Sozialismus-Debatte: Kühnerts Thesen schaden nicht nur der SPD

2.5.2019, 11:56 Uhr
Juso-Chef Kevin Kühnert eckt immer wieder mit seinen Thesen an.

© Kay Nietfeld, dpa Juso-Chef Kevin Kühnert eckt immer wieder mit seinen Thesen an.

Unterstützer findet er kaum, der Juso-Chef, um den es in den vergangenen Wochen ruhig(er) geworden ist. Mit dieser Ruhe ist es nun vorbei, denn Kevin Kühnert beherrscht die Schlagzeilen an den Brückentagen nach dem 1. Mai. Und die Stallwachen in allen Parteizentralen haben jede Menge mit ihm zu tun: Union und Liberale sind hörbar begeistert über die Kollektivierungs-Fantasien des SPD-Nachwuchses kurz vor der Europawahl und vielen kommunalen Abstimmungen sowie der Bürgerschaftswahl in Bremen. Und die SPD? Muss versuchen, die weit übers Ziel hinausschießende Debatte einzubremsen. Was nicht leicht ist.

Kevin also allein zu Haus? Ja, mit der Art und Weise, wie er sich da in Szene gesetzt hat, eckt er überall an. Der Filmtitel passt bei ihm doppelt: Kevin Kühnert, allein in seinem vielleicht eigenen, vielleicht genossenschaftlichen Zuhause. Denn auch mit dem, was er zum Thema Wohnungen sagte, richtet Kühnert mehr Schaden an als sinnvolle Diskussionen.


Netzreaktionen zu Kühnerts Thesen: "Was hat der geraucht?"


Nur noch eine Wohnung pro Bürger/Familie, wenn möglich eine genossenschaftlich organisierte? Damit stößt der Juso-Chef so gut wie alle vor den Kopf: Die Mehrheit derjenigen, die keine eigenen vier Wände besitzen, sowieso. Aber auch die vielen, die sich eine Wohnung oder ein Haus leisten können und sich darüber hinaus vielleicht noch eine Immobilie zur Altersversorgung oder für ihre Familie angeschafft haben. Das geht weit über die in Berlin begonnene Diskussion über mögliche Enteignungen großer, rein auf Profit setzender Immobilien-Konzerne hinaus und sorgt für breite Verunsicherung.

Ähnliche Reaktionen löst Kühnert mit seinen Gedankenspielen über einen sozialisierten Automobilkonzern aus. BMW enteignen? Und dann? Übernehmen Arbeiterräte die Leitung des Konzerns? Auch da schneidet der Juso-Chef einen wunden Punkt an, liefert aber falsche Rezepte. Natürlich ist es eine zum Himmel schreiende soziale Ungerechtigkeit, dass die BMW-Haupteigner, die Familie Quandt, alljährlich milliardenschwere Dividenden vom Konzern erhalten, dafür aber deutlich weniger Steuern zahlen müssen als Normalverdiener. Aber da wäre eine Steuerpolitik gefragt, die hohe Vermögen mehr belastet - keine neue Sozialismus-Debatte. Denn einen erfolgreichen, funktionierenden, prosperierenden Sozialismus - den hat es eben nie und nirgends gegeben.

Über die Rolle des Staates zu reden und was seine Aufgaben sind - das ist wichtig. Nicht jede Privatisierung ist gut, bei elementaren Dingen wie der Wasserversorgung kann es besser sein, sie in kommunaler oder staatlicher Hoheit zu belassen. Aber darum ging es Kühnert eben allenfalls am Rande.

Er geht mit seinen Ideen zurück in die Vergangenheit: Bis Ende der 1950er Jahre hegte die SPD ähnlich sozialistische Vorstellungen. In ihrem Godesberger Programm von 1959 schloss die Partei dann ihren Frieden mit jener erfolgreich anlaufenden Sozialen Marktwirtschaft, deren Erfolg keineswegs nur Ludwig Erhards Verdienst war. Und: Wichtiger, notwendiger als das Schwadronieren über Enteignungen oder Verstaatlichungen wäre eine Rückbesinnung auf die längst nicht mehr geltenden Grundsätze dieser Sozialen Marktwirtschaft, in der das Wort "sozial" nicht ohne Grund groß geschrieben wird. Darüber lohnte es sich zu streiten, gerader für eine sozialdemokratische Partei. Was sich nicht lohnt, sondern einer zukunftsorientierten Debatte massiv schadet, ist das Ausmotten längst und, weil untauglich, zu Recht aussortierter Rezepte.

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