Ampel fast auf Grün

Koalitionsgespräche: Eine Abrechnung mit der Ära Merkel

15.10.2021, 15:59 Uhr
Noch ist es nicht so weit: Doch am Ende der Koalitionsgespräche könnte die Ampel auf Grün springen.

© Moritz Frankenberg, dpa Noch ist es nicht so weit: Doch am Ende der Koalitionsgespräche könnte die Ampel auf Grün springen.

Im Grunde ist das Sondierungspapier eine zwölfseitige Anklageschrift. Abgerechnet wird darin mit der zu Ende gehenden Ära Merkel. Die SPD richtet somit auch ein Stück weit über die eigenen Versäumnisse in GroKo-Zeiten. Gelingt es tatsächlich auf dieser Grundlage eine Koalition zu schmieden, wäre dies ein äußerst ambitioniertes Bündnis.

Denn es sind weniger Formelkompromisse, die eigentlich nach den Sondierungen dreier ungleicher Parteien zu erwarten gewesen wären, vielmehr liegt die Messlatte ziemlich hoch. Das Land steht, wie es FDP-Chef Christian Lindner pathetisch formuliert, vor einer "Zäsur in der politischen Kultur".

Diese Kultur stand bislang, wenn es um neue Bundesregierungen ging, für einen kleinsten gemeinsamen Nenner. SPD, Grüne und FDP wollen mehr. Ob das Schmieden einer derart ambitionierten Allianz tatsächlich gelingt, müssen die kommenden Wochen zeigen. Noch steht die Ampel auf Gelb. Grünes Licht kann erst dann signalisiert werden, wenn die Parteigremien ihre Zustimmung erteilen und am Ende ein unterschriftsreifer Vertrag vorliegt.

Nach heutigem Stand sieht es ganz so aus, als ob die verbliebenen Hürden übersprungen werden können. Das war nicht selbstverständlich. Dass etwa der Mindestlohn im kommenden Jahr auf 12 Euro steigen soll, schien für die Liberalen bis vor kurzem nicht vorstellbar. Dafür setzte sich die FDP bei der Rückkehr der Schuldenbremse ab 2023 vollumfänglich durch.

Was den Kohleausstieg anbelangt, hat es nur zu einer abwaschbaren Ziellinie gereicht: "Idealerweise" bis 2030 soll dieser Schritt vollzogen. Läuft es nicht ideal, wird's halt später, dieses Hintertürchen wollen sich die Koalitionäre in spe offenbar ganz bewusst offenhalten. Somit zählt diese Passage zu den schwächeren des Papiers.

Großen Modernisierungswillen zeigen die drei Wahlgewinner beim dringend gebotenen Reha-Programm für den Staat. Die Verwaltungen im Lande sollen endlich zügiges Arbeiten an den Tag legen. Und die Bürger sollen als das behandelt werden, was sie im Binnenverhältnis zur jeweiligen Behörde auch sind: als Kunden. So etwas schreibt sich allerdings schneller als es umgesetzt ist.

Geradezu als Schlag ins Gesicht des letzten Merkel-Kabinetts lesen sich die Sätze zur Digitalisierung. Hier stehen die Zeichen auf Neuanfang. Weil die bisher geleistete Arbeit schlicht ungenügend war.

Wäre die Bundesrepublik ein angeschlagenes Unternehmen, würden externe Berater genau ein solches Papier erarbeiten wie es Sozialdemokraten, Grüne und Liberale getan haben. Die eigentliche Schwierigkeit liegt in der Umsetzung. Gelingt diese, steht Deutschland am Ende kernsaniert da.

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