Ludwig Hartmann ärgert "Verbotspartei"-Stempel

Bayerns Grünen-Chef: "Wir wollen die Menschen vom Auto-Zwang befreien"

8.9.2021, 06:00 Uhr
Ludwig Hartmann ist neben Katharina Schulze einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im bayerischen Landtag. "Wir Grüne haben den Schlüssel, um das Tor zu einem umwelt- und klimafreundlichen Leben zu öffnen", sagt er und hofft, damit das Ruder bei der Bundestagswahl noch herumreißen zu können.

© Sven Hoppe, dpa Ludwig Hartmann ist neben Katharina Schulze einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im bayerischen Landtag. "Wir Grüne haben den Schlüssel, um das Tor zu einem umwelt- und klimafreundlichen Leben zu öffnen", sagt er und hofft, damit das Ruder bei der Bundestagswahl noch herumreißen zu können.

Herr Hartmann, der Bundestagswahlkampf läuft ja, gemessen an den Umfragen, für Sie nicht nach Wunsch. Woran liegt es?

Ludwig Hartmann: Ich habe mir mit unseren Zielen und Inhalten schon deutlich mehr vorgestellt. Der Schutz der Lebensgrundlagen ist als Herausforderung so präsent wie noch nie. Die kommende Wahlperiode wird entscheidend dafür sein, ob es uns gelingt, die Erdüberhitzung abzufangen, Arten zu erhalten und unsere Wirtschaft erfolgreich umzubauen. Wir können die Weichen für mehr Klimaschutz noch stellen, ohne die Grünen in der Bundesregierung wird das aber schwierig. Wir Grüne haben den Schlüssel, um das Tor zu einem umwelt- und klimafreundlichen Leben zu öffnen.

"Es darf keine Regierung ohne die Grünen geben"

So wie es derzeit aussieht, werden die Grünen wahrscheinlich aber nur Juniorpartner in einer wie auch immer gestrickten Koalition sein...

Hartmann: Die Schwankungen bei den Umfragen zeigen: In zwei, drei Wochen bewegt sich sehr viel - natürlich ist für uns viel Luft nach oben. Es darf keine Regierung ohne Grüne geben. Je stärker wir sind, umso mehr Klimaschutz werden die Menschen bekommen. Dazu braucht es keine Absichtserklärungen, sondern konkretes Handeln. CDU, CSU und SPD haben in den letzten Jahren viel geredet, aber das Machen nur angetäuscht.

Ist es der Union gelungen, den Grünen den Stempel der Verbotspartei aufzudrücken, unter dem Sie jetzt leiden?

Hartmann: Wir Grüne sind eine Partei, die ermöglicht. Im ländlichen Raum wollen wir ein besseres Bus- und Bahnangebot, um die Menschen vom Auto-Zwang zu befreien. Wenn sie zumindest kein Zweitauto brauchen, weil es ein verlässliches Bus- und Bahn-Angebot gibt, haben wir schon viel erreicht. Auf dem Land gibt es immer mehr Menschen, die sich das Zweitauto nicht leisten können, die nicht mehr Auto fahren wollen oder Jüngere, die noch gar nicht Auto fahren dürfen. Was die Ernährung angeht: Ich mache keine Politik für den Teller, sondern für den Stall. Ich möchte, dass im Stall mehr Tierwohl umgesetzt wird. Das hat sicher zur Folge, dass das Fleisch teurer und nicht günstiger wird.

Trotzdem werden Sie den Stempel der Verbotspartei nicht los

Hartmann: Diese Verbots-Vorwürfe führen doch nur in die Irre. Klare Regeln ohne Überregulierung beweisen politische Handlungsfähigkeit - an der fehlte es den letzten Bundesregierungen häufig. Ein Staat ist dazu da, Rahmenbedingungen zu setzen und bei Fehlentwicklungen lenkend einzugreifen. Das ist Aufgabe der Politik und wird in anderen Bereichen wie der Innen- oder Sozialpolitik ganz selbstverständlich umgesetzt. Warum sollte es bei einer so existenziellen Frage wie dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen anders sein?

"Nach Amerika wird man auch in Zukunft fliegen"

Wie können die Menschen, gerade auch die jungen, ihren internationalen Horizont erweitern, wenn sie nicht mehr fliegen sollen?

Hartmann: Kurzstrecken sind ökologischer Irrsinn - sie müssen unnötig werden. Die Lufthansa stellt einige dieser Strecken - wenn auch viel zu spät - jetzt auch ein. Wir müssen für ein gutes Schnellnetz-Bahnangebot gewaltig investieren, um Kurzflugstrecken zu reduzieren. Ganz klar: Wenn jemand nach Amerika möchte, wird er auch in Zukunft fliegen. In dem Fall kommt es darauf an, dass Fliegen sauberer wird.

Reicht es nicht, den Klimaschutz marktwirtschaftlich über den CO2-Preis zu regeln?

Hartmann: Wenn man die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, umbauen möchte, müssen wir einen angemessenen CO2-Preis mit lenkender Wirkung haben. Wir werden aber auch die eine oder andere ordnungsrechtliche Maßnahme vornehmen müssen. Das Verbot von FCKW war Ordnungsrecht, auch der Einbau von Entschwefelungsanlagen der Kraftwerke war nicht freiwillig. Wir brauchen zum Beispiel ein festes Datum 2030, ab dem keine Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Beim Schutz unserer Lebensgrundlagen ist es absolut legitim, auch das Ordnungsrecht einzusetzen.

"Söder denkt nur in Überschriften"

Verbal ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder oft sehr nahe bei ihnen - etwa beim Ausstiegsdatum für fossile Verbrennermotoren. Ist Söder Ihnen näher als Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet?

Hartmann: Söder denkt in Überschriften und nicht in Konzepten und deren Umsetzung. Die Überschriften könnten von uns sein, doch darunter ist sein Blatt meist leer. Bestes Beispiel: Bayerisches Klimaschutzgesetz. Söder hat viel angekündigt, auch verbindliche messbare Ziele. Herausgekommen ist ein Gesetz mit keiner einzigen verbindlichen Regelung.

Solange die Freien Wähler die Fünf-Prozent-Hürde überspringen - oder auch die FDP -, haben die Grünen in Bayern keine Machtperspektive. Richtig?

Hartmann: Wie auch für diese Bundestagswahl gilt: Für vorausschauende Politik braucht es starke Grüne in der Regierung. Wir Grünen müssen ein so starkes Ergebnis einfahren, dass man an uns nicht vorbei regieren kann.

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