Experte warnt: "Die Pandemie ist noch nicht vorbei"

15.6.2020, 06:00 Uhr
Experte warnt:

© Odd Andersen/AFP

Herr Zapf, die Corona-Infektionszahlen in Bayern gehen offenbar beständig zurück. Viele meinen daher, die Pandemie sei vorbei. Ist das so?

Andreas Zapf: Die Entwicklung der Zahlen ist erfreulich. Dies zeigt, dass die von der Staatsregierung ergriffenen Maßnahmen wirken. Erfreulich ist auch, wie diszipliniert sich die Menschen an die auferlegten Einschränkungen gehalten haben. Aber natürlich trägt jeder weiterhin Verantwortung. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Daher ist es wichtig, dass jeder auch weiterhin die Abstandsregeln, die Maskenpflicht und die Husten- und Niesetikette einhält. Und auch bei "normalen" Erkältungssymptomen wie Schnupfen oder Husten gilt weiterhin: zu Hause bleiben und telefonisch den Hausarzt kontaktieren.

Es wird überall gelockert, auch Grenzen sind schon gefallen. Haben Sie damit Bauchschmerzen?

Zapf: Aus epidemiologischer Sicht sind die Lockerungen natürlich mit etwas Bauchschmerzen verbunden, aber der Lockdown hat ja auch weitreichende wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Folgen. Dies muss immer in der Gesamtheit betrachtet werden. Insofern denke ich, dass wir in Bayern ein gut abgestimmtes Gesamtkonzept haben. Wir öffnen nach und nach und beobachten dabei ganz genau, wie sich die Fallzahlen in den einzelnen Landkreisen entwickeln.

Soll man Schulen und Kitas jetzt wieder ganz öffnen?

Zapf: Ich halte es für richtig, wenn Schulen und Kitas in Stufen geöffnet werden, auch wenn ich weiß, dass wir den Kindern damit viel zumuten. Aber gerade bei kleineren Kinder lassen sich die Hygiene- und Abstandsempfehlungen nicht so ideal umsetzen. Zwar erkranken Kinder, nach allem, was bekannt ist, nicht so stark, und es gibt auch Hinweise, dass die möglicherweise eine geringere Rolle bei der Übertragung von Sars-Cov-2 spielen als Erwachsene, die Öffnung sollte jedoch wegen der noch bestehenden Unsicherheiten vorsichtig erfolgen.

Wie hoch ist das Infektionsrisiko, das von den Demonstrationen dieser Tage ausgeht?

Zapf: Wir wissen, dass Großveranstaltungen generell eine sehr große Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen. Auch wenn die Demonstrationen nun unter freiem Himmel stattfinden, die Menschen stehen doch dicht gedrängt, es gibt mitunter laute Protestrufe und dann können einige wenige sehr schnell sehr viele Menschen anstecken.


Weitere Corona-Lockerungen in Bayern: Das ändert sich ab heute


Die bayerische Hotellerie drängt auf Öffnung des Wellnessbereichs. Wie gefährlich sind Sauna und Schwimmbad?

Zapf: Ich kann das Ansinnen der bayerischen Hotellerie verstehen, daher wird auch mit Hochdruck an einem Konzept für die Öffnung von Thermen und Wellnesseinrichtungen gearbeitet. Es bringt aber ja nichts, etwas zu überstürzen und dann wieder einen Schritt zurück gehen zu müssen. Viele Schwimmbäder konnten unter Einhaltung strenger Hygieneregeln bereits wieder öffnen.

Wo sehen Sie derzeit das größte Risiko eines neuerlicher Ausbrüche?

Zapf: Es ist ja kein Geheimnis, dass immer da, wo sich viele Menschen auf engem Raum treffen und kein Abstand gehalten wird, ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, insbesondere in geschlossenen Räumen. Insofern ist es richtig, dass die Lockerungen in Schulen oder in der Gastronomie beispielsweise mit strengen Hygienekonzepten verbunden sind und die Besuchsverbote in Altersheimen nur unter strengen Auflagen wieder aufgehoben werden. Ich appelliere daher nochmal an jeden Einzelnen, die Auflagen weiterhin zu befolgen und auch im privaten Rahmen die Empfehlungen einzuhalten.

Welche Corona bedingte Beschränkungen machen keinen Sinn (mehr) und wo müsste man eventuell sogar nachschärfen?

 

 

Zapf: Einzelne Maßnahmen werden in der Bevölkerung unterschiedlich bewertet. Wahrscheinlich spielt dabei eine Rolle, was einem selbst persönlich wichtig ist. Ich glaube aber, dass wir ein wirklich gutes Gesamtkonzept entwickelt haben.

Über den Mund-Nase-Schutz wird intensiv diskutiert. Es soll Studien geben, wonach dieser weitgehend wirkungslos ist. Wie sehen Sie das?

Zapf: Der Mund-Nasen-Schutz ist ja nur ein Baustein unter vielen. Wenn eine Maske dazu führt, dass ich im öffentlichen Raum den Abstand nicht mehr einhalte, weil ich mich in falscher Sicherheit wiege, ist er natürlich eher kontraproduktiv. Aber als Fremdschutz kann er unterstützen, das heißt, wenn ich im Supermarkt niese und huste, sind meine Mitmenschen etwas besser geschützt.

Immer wieder gibt es Stimmen auch von Fachleuten, die auf die sogenannte Herdenimmunität setzen. Ist es sinnvoll, dies anzustreben?

Zapf: Der Weg einer Herdenimmunität kam für uns nie in Frage. Ich glaube nicht daran, dass es möglich ist, die ältere Bevölkerung und jüngere Menschen mit Vorerkrankungen damit zu schützen.

Ist mittlerweile gesichert, dass Menschen, die eine Infektion hinter sich haben, immun sind?

Zapf: Die Frage der Immunität ist noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt; also ob und für wie lange eine Covid-19-Infektion eine Immunität gegen Sars-Cov-2 bewirkt. Dies ist gerade Gegenstand vieler Forschungen.

Was ist von Meldungen zu halten, wonach auch das Durchlaufen einer "normalen" Grippe immun gegen Covid-19 mache?

Zapf: Kurz gesagt: Nichts. Eine überstandene Influenza macht nicht immun gegen Coronaviren, im Gegenteil, es erhöht sich eher das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf, wenn ich mich geschwächt von einer überstandenen Influenzaerkrankung mit Sars-Cov-2 infiziere. Daher wird auch eine Empfehlung der Gesundheitsbehörden sein, sich im Herbst gegen Influenza impfen zu lassen.

Ist es zutreffend, dass im Sommer das Infektionsgeschehen wegen der stärkeren UV-Strahlung rückläufig ist? Wächst die Gefahr wieder, wenn die Menschen sich im Herbst mehr in geschlossenen Räumen aufhalten?

Zapf: Dass das Infektionsgeschehen einen saisonalen Verlauf nimmt wie bei anderen von Mensch-zu-Mensch übertragbaren Krankheiten, zum Beispiel Influenza oder Norovirus, ist wissenschaftlich noch nicht untermauert. Saisonale Einflüsse sind möglich, dagegen sprechen jedoch die weltweite pandemische Ausbreitung unabhängig von der Jahreszeit und derzeit hohe Infektionszahlen in den Tropen. Wenn sich im Herbst das öffentliche Leben wieder verstärkt in die Innenräume verlagert, ist anzunehmen, dass sich das Infektionsrisiko wieder erhöhen wird.

Wie hoch bewerten Sie das Risiko einer zweiten Welle und wie könnte diese aussehen?


Haltestellen und Läden: Nicht alle nehmen die Maskenpflicht so ernst


Zapf: Leider kann ich nicht in die Zukunft schauen. Aber klar ist, dass wir - und damit meine ich jeden einzelnen von uns - alles versuchen müssen, damit es dazu nicht kommt.

Das heißt, wir sollten die Hygieneempfehlungen und Beschränkungen weiterhin einhalten.

Kann es noch in diesem Jahr ein Medikament oder einen Impfstoff gegen Covid-19 geben?

Zapf: Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht an einen Impfstoff noch in diesem Jahr, obwohl viele Einrichtungen weltweit gerade auf Hochtouren forschen und hier viel Geld investiert wird.

Verwandte Themen


10 Kommentare