Kritik aus der Politik: "Pflegende sind völlig überlastet"

12.4.2020, 05:27 Uhr
Wenn alte oder behinderte Menschen keinen direkten Kontakt mehr zu Freunden und Angehörigen haben, ist das Personal umso mehr gefragt.

© Daniel Karmann/dpa Wenn alte oder behinderte Menschen keinen direkten Kontakt mehr zu Freunden und Angehörigen haben, ist das Personal umso mehr gefragt.

Die Corona-Pandemie hält den Politiker an seinem Schreibtisch in Sachsen bei Ansbach fest. Peter Bauer, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler sowie seit 2018 "Patienten- und Pflegebeauftragter der Staatsregierung" hat fern vom Maximilianeum Zeit, sich Anregungen und Beschwerden am Telefon anzuhören oder in Briefen und Mails zu lesen. Seine Reaktion auf das aktuelle Geschehen ist eine Mischung aus Wut, Entsetzen und einer gehörigen Portion Optimismus.


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Wütend ist er, weil es noch immer an Schutzausrüstung für Ärzte und Pflegende fehlt. Dabei war das Szenario einer Pandemie schon vor acht Jahren auf Bundesebene geprobt worden. Schon damals waren Experten von einem neuartigen Coronavirus ausgegangen, das stark die Atemwege befällt. Bereits in der damaligen Risikoanalyse des Bundes war der Mangel an Schutzkleidung vorhergesagt worden: "Passiert ist gar nichts", schimpft Bauer, der die aktuelle Krise nutzen will: "Wir müssen unsere Defizite schonungslos aufarbeiten, damit wir für den nächsten Katastrophenfall gerüstet sind."

Entsetzt ist er, wie gerade Senioren und behinderte Menschen unter der Einschränkungen und Besuchsverboten leiden müssen: "Auch Einsamkeit macht krank", sagt der Zahnmediziner und Naturwissenschaftler.

Wenn alte oder behinderte Menschen keinen direkten Kontakt mehr zu Freunden und Angehörigen haben, ist das Personal umso mehr gefragt. "Aber wie kann Herzenswärme vermittelt werden, wenn schon die Arbeitsroutine zur Überlastung führt?", fragt der Pflegebeauftragte.


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Wenngleich er Schweigepflicht hat, so sagt er dennoch deutlich: "Gewalt in der Pflege ist ein riesiges Thema." Und eine Ursache ist die Überlastung der Pfleger. Besonders in der jetzigen Ausnahmesituation.

In einigen Heimen in Mittelfranken ist der Personalmangel so groß, dass Pflegende mehrfach pro Woche zu Doppelschichten antreten: 6.30 bis 21 Uhr. "Gut für die Familienkasse, aber auch höllisch anstrengend", sagt eine alleinerziehende Altenpflegerin.

Rapider Abbau

Besonders angespannt wird die Lage, wenn in Seniorenheimen Patienten mit dem neuartigen Virus infiziert sind. Dann müssen Abteilungen abgesperrt und Bewohner isoliert werden. Soziale Kontakte, die durch das Betretungsverbot für Angehörige ohnehin schon rar geworden sind, fehlen oft gänzlich. Kein Stuhlkreis, kein gemeinsames Lied im Aufenthaltsraum. In der Folge schreitet der geistige und körperliche Abbau der Patienten rapide voran, berichten Verantwortliche aus Heimen. In jedem zehnten Altenheim im Freistaat gibt es inzwischen Infizierte.

Kritik aus der Politik:

© Foto: privat

Zudem geht es um Leben und Tod. Und es geht auch um strafrechtliche Folgen. In einem Würzburger Heim sind 22 Bewohner nach der Virusinfektion gestorben. Die Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen aufgenommen. Fraglich ist, ob Hygienevorschriften nicht beachtet wurden. Dann ginge es um fahrlässige Tötung oder Körperverletzung.

Der Fall sorgt für Verunsicherung auch in anderen Heimen. Soll ein Mitarbeiter bei leichtem Schnupfen oder Husten zuhause bleiben, wohl wissend, dass seine Arbeitskraft im Heim fehlt? Wenn er oder sie mit dem Coronavirus infiziert ist, wird es juristisch heikel.

Für Peter Bauer ist die juristische Betrachtung nicht vereinbar mit dem Ethos der Pflegenden: "Das sind einfach zwei Sprachebenen, das lässt sich nicht zusammenbringen." Aktuell helfe nur, Hygiene mit allen technischen Hilfsmitteln zu nutzen, um die Krise zu bewältigen. Gleichzeitig freut er sich über das Engagement der Pflegenden: "Da wird Übermenschliches geleistet."


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Dennoch müsse das Tempo der Labortests beschleunigt werden, um kritische Fälle schneller zu finden. Sozialpolitisch müssten ebenfalls Konsequenzen gezogen werden. Vom Personalschlüssel bis zur Vergütung gebe es in der Pflege reichlich Themen, die aufgearbeitet werden müssen, sagt Bauer.

Nachdenken solle die Gesellschaft auch über die seit Jahren fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens: "Wir verlieren unser soziales Gesicht", befindet Bauer, der auch von einer Grundversorgung spricht, die der Staat trotz privater Kliniken garantieren müsse.

Dabei hat der 72-Jährige seinen Optimismus längst nicht verloren. "Die Menschheit ist aus solchen Krisen noch immer mit neuem Lebensmut herausgegangen. Wir dürfen nur nicht vergessen, aus unseren Fehlern für die Zukunft zu lernen. Das nächste Virus kommt bestimmt."


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