Nachfolger in Planung

Volle Züge und heiße Debatten: Was hat das 9-Euro-Ticket eigentlich gebracht?

Julia Ruhnau

nordbayern.de

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11.9.2022, 05:55 Uhr
So mancher Pendler hatte das 9-Euro-Ticket ins Herz geschlossen.

© IMAGO/Wolfgang Maria Weber So mancher Pendler hatte das 9-Euro-Ticket ins Herz geschlossen.

Überfüllte Züge und Punks auf Sylt - wer sich das Medienecho zum 9-Euro-Ticket in Erinnerung ruft, dürfte vor allem diese beiden Dinge im Kopf behalten haben. Aktuell debattiert die Politik darüber, wie ein Nachfolger für das Billigticket aussehen könnte, das in der Bevölkerung insgesamt gut ankam.

Die Grünen schlugen ein 49-Euro-Ticket vor, die Ampelparteien haben sich zuletzt auf ein Modell geeinigt, das zwischen 49 und 69 Euro kosten soll. Allerdings müssen die Länder noch mitziehen. Bayern zeigte sich zuletzt wenig kooperativ. "Wenn der Bund das haben will, muss der Bund das finanzieren", sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums.

Was hat das 9-Euro-Ticket gebracht?

Doch um die Nachfolge sinnvoll regeln zu können, stellt sich zunächst die Frage: Was hat das Ticket überhaupt gebracht? Wer hat es genutzt und wofür? Und sind tatsächlich Verkehrsteilnehmer vom Auto auf Bus und Bahn umgestiegen?

Mit dieser Frage haben sich inzwischen mehrere Studien beschäftigt. Wichtig für den Erfolg des 9-Euro-Tickets sei neben dem Preis vor allem seine Einfachheit gewesen. Darüber sind sich alle einig. "Wir haben Ende Juni, Anfang Juli mit unserer Studie gemessen, dass rund die Hälfte der deutschen erwachsenen Bevölkerung ein solches Ticket hatte", sagt Claudia Nobis. Sie ist Leiterin der Gruppe Mobilitätsverhalten am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. "Das ist eine unglaubliche Verbreitung."

Ende Juni habe das Ticket einen Bekanntheitsgrad von 98 Prozent gehabt. 60 Prozent gaben an, es im Detail verstanden zu haben - nicht selbstverständlich im Tarifdschungel der Bahn und der Verkehrsbetriebe. Und auch die Zahl der verkauften Tickets ist gigantisch: Rund 52 Millionen zählte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) innerhalb der drei Monate, in denen das Angebot galt.

Günstig von A nach B

Ein Ziel hat das Ticket also offenbar für viele Menschen erfüllt: günstig von A nach B zu kommen. Dabei gab es zwei Gruppen von Nutzern: die Freizeitfahrer und die Pendler. "Die, die es selten genutzt haben, sei es ein- bis drei-, viermal im Monat, die haben es überwiegend für die Freizeit genutzt", sagt Nobis. Wer öfter fuhr, bewältigte häufig auch den Arbeitsweg mit den Öffentlichen. Ein Drittel der Nutzerinnen und Nutzer habe 20 und mehr Fahrten gemacht - die Hälfte davon fanden im Berufsverkehr statt.

Ob diese Menschen alle das Auto stehen gelassen haben, ist dagegen schwer zu messen. Was das 9-Euro-Ticket wohl geschafft hat, ist, den Corona-Effekt aufzuheben. In der Pandemie stiegen viele Menschen auf das Auto um. Das sei nun Geschichte, so Nobis. "Wir haben quasi durch dieses Ticket wieder eine Rolle rückwärts gemacht und mindestens den Zustand davor erreicht." Und noch mehr: Statt nur vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen, wie es in den Sommermonaten klassischerweise viele Menschen tun, nutzten drei Viertel auch den ÖPNV. "Das ist sehr untypisch für die Zeit", sagt Nobis.

CO2-Einsparungen sind schwer zu schätzen

Das heißt allerdings nicht, dass in dieser Zeit auch alle ihr Auto stehen ließen. Der VDV sieht durch das 9-Euro-Ticket eine geschätzte CO2-Einsparung von 1,8 Millionen Tonnen. Andere sind da deutlich zurückhaltender. Mark Andor vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen schätzt die Einsparung auf maximal 700.000 Tonnen. Allerdings seien solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen.

"Was wir finden, ist, dass die ÖPNV-Nutzung wirklich sehr stark zugenommen hat." Das Auto-Fahrverhalten sei gleichzeitig aber nicht so stark zurückgegangen, sagt Andor. Bei etwa 2,5 Milliarden Euro Kosten für das Billigticket sei das "eine relativ teure kurzfristige Klimapolitik".

Was sich nach den drei Monaten 9-Euro-Ticket in jedem Fall zeigt, ist ein bekanntes Problem: Auf dem Land wird es schwierig mit öffentlichen Verkehrsmitteln. "In den ländlichen Gebieten, wo der Bus gelegentlich kommt, haben wir kaum 9-Euro-Effekte", sagt Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). "Das muss man einfach sehen, dass selbst bei uns in Deutschland (...) der ländliche Raum für den ÖPNV für die Menschen, die nicht Ausbildungs-und Schülerverkehre machen, praktisch verloren ist."

Die Wissenschaftler fragen sich daher: Wäre es nicht sinnvoll, das Geld für die Subventionierung von billigen Tickets stattdessen in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu stecken? Für besser Anbindung, für bessere Taktung? Im Endeffekt sei das eine politische Frage. Klimaschutz oder soziale Teilhabe? Und für welchen Preis, mit welchem Budget?

69 Euro will kaum jemand zahlen

Einig sind sich alle, dass ein Nachfolgeticket möglichst günstig und vor allem einfach sein sollte. "Wir haben gefragt, wie viel sind die Leute bereit, zukünftig für das Ticket zu bezahlen", sagt Forscher Andor. "Bei 9 Euro wären es etwas über 50 Prozent, bei 29 Euro 26 Prozent und bei 69 Euro 4 Prozent." Das aktuelle Modell der Bundesregierung würde also womöglich auf wenig Zustimmung stoßen.

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