Jeder Vierte hat Migrationshintergrund: Auf ewig ein Fremder?

28.7.2020, 16:45 Uhr
Ein Mann malt die Fahnen verschiedener Nationen auf das Pflaster der Fußgängerzone von Paderborn.

© Friso Gentsch, dpa Ein Mann malt die Fahnen verschiedener Nationen auf das Pflaster der Fußgängerzone von Paderborn.

Es lässt sich nicht vom Tisch wischen: Dass in Deutschland inzwischen jeder Vierte einen Migrationshintergrund hat, dass es in Großstädten wie Nürnberg bereits jeder Zweite ist – das macht manchen Menschen Angst. Angst vor Überfremdung, Angst, eines Tages nur noch einer Minderheit anzugehören. Wer es sich leicht machen will, bezeichnet solche Menschen allesamt als Rassisten – dann erübrigt sich jede weitere Diskussion, dann wäre dieser Kommentar bereits hier zu Ende.

Stattdessen soll an dieser Stelle ein anderer Gedanke aufgeworfen werden: Ängste sind in Ordnung, weil schließlich niemand etwas für sie kann, aber es gibt viele rationale Gründe, die einem die Angst nehmen können vor einem immer weiter steigenden Anteil von Migranten in Deutschland. Einer dieser Gründe: Ja, es gibt Fälle gescheiterter Integration in Deutschland, aber es gibt eben auch das andere Bild, das viel zu wenig gezeigt wird: dass Deutschlands Arbeitsmarktwunder ohne Migranten nicht möglich gewesen wäre, dass es gerade Migranten sind, die in den Jobs arbeiten, die uns in Zeiten von Corona plötzlich so wichtig wurden.

Viel wichtiger aber: Das "Wir und Die" ist eigentlich nur eine Konstruktion. Für Deutschlands Behörden ist der Fall zwar klar: Wer selbst oder wessen Vater oder Mutter in einem anderen Land geboren ist, hat per definitionem einen Migrationshintergrund. Es zählt also einzig: die Abstammung. Das ist aber deshalb absurd, weil die Frage, wie gut Menschen tatsächlich integriert sind – ob sie von Job bis Sportverein ein ganz normales "deutsches" Leben führen oder in abgeschotteten Parallelgesellschaften leben – hier überhaupt keine Rolle spielt.

Dass sich Deutschsein einzig an der Abstammung festmacht, ist auch deshalb problematisch, weil es jedem, der neu hierherkommt, von vornherein die Unmöglichkeit vor Augen führt, jemals ein Deutscher zu werden. Ganz egal, wie sehr er sich anstrengt – er ist dazu verdammt, auf ewig ein Fremder zu bleiben.

Sarrazins Fatalismus

Ausgehend von solchen Überlegungen hat das Forscherpaar Marina und Herfried Münkler in seinem Buch "Die neuen Deutschen" eine Neudefinition des Deutschseins gefordert, die sich eben nicht an Abstammung festmacht – sondern an den Werten, die jedes Individuum lebt. Die Münklers setzten damit ein Zeichen gegen den Fatalismus etwa eines Thilo Sarrazin, wonach ein ungebildeter Migrant für immer ein ungebildeter Migrant bleiben muss.

Als Martin Luther King der Welt von seinem Traum erzählte, da wünschte er sich, "dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden". Man mag das als pathetisch abtun. Oder einfach sein Bestes geben, danach zu leben.

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