Buchbinder: Ein Handwerk vom Aussterben bedroht

13.4.2021, 10:30 Uhr
Buchbinder: Ein Handwerk vom Aussterben bedroht

© Harald Sippel

Buchbinder: Ein Handwerk vom Aussterben bedroht

© Harald Sippel

Die Literatur im Buch ist keine so alte Kulturtechnik. Erst gab es Tontafeln mit Keilschrift, Steintafeln mit Gesetzestexten (wehe, man verhämmert sich) und Tempelwände voller Hieroglyphen. Dann gab es Papyrusblätter in Rollen. Die Bibliothek von Alexandria war ein Rollenlager.

Im ersten Jahrhundert nach Christus löste der Codex die Rolle ab. Ein Konvolut zusammengehefteter Blätter, das von einem Einband mittels Fadenheftung und Leim zusammengehalten wird. Erst wirkte der Buchbinder in Klöstern, später an Fürstenhöfen und Universitäten. Oder er zog als reisender Gewerbetreibender durchs Land.

Erst spät als Handwerk anerkannt, hielten führende Buchbinder auf Qualität: "Ein guter Buchbinder, wie ein Dichter, wird geboren, nicht erzogen. Die meisten Buchbinder hätten nicht geboren werden sollen." So britisch kultiviert urteilte die Fachzeitschrift "The Bookbinder" 1890. Seit dem 19. März ist dies edle Handwerk von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Höchste Zeit – denn es ist vom Aussterben bedroht. Sieben handwerkliche Buchbindereien gab es in 60er Jahren in Erlangen. Heute sind es nur noch zwei.

Mitte der 1970er Betrieb übernommen

Eine davon gehört Dieter Geiger in der Jahnstraße. Dabei hat Dieter Geiger (74) keine Meisterprüfung abgelegt. Der gelernte Schriftsetzer hatte Mitte der 1970er Jahre den Betrieb von seinem Rufonkel übernommen und führt ihn mit dreieinhalb Arbeitskräften bis heute weiter. Natürlich beherrscht auch er sämtliche Handgriffe, doch kümmert er sich hauptsächlich um das Geschäftliche.

Neue Bücher finden seit etwa zehn Jahren nur mehr selten den Weg in die Binderei, obwohl es auch die gibt: Opa schreibt seine Memoiren und beglückt die Nachkommen mit seiner Lebenserfahrung. Auch Doktorarbeiten wie "Der Einfluss der Kartoffel auf das preußische Erziehungswesen" verlangen einen schönen Einband. Doch die Hauptarbeit besteht im Renovieren alter Bände und im Zusammenfassen von Heften fachspezifischer Zeitschriften.

Da bringt also ein Notar den Jahrgang 2020 der Zeitschrift "Staubtrockene Gesetzestexte für juristische Haarspalter" (Titel frei erfunden) vorbei. Jedes Heft hat 48 Seiten. 48 Seiten mal zwölf Monate ergibt 576 Seiten, ein dicker Band.

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Erst kommt das Vorrichten: sind alle Hefte vollständig? Liegen alle in der richtigen Reihenfolge? Gut. Dann Klammern raus, und alles klebebinden. Auf die Klebebindung wird Gaze aufgebracht und am oberen Rand ein Kapitalband.

Es folgt die sogenannte Hülse auf die Gaze. Dann wird der Rücken mit Leim bestrichen. Dann einen stabilen Einband auswählen, zurechtschneiden und den Titel aufprägen. Das Konvolut in den Einband einpassen, festklemmen und den Leim über Nacht trocknen lassen.

Diffiziles Restaurieren

Diffiziler wird es beim Restaurieren. Etwa die Familienchronik von Urgroßvater Hildebrand. Das Brockhaus-Conversationslexikon von 1894. Urahne Klementines Familienbibel mit den entzückenden Jugendstil-Engelchen.

Oder das "Bayerische Kochbuch" aus den 1940er Jahren, starrend vor Fett, Mehlstaub und Soßenflecken. Zeugnisse gelebten Lebens. Was Generationen in den Händen hielten, wirft man nicht weg.

Meist ist der Rücken in Auflösung begriffen, Tesafilm hält das Papier zusammen, Drahtklammern sind vom Rost zerfressen. Auch da muss der Buchbinder die Seiten vom Einband trennen, alles neu leimen, einen neuen Buchrücken aufkleben. Ist der alte Einband nicht mehr zu retten, ist ein ästhetisch passender Ersatz gefragt.

Die Kundschaft kommt aus Erlangen und Umgebung: "Die meisten Renovierungsaufträge und Zeitschrifteneinbindungen kommen von der Universitätsbibliothek, von Fachbibliotheken, Kliniken, von Ärzten und Juristen", erklärt Dieter Geiger. "Die Hauptsaison läuft von Februar bis Mai, da kommen all die Zeitschriften des Vorjahres herein, die in einen Band gefasst werden sollen. Danach wird es geruhsamer." Geruhsam ist es sowieso. Gab es in den 1990er Jahren noch rund 8000 Aufträge, liegt die Auftragslage heute bei 1500 im Jahr.

Was kostet eine Renovierung?

Was kostet so eine Renovierung? Dieter Geiger will sich da nicht festlegen: "Viele Kunden sagen zu mir: ,Sie können doch da und dort ein bisschen was kleben!‘ So läuft das aber nicht.

Das ist von Buch zu Buch verschieden und hängt vom Arbeits- und Zeitaufwand und vom Material ab. Das kann ich erst einschätzen, wenn ich das Buch vor mir habe."

Mit 74 Jahren könnte Dieter Geiger längst dem Ruhestand frönen. Doch davon hält er nichts: "Ich gehe mit Freude an die Arbeit und freue mich an der Reaktion der Kunden. Die erzählen mir erst mal ihre Familiengeschichte. Und wenn sie ihr altes Album abholen, staunen sie: ,Schön schaut es aus! Viel schöner als mein altes tesaverklebtes Exemplar!‘ So etwas freut mich."

 

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