Brüssel und die Ampel

Scholz als Kanzler? Europas Sozialdemokraten fühlen Wind unter ihren Flügeln

17.10.2021, 11:37 Uhr
Wird Olaf Scholz bald Bundeskanzler? Das würde in Brüssel vielen sozialdemokratischen Politikern gut gefallen.

© CHRISTOF STACHE, AFP Wird Olaf Scholz bald Bundeskanzler? Das würde in Brüssel vielen sozialdemokratischen Politikern gut gefallen.

Die Sozialdemokraten in Europa haben seit einigen Jahren nicht allzu viel zu feiern. Umso freudiger wurde im Brüsseler Kreis der Sozialisten das Wahlergebnis aus Deutschland aufgenommen. Einige bewerten es bereits als Teil eines Trends. So siegte in Norwegen kürzlich die Arbeiterpartei bei der Parlamentswahl. Und nun ging das Mitte-Links-Lager um die Partito Democratico (PD) bei den Kommunalwahlen in Italien gestärkt hervor.

Ein "historischer Moment"

Eine neue deutsche Regierung unter Olaf Scholz wäre „gerade in diesem historischen Moment eine sehr gute Nachricht für Europa“, sagt Iratxe García, Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, unserer Zeitung. Der Erfolg zeige, zusammen mit dem guten Ergebnis der PD, „dass wir eine sozialdemokratische Welle in der EU erleben“, so die Spanierin. „Wir müssen das Momentum nutzen, um auf eine progressive Agenda zu drängen.“

Als die COVID-19-Pandemie ausbrach, „war die Tatsache, dass Olaf Scholz Finanzminister in der CDU/SPD-Koalition war, entscheidend dafür, dass Deutschland auf eine solidarische Reaktion drängte und gleichzeitig in die Zukunft investierte“. Der Vertrag über den europäischen Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, der die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abfedern soll, fasse die sozialdemokratische Agenda zusammen: „Den digitalen und grünen Wandel durch neue wirtschaftliche Instrumente in Angriff nehmen auf der Grundlage von Solidarität und gemeinsamem Handeln​". Das 750 Milliarden Euro schwere Programm ist das größte Haushalts- und Finanzpaket in der Geschichte der EU.

Gespräche gehen weiter

Noch laufen die Gespräche zwischen SPD, Grüne und FDP, um Gemeinsamkeiten für eine mögliche Ampelkoalition herauszuarbeiten. Auf europäischer Ebene sind diese dagegen Alltag. Können die Sondierer in Deutschland also von ihren europäischen Kollegen lernen, auch wenn sich die Situation in Brüssel unterscheidet, weil es keine regierungstragende Mehrheit gibt?

„Wir haben eine gute Zusammenarbeit, vor allem in den Ausschüssen“, sagte der FDP-Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen. Im EU-Parlament liege der Fokus mehr auf Inhalten, man arbeite über Parteigrenzen hinweg und sehr persönlich zusammen. Bei gesellschaftlichen Fragestellungen stünden die Liberalen traditionell den Grünen und den Sozialdemokraten näher. Bei umwelt- und wirtschaftspolitischen Themen dagegen gebe es mehr Gemeinsamkeiten mit den Christdemokraten.

„Jede Konstellation hat immer ihre Herausforderungen“, so Oetjen weiter. Gleichwohl sei man sich etwa beim Klimaschutz mit den Grünen im Ziel einig. „Die Unterschiede bestehen darin, wie wir es erreichen wollen.“ Auch Daniel Freund, Europaabgeordneter bei den Grünen, findet, man könne Lehren aus Brüssel ziehen. „Wir müssen immer mit allen Demokraten reden und Mehrheiten finden.“ Seiner Erfahrung nach gebe es oft zunächst Absprachen zwischen den Grünen und Liberalen, bevor man zu „den Großen“ gehe.

Die deutschen Grünen seien nahe dran an dem​, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte. Dessen Partei La République en Marche und die FDP wiederum gehören auf EU-Ebene der Renew-Fraktion an. Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen Grünen und Liberalen sieht Freund vor allem bei der Rechtsstaatlichkeit und dem Wunsch nach einer Reform der EU. Klare Differenzen dagegen ​gebe es bei den Themen Steuern und gemeinsame Investitionen. Auch wenn man zwischen Sozialdemokraten und Grünen ​häufiger Schnittmengen finde, sei es nicht immer ganz so einfach, heißt es.

Ähnliche Töne hört man hinter den Kulissen von Seiten der Sozialdemokraten. „Fröhliche Eintracht ist es nicht“, meinte ein Insider über die Spannungen, die hauptsächlich daher rührten, dass die Grünen stärker wurden. Gleichwohl sei es nicht so, „dass die, die in Berlin eine Koalition bilden, in der EU ein Herz und eine Seele sind - oder sein müssen“.

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