Trotz eisiger Temperaturen: Obdachlose in Erlangen müssen nicht frieren

11.2.2021, 10:48 Uhr
Trotz eisiger Temperaturen: Obdachlose in Erlangen müssen nicht frieren

© Archivfoto: Harald Sippel

Es gibt sie schon noch, diejenigen, die sich nicht helfen lassen wollen. Die mit der Gesellschaft abgeschlossen haben, wie Klaus Hiltner sagt, und die – wenn er oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie selbst ansprechen – ihnen dann ins Gesicht sagen, dass sie einfach nur ihre Ruhe haben wollen.

Diakon Klaus Hiltner, Leiter vom Obdachlosentreff "Willi" in der Wilhelmstraße, ist für viele Erlangerinnen und Erlanger so etwas wie die letzte Rettung, wenn sich Stromrechnungen oder Krankenkassenschulden aufgetürmt haben zu Bergen, die so groß werden, dass sie einen schier erdrücken und drohen, allen Lebensmut zu nehmen. Oder die Drogenprobleme, der Alkohol, Beziehungsprobleme dafür sorgen, dass sie aus der Wohnung fliegen.

"Ich habe Angst um sie"

Wenn also jemand seine Ruhe haben will, dann lässt Klaus Hiltner ihm oder ihr diese auch. Aber er geht dann mit keinem guten Gefühl im Bauch, sagt er: "Ich weiß natürlich, dass es jetzt kalt wird. Und dann habe ich schon Angst um sie." Denn egal wohin sich diese Menschen – sieben sind Hiltner im Stadtgebiet bekannt, es können aber auch mehr sein, so genau weiß das keiner – dann auch zurückziehen: "Unter den Brücken am Europakanal, in den Parkhäusern, in den Unterführungen ist es zwar trocken, aber ja trotzdem bitterkalt."

Man muss Hilfe auch wollen

Helfen, und da ist Hiltner, Anfang 60, schon auch stolz darauf, konnte er in den fünf Jahren, die er nun im "Willi" arbeitet, unglaublich vielen und allen, die sich helfen lassen wollten. Erfroren ist in diesem Zeitraum niemand. Manche brauchten auch nur mal ein gutes Gespräch, ein wenig Zuspruch vielleicht. Viele eine Beratung, manche Hilfe bei einem Ämtergang, einige Schuldnerberatung, intensive Hilfe. Wenige nur hatten plötzlich kein Dach mehr über dem Kopf – ohne Aussicht auf Rückkehr. "Egal, womit man auch kommt, wir helfen", verspricht Klaus Hiltner. Man muss sich aber – und das ist für viele der schwerste Schritt – auch helfen lassen wollen.

So wie die 13, die heuer auf ihn zukamen auf der Suche nach Rettung. Hiltner hat sie am Ende alle in eigenen Wohnungen untergebracht. "Obdachlos", sagt er, "muss in Erlangen niemand sein. Die, die es sind, die wollen es aus freien Stücken so." Notschlafstellen, Wohnheime oder Übernachtungsstätten werden in Erlangen in dieser Form nicht betrieben beziehungsweise gegenwärtig nicht vorgehalten, heißt es von Seiten der Stadt auf Anfrage unserer Zeitung. Zwar schauen Polizei und auch die Rettungsdienste in kalten Nächten häufiger dort vorbei, wo Menschen im Freien übernachten, aber "letztlich tun die Frauen und Männer es ja aus freien Stücken", so Hiltner. Dann sind Helfern die Hände gebunden.

Corona hat die Arbeit erschwert

Auch Corona hat die Arbeit massiv erschwert. Doch lahmgelegt, das wurde sie nie. Bereits im Frühstadium der Pandemie gab es eine entzerrte Unterbringung von Bedürftigen in abgeschlossene Wohneinheiten, sogenannte Verfügungswohnungen, so die Stadt. Durch die Hygienemaßnahmen können sie sich zwar im "Willi" nicht wie vorher im Warmen zusammensetzen und austauschen – aber warmes Essen gibt es hier wieder an fünf Tagen in der Woche. Ist es besonders kalt, kommen manchmal nur zehn Bedürftige, manchmal bis zu 30. Seit Corona gibt es die Mahlzeiten nur noch zum Mitnehmen. Manche setzen sich auch, wie gestern, in die Sonnenstrahlen zum Mittagessen. "Zu Beginn des Monats, wenn ein wenig Geld vorhanden ist, kommen stets weniger Gäste", sagt Hiltner auch.

Große Gemeinschaft

Er redet stets von Gästen, von Klienten, oft auch von einer Gemeinschaft, die sie da bilden. Und die sich gegenseitig hilft: "Braucht jemand schnelle, unbürokratische Hilfe, dann kann er auch auf die anderen zählen." Ein warmes Plätzchen über Nacht ist immer bei irgendjemandem frei – im "Willi" hingegen nicht mehr seit Corona. Auch die Unterkünfte in der Dorfstraße 13 in Büchenbach sind gut gefüllt.

"Rund eineinhalb Wochen brauchen wir, bis wir eine neue Bleibe finden", sagt Klaus Hiltner. Bis dahin helfen sie dann eben zusammen. Aber frieren, das ist ihm wichtig, muss niemand.

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