Korruption als Staatsräson?

Kommentar zum Kurz-Rücktritt: Warnschuss für alle Demokraten

10.10.2021, 07:44 Uhr
Der Rücktritt Kurz' ist ein unvermeidlicher Akt der politischen Hygiene, das Großreinemachen in Wien steht erst noch bevor.

© photonews.at/Georges Schneider via www.imago-images.de, imago images/photonews.at Der Rücktritt Kurz' ist ein unvermeidlicher Akt der politischen Hygiene, das Großreinemachen in Wien steht erst noch bevor.

Ein Strahlemann, der europaweit in konservativen Kreisen bewundert wurde: Das war Sebastian Kurz bis vor kurzem. Die Ibiza-Affäre hatte dem jungen Kanzler nicht geschadet, obwohl damals schon das "System Kurz" kontrovers diskutiert worden ist.

Der Charme des Jungkanzlers hat vieles übertüncht, die Zahl der Kurz-Fans ist trotz erster Ungereimtheiten eher gestiegen, auch Markus Söder zählte zu den stillen Bewunderern des ÖVP-Parteichefs. Gerne sonnten sich bürgerliche Politiker im Glanze des Erfolgsmanns, viele Fotos zeugen davon.


Österreichs Kanzler Kurz tritt nach Korruptionsvorwürfen ab


Bleibt zu hoffen, dass all diejenigen, die sich vom Erfolg haben blenden lassen, nun die Lehrer aus Kurz-Sturz ziehen und künftig etwas genauer hinschauen, wem sie zujubeln. Denn Sebastian Kurz' kometenhafter Aufstieg ist offenbar von Anfang an durch schmutzigen Machenschaften, eingefädelt von einer machtgeilen Clique, begleitet worden.

Es ist ein erschreckendes Sittengemälde eines politischen Systems, das sich jenseits der noch ausstehenden strafrechtlichen Ermittlungen, abzeichnet: Der Kurz-Clan hat durch Vetternwirtschaft die Demokratie in unserem Nachbarland regelrecht verhöhnt. Wer mitspielte, wurde nach oben befördert.

Von der rüpelhaften Sprache, mit der Mitbewerber in zigtausenden SMS-Nachrichten abgekanzelt wurden ("Arsch") über das Ignorieren der parlamentarischen Grundregeln bis hin zu einer erstaunlichen Chuzpe, mit der Kurz unbequemen Fragen bis vor wenigen Tagen entgegen getreten ist: Das Schmierentheater in Wien sollte als Lehrstück für die Gefährdung von Demokratien in die Annalen eingehen.

Wenn populistische Tendenzen, die gerade in konservativen Kreisen immer wieder zu beobachten sind, sich wie ein Virus ungeschützt verbreiten, droht am Ende das System zu zerbrechen.

Gefahr gebannt? Von wegen

Wer nun glaubt, dass in Österreich die Gefahr gebannt ist, irrt. Zum einen mischt Sebastian Kurz als Chef der stärksten politischen Kraft weiterhin mit, zum anderen war die Alpenrepublik schon häufiger Schauplatz unbotmäßiger Verquickungen zwischen Medien, Politik und Wirtschaftsinteressen.

Der Rücktritt Kurz' ist ein unvermeidlicher Akt der politischen Hygiene, das Großreinemachen in Wien steht erst noch bevor. Dazu bedarf es eines nationales Kraftaktes: Der Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, haben mit ihren klaren Aussagen, die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Regierungschef nicht fortzusetzen, erst den Anfang gemacht.

Viel hängt nun von der einst so mächtigen Volkspartei ab. Schafft es die vom Kurz-Clan zum Kanzlerwahlverein degradierte Partei, sich aufzurichten? Nur dann kann verhindert werden, dass Kurz als Fraktionschef im Parlament in erster Reihe als Strippenzieher mitmischt und somit sein zweites Comeback (nach der Ibiza-Affäre musste er bereits einmal zurücktreten) einzuleiten. Wohin Österreichs Demokratie derzeit steuert, ist also noch nicht abzusehen.

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