Zurück zur Klassengesellschaft? Sozialbericht belegt, was zu befürchten war

10.3.2021, 17:32 Uhr
Sozial Schwächere werden durch die Krise mehr belastet - und müssen sich einschränken.

© Andreas Gebert, NN Sozial Schwächere werden durch die Krise mehr belastet - und müssen sich einschränken.

Das wird eine der großen Herausforderungen in der Zeit nach Corona: Wie lassen sich die Gräben wieder verkleinern, die durch die Pandemie entstanden oder vergrößert wurden? Neben der gesellschaftlichen wuchs da auch die soziale Polarisierung - was der Sozialbericht mit einer Fülle von Daten belegt.

Was sich abzeichnet, ist - gar nicht sehr zugespitzt - eine Rückkehr zu einer Klassengesellschaft, wie es sie im Kaiserreich gab oder in der Weimarer Republik, aber in der Bundesrepublik in diesem Ausmaß kaum. Denn eine der großen Errungenschaften nach 1949 war die soziale Austariertheit der Gesellschaft, die von der Politik auch gefördert wurde durch Sozial- und Bildungspolitik (Stichwort Bafög als Aufstiegschance).

Armut verfestigt sich

Da wird nun viel zurückgedreht. Armut verfestigt sich: wer einmal unten ist, schafft immer schwerer den Aufstieg. Corona traf Niedriglöhner ohne soziale Absicherung mit voller Wucht; sie verloren als erste ihre prekären Jobs. Ihnen droht der Absturz.

Je besser die Qualifikation, desto geschützter auch die Lage während der Pandemie: Daheim arbeiten können in der Regel nur Büro-Beschäftigte - wer in der Produktion, in der Pflege oder an der Kasse tätig ist, hat keine Chance auf Homeoffice.

Neue Schieflagen

Und: Homeoffice ist nicht gleich Homeoffice. Wer eine geräumige Wohnung oder ein Haus mit Garten hat, kann sich da viel leichter einrichten als etwa eine Familie mit Kindern in einer kleinen Sozialwohnung - auch da entstehen neue Schieflagen.

Besonders folgenreich sind die sich verschärfenden Unterschiede in Sachen Schule und Bildung. Die Folgen der Monate ohne Präsenzunterricht werden sich erst in einigen Jahren ablesen lassen. Berichte über Kinder aus sozial schwachen, bildungsfernen Schichten lassen teils schaudern: Wem der sprachliche Hintergrund und/oder die digitale Ausstattung fehlt, kann dem virtuellen Unterricht kaum folgen und wird abgehängt. Wohlhabende Familien können da sogar aufrüsten und eventuell digitale Nachhilfe organisieren.

Wenn die Herkunft zählt

Das hat Folgen: Wie vor langer Zeit, von der man hoffte, sie sei eigentlich vergangen, kommt es heute wieder weit mehr auf die Herkunft an, wenn es um Bildungszugänge geht. Es studieren meistens Kinder aus Akademiker-Familien. Auch da verhärten sich Unterschiede.

Das ist gefährlich. Gut, dass diese wachsende Schieflage den Deutschen laut Sozialbericht bewusst ist und dass sie auf mehr soziale Gerechtigkeit hoffen. Denn abgesehen von den persönlichen Schicksalen steckt in der Entwicklung auch eine politische Brisanz: Wer abgehängt wird oder den Absturz fürchten muss, radikalisiert sich leichter. Der Aufstieg von Populisten hängt oft mit dem Abstieg von Menschen zusammen.

Mutigere Politik gefragt

Um diesem Trend gegenzusteuern, bräuchte es eine mutige Politik, die leider nicht in Sicht ist. Wir belasten den Faktor menschliche Arbeit in Form von Abgaben zu sehr, während der wachsende Anteil des Wohlstands, der durch Maschinen oder Computer erzeugt wird, zu wenig abgeschöpft wird. Das gilt auch für die weiter nahezu fehlende Besteuerung der Mega-Krisengewinner wie Amazon.

Auch die Debatte über den Umgang mit wirklich sehr großen Vermögen und Erbschaften darf nicht tabu sein - ist es aktuell aber. Andere Staaten - auch die USA oder Großbritannien - verlangen den Superreichen da mehr ab. Und gerade deren Einkommen sind während der Pandemie gestiegen: Börsenkurse und Vermögen wuchsen deutlich mehr als die Reallöhne.

Wenn das Land auseinanderdriftet, wird es rauer

Es kann niemand ein Interesse an zu großen Gegensätzen haben - auch die Vermögenden nicht. Denn es droht ungemütlich und härter zu werden in einem Land, das auseinanderdriftet. Sehenden Auges in Richtung Klassengesellschaft zu steuern - das ist nicht hinnehmbar. Momentan erleben wir dies aber.

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