Experte erklärt: So könnten Veranstaltungen trotz Corona stattfinden

1.3.2021, 06:00 Uhr
Der Trachtenmarkt in Greding fand 2020 nur als virtuelle Veranstaltung statt.

© Jürgen Leykamm Der Trachtenmarkt in Greding fand 2020 nur als virtuelle Veranstaltung statt.

Herr Sörgel, in den letzten Tagen hat sich eine Initiative von Veranstaltern, Kultur- und Sportverantwortlichen sowie Wissenschaftlern zu Wort gemeldet, die fordert, sich nicht mehr nur an den Inzidenzwerten zu orientieren, sondern auch an anderen Faktoren wie Auslastung von Krankenhäusern und lokalen Gegebenheiten. Sie haben schon vor knapp einem Jahr Ähnliches angeregt – wie schätzen Sie diesen neuen Vorstoß ein?

Professor Fritz Sörgel (70) leitet in Heroldsberg das international renommierte Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung.

Professor Fritz Sörgel (70) leitet in Heroldsberg das international renommierte Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung. © Foto: Daniel Karmann, dpa

Diese Gruppe schlägt ja vor, eine Einteilung in drei Kategorien vorzunehmen – von einer kleinen Zahl in Veranstaltungsstätten bis hin zu einer Vollauslastung. Ende August 2020 sind ja einige vorgeprescht, speziell Union Berlin mit voller Stadionauslastung. Ich kann nur den Kopf darüber schütteln, wenn man jetzt schon wieder über Vollauslastung nachdenkt. Es ist sogar eine Provokation gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft, die den Bundesligasport schon lange als ungerechtfertigt bevorzugt einschätzen.

Wie schätzen Sie das Risiko der Öffnung für Zuschauer ein?

Man muss vorsichtig anfangen. Wir haben Faktoren, die komplex aufeinander einwirken und nach einem wirklich tragfähigen Rechenmodell rufen, das die Zukunft vorhersagen kann. Wenig hilfreich ist es, wenn Gesundheitsminister Spahn einfach sagt, die Speichel- und "Nasenbohrer"-Selbsttests würden den Lockdown erleichtern helfen und uns wieder ins Theater gehen lassen. Woher nimmt er diese Gewissheit?

Sie haben den Profifußball einmal obszön genannt. Kürzlich haben Sie aber gesagt, man bräuchte ihn jetzt.

Obszön stimmt nach wie vor, ebenso wie der Fußball sich in seiner Hybris als "systemrelevant" bezeichnet. Jetzt könnte Letzteres tatsächlich eintreffen: In der für viele immer bedrohlicher werdenden Pandemie mit Existenzsorgen kann jede kleine Ablenkung nur gut sein.

Lässt sich das vorsichtige Öffnen auch auf die Kultur übertragen? Da passiert ja noch sehr viel mehr innen als im Sport.

Da darf man sich nichts vormachen – die Hallensportarten sind weiterhin die am stärksten Leidtragenden. Es gab ja diesen Versuch der Uni Halle in Leipzig mit dem Bendzko-Konzert und Publikum. Da ist alles simuliert worden, und man hat gesagt, wenn in einer Halle alle Bedingungen eingehalten werden, die Aerosole betreffend, der Abzug, dann kann man das machen – ein Laborversuch. In München lief es mehr wie im echten Leben im Gasteig mit Konzerten im September, Ergebnis positiv.

Öffnungen von Konzerten der klassischen Musik gab es nicht, es sei ja ein sehr diszipliniertes Publikum gewesen, also nicht repräsentativ. Und den Aufschrei, dass es Klassikkonzerte geben darf und die der populären Musik nicht, kann man sich gut vorstellen. Ich glaube, der Grund, warum Politik und die Gesundheitsämter als Ausführende auch auf noch so ausgefeilte Hygienepläne nicht eingehen, ist die Furcht, dass es in der Routine und über längere Zeit nicht funktioniert.

Sie haben Erfahrungen mit kulturellen Veranstaltungen, richten jedes Jahr mit Ihrem Institut ein Benefizkonzert mit internationalen Größen aus...

Letztes Jahr hatten wir für Juni 600 Karten verkauft und hätten es auf Anfang September verschoben – es haben sich aber nicht einmal 50 Leute gemeldet, die Leute hatten offensichtlich Angst, bei Inzidenzzahlen, von denen wir heute nur noch träumen können. Jetzt muss ich mich aber fragen, was seither aus der Gesellschaft geworden ist. Die Menschen müssten ja viel ängstlicher geworden sein – oder ist jetzt der Drang nach draußen größer, gegen alle Vernunft? Ich meine, dass die Kultur möglichst schnell vor allem auf Freiluftveranstaltungen setzen muss, Musik wie Theater. In geschlossenen Räumen bleibt es schwierig, aber es ist möglich.

Welche Veranstaltungsorte meinen Sie konkret?

In Kiel hat die SPD kürzlich ihre Bundestagskandidaten im Fußballstadion gekürt. Man muss solche Plätze und Orte eben zu günstigeren Bedingungen vergeben – da sind die Städte gefragt. Fürth hat das, nebenbei bemerkt, auch gemacht mit Heißmann & Rassau. Es ist ja alles schon da gewesen. Die Stadt Nürnberg müsste beispielsweise die Haupttribüne des Stadions freigeben.

Wie sollte es weitergehen?

Wir merken alle, dass der Frust an immer mehr Stellen längst in Wut und sogar Gewalt übergegangen ist. Jede mit einem vertretbaren Risiko verbundene Möglichkeit, Menschen eine Freude, kulturellen Genuss, ein Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen, sollte genutzt werden. Schon im März sollten Open-Air-Veranstaltungen stattfinden. Mit wenig Besuchern, aber mehreren Vorstellungen pro Tag erreicht man auch hohe Zahlen.

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