Scharfe Kritik an der Politik

Bayerns BN-Chef zum Klimaschutz: "Wir müssen sofort handeln"

11.8.2021, 07:05 Uhr
Kämpferischer Umweltschützer: Richard Mergner, Landesvorsitzender des BUND in Bayern.

© Tobias Hase, dpa Kämpferischer Umweltschützer: Richard Mergner, Landesvorsitzender des BUND in Bayern.

Herr Mergner, der Weltklimarat hat seinen Bericht vorgelegt – die Ergebnisse waren nicht mehr überraschend, aber alarmierend. Die Zeit läuft uns davon, es wird immer enger, die Erderwärmung einzudämmen. Können wir das überhaupt noch schaffen?

Richard Mergner: Das ist die große Hoffnung, die ich habe. Aber dafür müssen wir sofort handeln. Auch der Bericht des Klimarates sagt zwar, es ist bereits viertel nach zwölf – aber wir können tatsächlich noch das Schlimmste verhindern, wenn wir jetzt Maßnahmen ergreifen.

Woher nehmen Sie diese Hoffnung? Warum soll jetzt auf einmal mehr passieren? Dass es fünf nach zwölf ist, wussten wir ja schon länger...

Richard Mergner: Wir stehen vor einer Bundestagswahl. Und wir haben immer mehr Menschen, aber auch Organisationen in Deutschland und Bayern, die sagen: Jetzt reicht’s. Starkregenereignisse, Wetterextreme nahezu im ganzen Land, im Berchtesgadener Land allein 80 Millionen Euro Schaden an der Infrastruktur. Oder in der Gemeinde Selbitz bei Hof 40 Millionen Euro Schaden – da ist vielen klar geworden: Es geht um ihr persönliches Hab und Gut. Deswegen muss das endlich passieren, was eigentlich längst umsetzbar wäre. Was für mich wirklich ein Skandal ist: Ich habe Ihrer Zeitung vor zwei Jahren ein ausführliches Interview gegeben, in dem ich eine konsequente Klimaschutzpolitik angemahnt habe.

"Absolut halbherziges Klimaschutzgesetz"

Aber seitdem ist von Seiten der bayerischen Staatsregierung und Markus Söder ein absolut halbherziges Klimaschutzgesetz gekommen. Es gab weitere Ankündigungen in der Klima-Regierungserklärung Söders vor drei Wochen, aber es kommen keine konkreten Taten und Umsetzungen. Das können wir nicht durchgehen lassen.

Sie sagen: Es muss nun etwas passieren, weil die Überschwemmungen gezeigt haben, es geht um unser Hab und Gut. Unionskanzlerkandidat Laschet sagte allerdings nach der Hochwasserkatastrophe, allein aufgrund solcher Ereignisse müsse man seine Politik nicht grundsätzlich ändern...

Richard Mergner: Das Schlimme ist, dass sowohl Armin Laschet als auch Olaf Scholz bislang in ihrer Verantwortung als Regierende leider weder Energieeinsparungen und Energieeffizienz noch den Ausbau erneuerbarer Energien zum Leitthema gemacht haben. Laschet trieb den Kohleabbau voran und folgte nun in NRW zusammen mit der FDP dem schlechten Beispiel Bayerns bei der Abstandsregelung für Windkraftwerke.


Sie haben Markus Söder schon erwähnt. Er gibt sich aktuell ja ergrünt. Sie sagen: Da klaffen Reden und Handeln auseinander. Woran machen Sie das fest?

Richard Mergner: Wir haben in Bayern spätestens seit dem Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Klimaschutzgesetz, das verfassungswidrig ist und längst geändert gehört. Ein Entwurf von Umweltminister Glauber dafür schmort seit über zwölf Wochen in der Staatskanzlei und wird nicht herausgegeben.

"Man will das verzögern bis nach der Wahl"

Wir haben der Regierung unsere Vorschläge übermittelt. Aber es gibt keinen Dialog. Man will das verzögern bis nach der Bundestagswahl. Das ist nicht hinnehmbar. Auch Söders Regierungserklärung brachte außer neuen Ankündigungen keine konkreten, umsetzbaren Vorschläge. Auch hier wird auf Zeit gespielt.


Was müsste konkret passieren, damit wir die Klimaziele doch noch erreichen können? Was schlagen Sie vor, was Söder nicht anpackt?

Richard Mergner: Eine der wichtigsten Schritte im Bereich der Mobilität wäre ein Stopp aller Neu- und Ausbauten von Autobahnen und Staatsstraßen, dazu eine Klimaschutzverträglichkeitsprüfung. Das eingesparte Geld sollte man für den Ausbau von Fuß- und Radwegen verwenden, für einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum, für die Elektrifizierung vieler noch nicht elektrifizierter Bahnstrecken, die es bei uns noch gibt. Die Strecke von Nürnberg nach Bayreuth wird kurz vor Bayreuth eingleisig und ist nicht elektrifiziert – seit 20 Jahren wird über den Ausbau gesprochen, und daneben verläuft die sechsspurige Autobahn.

Ausbauoffensive für erneuerbare Energien

Dazu brauchen wir eine Ausbauoffensive für die erneuerbaren Energien – sprich etwa eine Pflicht, auf jedem öffentlichen Parkplatz eine Photovoltaik-Überdachung einzurichten. Öffentliche Gebäude von der Universität bis zur Polizeidienststelle müssen mit erneuerbaren Energien ausgestattet werden. Und wir brauchen ein Ende der Blockade bei der Windkraft. Da geht es nicht nur um die unselige Abstandsregel, sondern auch um ein klares Bekenntnis, dass wir in Bayern Windkraft brauchen. Wir schlagen über 6000 neue Windkraftanlagen und eine Versechsfachung der Photovoltaik-Leistung in Bayern bis 2040 vor. Das brauchen wir, um bis 2040 die Klimaneutralität zu erreichen, von der Söder bisher nur redet.
Die Photovoltaik ist ja in Söders Klimaplan enthalten – reicht Ihnen das nicht?

Richard Mergner: Ja, sie ist enthalten. Aber wieder nur mit Ankündigungen. Und ich bin es wirklich leid: Schon vor zwei Jahren haben wir das Gleiche gehört – aber ohne die Umsetzung. Und die Staatsregierung müsste doch wirklich zumindest bei ihren eigenen Gebäuden mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist leider nicht zu sehen.


Noch einmal zurück zum Weltklimabericht: Glauben Sie, er bringt nun wirklich neuen Schwung in die Politik?

Richard Mergner: Die Hoffnung, dass das bayerische Klimaschutzgesetz endlich aus dem Geheimfach herausgeholt und mit der Öffentlichkeit diskutiert wird – diese Hoffnung habe ich nahezu aufgegeben. Aber ich hoffe, dass die Wahlkampagnen nach dem Motto "Es muss alles freiwillig sein" oder "Wir dürfen nichts verbieten" nicht in dieser Art und Weise weitergeführt werden, wie sie von der FDP oder CDU/CSU betrieben werden. Denn nun muss doch auch der Letzte gemerkt haben: Es geht hier nicht um Verbote um des Verbietens willen, sondern um die Sicherung der Lebensqualität, von Hab und Gut – und dafür braucht es eine konsequente Klimaschutzpolitik. Das Positive ist: Wir haben sehr wohl die Techniken dafür. Wir wissen, was zu tun ist – aber es mangelt an der politischen Umsetzung.



Selbst bei den Grünen hat man den Eindruck, sie bleiben lieber vage, wo es um die Konkretisierung ihrer Pläne ginge und wo manches in der Tat auf Verbote oder Regeln hinauslaufen würde. Warum schenken auch die Grünen den Menschen da nicht reinen Wein ein?

Richard Mergner: Wenn man die Parteiprogramme analysiert, dann werden schon große Unterschiede deutlich. Die Grünen haben sich für ein Straßenbau-Moratorium ausgesprochen, auch für den Verzicht auf Kurzstreckenflüge und auch für ein Tempolimit. All das lehnen CDU/CSU ab. Aber wir als Bund Naturschutz machen keine Parteipolitik. Wir wünschen uns auch von den Grünen eine klarere Ansage, was nötig ist und wo die Weichen anders gestellt werden müssen.

30 Milliarden für umweltschädlichen Verkehr

Aber um nochmals aufs Thema Mobilität zurückzukommen: Wir geben momentan pro Jahr 30 Milliarden Euro aus zur Subventionierung von umweltschädlichem Verkehr – ob das die Befreiung der Kerosinsteuer ist, das Dieselprivileg oder die Dienstwagen-Pauschale. Allein wenn wir diese Gelder umschichten, wie dies Linke und Grüne fordern, könnten wir viel für den Klimaschutz erreichen.

Manche sagen: Es hat doch gar keinen Sinn, wenn nur die Deutschen etwas tun. Deutschland ist nur für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit verantwortlich...Was sagen Sie auf solche Argumente?

Richard Mergner: Ja, wir haben nur zwei Prozent Anteil. Aber wenn wir in die Geschichte schauen, sind wir mit den anderen Industrienationen dafür verantwortlich, dass wir viel zu lange die Atmosphäre als billige Müllkippe für unsere Emissionen hergenommen haben. Und wenn wir es wie beim Atomausstieg schaffen, vorzumachen, dass ein Hochindustrieland wie Deutschland erneuerbar wird, und zwar zu 100 Prozent, auch die bayerische Industrie und Gewerbe, wenn wir intelligente Mobilitätsdienstleistungen oder moderne Straßenbahnen anbieten anstatt spritfressender SUVs, dann können wir tatsächlich Vorbild werden. Im übrigen: Andere Länder in Europa wie Dänemark, die Niederlande oder Österreich sind uns da inzwischen teils ja voraus.

Also: Vorsprung durch grüne Technik?

Richard Mergner: Die Industrie in Bayern hat nur eine Chance, wenn sie möglichst schnell den Umstieg angeht. Wenn in der Regierungserklärung nur drinsteht: "Bayern ist Autoland und wird es bleiben" und man beim Verbrennungsmotor laviert, dann sieht man auch, dass da etliche Unternehmen schon weiter sind als die handelnde Politik oder die Mobilitätspolitik der vergangenen elf Jahre – mit vier CSU-Verkehrsministern aus Bayern.

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