Terroristen unterstützt? Nürnberger steht heute in der Türkei vor Gericht

5.3.2021, 05:55 Uhr
Darf die Türkei seit mehr als einem Jahr nicht verlassen: der Nürnberger Erdogan Ataš.

© Foto: privat Darf die Türkei seit mehr als einem Jahr nicht verlassen: der Nürnberger Erdogan Ataš.

Eigentlich wollte Erdogan Ataš (57) im Herbst 2019 nur seine Mutter besuchen. Sie war krank und brauchte Pflege. Er wollte vorbeischauen, sich zunächst um eine gute Versorgung kümmern und sie dann mit nach Deutschland nehmen. Also kaufte sich der Musikpädagoge aus Nürnberg ein Flugticket und hob ab in Richtung Türkei. Am Ende seiner Reise war er in seinem Geburtsort angekommen, einem kleinen Dorf unweit der Stadt Tunceli, die im kurdischen Teil des Landes liegt, weit im Osten in Anatolien. Alles verlief nach Plan.


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Das änderte sich rasant, als Ataš die Heimreise antreten wollte und zum Flughafen unterwegs war. Er wurde unvermittelt verhaftet, saß mehrere Tage in einer Zelle und wusste zunächst gar nicht, wieso ihm das widerfuhr. Bis ihm jemand eröffnete, dass er der Unterstützung einer terroristischen Organisation verdächtigt wurde – unter anderem der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans.

Beruflich im Medya Volkshaus unterwegs

Ataš verstand die Welt nicht mehr. Er, ein Terrorist? In seiner Heimatstadt Nürnberg arbeitet er als Sozialpädagoge, gibt hier und dort Gitarrenunterricht, tritt bei Veranstaltungen auf. Nun hielt ihm die türkische Justiz vor, er habe geholfen, Demonstrationen gegen den türkischen Staat mitzuorganisieren oder sich an Hungerstreiks beteiligt zu haben. Der 57-Jährige kramte in seinem Gedächtnis und erinnerte sich schließlich, dass er bei der Ausübung seines Berufs – dazu gehört unter anderem "aufsuchende Sozialarbeit" – das ein oder andere Mal im Medya Volkshaus in der Nürnberger Südstadt zu tun hatte, einem kurdischen Kulturzentrum. Weil das eben zu seinem Job gehörte.

Radikale Kurden betrachtet die Regierung in Ankara als Staatsfeinde, das ist Ataš bewusst. Aber seine paar Besuche als Sozialpädagoge in diesem Haus, das sollte ausreichen, um einen Terrorismusverdacht zu erhärten? Oder auch der Auftritt als Musiker bei einem kurdischen Kulturfest? Sein Engagement bei Sprach- und Integrationskursen? Ataš wandte sich an die deutsche Botschaft in Ankara, trug seinen Fall vor und erhoffte sich Unterstützung auf diplomatischer Ebene. Schließlich ist er deutscher Staatsbürger mit all den dazugehörigen Papieren, dachte zuerst an eine Verwechslung.

Richter moniert "fehlende Beweise"

Doch von der Botschaft kam nicht viel, Ataš blieb auf sich gestellt und erhielt ein unbefristetes Ausreiseverbot. Zweimal pro Woche muss er sich seitdem persönlich bei der Polizei melden, bis heute. Einige Zeit später durfte er etwas Hoffnung schöpfen: Ein Richter im weit entfernten Ankara ließ die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft nicht zu, "wegen fehlender Beweise", wie es hieß. Doch der Ankläger ließ nicht locker, formulierte die Vorwürfe neu, ergänzte sie an der ein oder andere Stelle und drängte erneut auf einen Prozess.


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Ataš nahm die Sache ernst und versuchte, das Ausreiseverbot aufheben zu lassen, um Beweise für seine Unschuld zu sammeln. Doch dieses Ersuchen wurde abgelehnt. Und so besorgte er Belege über seine berufliche Tätigkeit in Franken, übersetzte alles ins Türkische und fertigte einen Lebenslauf an, um so der Justiz darzulegen, wie sein Leben tatsächlich aussieht. "Ob das etwas bringt, weiß ich nicht. Vielleicht interessiert sich das Gericht gar nicht dafür." Aber untätig herumsitzen wollte er auch nicht.

Sein Leben zuhause in Nürnberg, das ist ihm längst klar, liegt sozusagen in Trümmern. Einen Job in einem Nürnberger Kulturladen konnte er niemals antreten. Seine Familie hat er seit nunmehr bereits anderthalb Jahren nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen.

Konsularbeamter will Prozess beobachten

Sein Sohn Ronan, der ebenfalls als Sozialpädagoge in der Noris lebt und arbeitet, traut sich nicht, seinen Vater zu besuchen – aus Angst, dass die türkischen Behörden ihn ähnlich wie seinen Vater festsetzen. Heute nun ist es soweit, Ataš muss vor Gericht erscheinen, wo sein Fall verhandelt wird. Dort wird er nicht allein stehen, er hat einen Anwalt an seiner Seite. Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt darüber hinaus das Auswärtige Amt in Berlin: "Der Fall ist uns bekannt. Wir betreuen den Betroffenen konsularisch über unsere Botschaft in Ankara, die auch bebsichtigt, in Person eines Konsularbeamten beobachtend an dem genannten Termin teilzunehmen."

Derweil versuchen noch andere, einen Hebel anzusetzen. Martina Mittenhuber vom Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg ist alarmiert und tut das ihre, um Ataš weitere Unterstützung zukommen zu lassen. So hat sie unter anderem die Menschensrechtbeauftragte der Bundesregierung, die SPD-Politikerin Bärbel Kofler, über den Vorgang informiert.

Dass ein Vertreter des deutschen Staats im Saal sein wird, wenn die Anklage verlesen wird, beruhigt Ataš ein wenig. Die Aussicht, womöglich in einem türkischen Gefängnis zu landen, macht ihm dennoch Angst. "Wenn die Gerichte nach dem Gesetz handeln, dürfte das alles eigentlich kein Problem sein", erklärt er am Telefon und macht sich damit selber ein wenig Mut. Den wird er noch brauchen.

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