Kampagnen um die Unentschlossenen kämpfen.

Deren Zahl wächst stetig. Mittlerweile geben 30 Prozent der Befragten an, dass sie sich in den letzten Tagen entscheiden, mehr als ein Zehntel sogar erst am Wahltag. Wobei der Politik die klassischen Formate wegbrechen, etwa die Bierzeltauftritte, in denen die CSU traditionell stark ist.

Nur - um wen kämpfen die Parteien eigentlich? Auch da zeigt sich laut Jung, dass sich die Lage verändert hat. "Die alten sozialen Milieus lösen sich auf", sagt der Wissenschaftler. Und mit ihnen die bisher klaren Lager und politischen Zuordnungen. Beispiel Koalitionen. Jungs Leute haben die Bayern gefragt, wer ihrer Ansicht nach in Berlin regieren sollte. Die Antwort ist eindeutig: eine Koalition aus Union und Grünen. Mehr als die Hälfte der Menschen befürwortet sie, auch bei Grünen- und CSU-Anhängern und Jüngeren wie Älteren. Alle anderen Modelle folgen deutlich abgeschlagen.

Neue Lager

Die Analyse offenbart, dass die alten Schemata nicht mehr funktionieren. Die Grünen haben sich laut Jung weit von den Linken entfernt. Ihre Wählerschichten decken sich mittlerweile mit denen der CSU. Und umgekehrt. Für die CSU macht es das nicht einfacher. Mehr als die Hälfte ihrer denkbaren Wähler könnte sich auch ein Kreuz bei den Grünen vorstellen, bei den Freien Wählern oder bei der FDP. Bei den Grünen sieht es umgekehrt kaum anders aus. Wobei bei ihnen die Bereitschaft für ein Kreuz bei den Schwarzen noch etwas ausgeprägter wäre als bei FDP oder Freien Wählern.


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Zu den großen Verlierern in Jungs Analyse gehört die SPD. Während zwei von drei Befragten sich zumindest unter bestimmten Umständen vorstellen könnten, dass sie CSU oder Grüne wählen, schließen das ebenso zwei Drittel für sich bei der SPD definitiv aus. Lediglich die AfD schneidet noch etwas schlechter ab.

Die Grünen haben der SPD den Rang als zweitstärkste Kraft abgelaufen; 60 Prozent der Bayern könnten sich vorstellen, dass sie mal die Grünen wählen, aber nur noch 33 überhaupt, dass sie der SPD ihre Stimme geben. Die CSU kommt mit 62 Prozent zwar auf etwas mehr als die Grünen. Doch von ihren einst 78 Prozent potenzieller Wähler ist sie weit entfernt, Tendenz sinkend. Oder, wie Wahlforscher Jung sagt: "So anders gehen die Uhren auch in Bayern dann doch nicht mehr."

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