Einsame Weihnacht: Nicht überall herrscht Idylle

21.12.2020, 05:25 Uhr
Gerade in diesem Jahr müssen viele Menschen die Festtage allein verbringen.

Gerade in diesem Jahr müssen viele Menschen die Festtage allein verbringen.

Doch was, wenn das überhaupt nicht stimmt? Mit schneenassen Haaren platzt er ins festlich dekorierte Esszimmer, die Gans dampft auf dem Tisch, Kinder springen ihm in die Arme: Coming Home For Christmas. An Weihnachten geht es nach Hause zur Familie. Das harmonische Familienidyll wartet.


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So suggerieren es nicht nur die Werbung, Filme und die eigene Lebenserfahrung, sondern auch die bayerische Staatsregierung. Schließlich gibt es vom 23. bis zum 26. Dezember eine Sonderregelung in Sachen Kontaktbeschränkung. Der Grund: Das Fest soll mit der Familie verbracht werden können. Im Bericht aus der Kabinettsitzung steht: Es gilt, dass "bei Treffen im engsten Familienkreis alle Angehörige des eigenen Hausstands mit höchstens vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen treffen dürfen"

Zu diesem engsten Familienkreis gehören laut dem Bericht außer den Angehörigen des eigenen Hausstands auch Ehegatten, Lebenspartner und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Geschwisterkinder und deren jeweiligen Haushaltsangehörige. Von "Freundeskreis" ist also nicht die Rede. Was aber, wenn man beim "Fest der Familie" alleine und eben nicht im Kreise der Verwandten ist?

Alleine, oder zumindest nicht bei der Familie sind laut dem statistischen Bundesamt knapp 10 Millionen Menschen in Deutschland (Stand 2017). Nämlich, weil sie schlichtweg arbeiten müssen. Dazu gehören aber nicht nur Polizisten, Feuerwehrmänner und Ärztinnen im Notdienst, sondern auch Taxifahrerinnen, Hotelangestellte, Paketlieferanten oder Kläranlagenmitarbeiter, die Bereitschaftsdienst haben.

Janine Paljevac ist eine von ihnen. Sie arbeitet als Disponentin in der Leistelle der VAG und ist für den Betriebsablauf der U1 mit zuständig. Am 24. und am 25. Dezember wird sie im Frühdienst arbeiten. "Am 24. ist meistens noch viel Trubel, am 25. merkt man dann schon, dass es ein Weihnachtsfeiertag ist." Wehmütig ist sie in diesen Tagen aber nicht. Den 26. Dezember hat die alleinerziehende Mutter frei. Da freut sie sich auf Spiele und Kuchenbacken – eine ruhige Zeit zuhause. Auch Theresa W. arbeitet an Weihnachten – freiwillig. Das macht sie seit Jahren so, erzählt die Pflegekraft aus dem Klinikum Nürnberg, die derzeit Covid-19-Patienten versorgt.

Stimmung für Patienten

"Ich versuche in den Tagen immer ein bisschen weihnachtliche Stimmung für die Patienten zu machen, hänge LED-Lichter auf oder mache Weihnachtsmusik an," sagt die 27-Jährige. Auf ihre Familie freut sie sich nach den Feiertagen, "ganz entspannt und ohne Druck" wird sie dann eben nach dem 26. Dezember eine schöne Zeit mit ihnen verbringen.

Viele Menschen wollen aber genau das nicht: Eine ruhige Zeit zuhause bei der Familie. Weniger Druck, weniger Streit, weniger Erwartungshaltung: Das sind nur einige Gründe, warum manche den Heilig Abend lieber mit Netflix oder Freunden verbringen.

"Es stimmt biologisch, dass wir alle eine Familie haben. Aber nicht alle haben einen familiären Sozialkontext, in dem es sich gut Weihnachten feiern lässt", sagte die Ordensfrau und Nürnberger Stadtjugendseelsorgerin Magdalena Winghofer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie kritisiert, dass die Politik über Weihnachten mehr als Familienfest anstatt eines christlichen Festes spricht. Auch gäbe es jüngere Menschen, für die das familiäre Fest "die Hölle" sei.

Streitereien, verletzte Gefühle und alte Konflikte, das hat wohl fast jeder an den Feiertagen schon mal erlebt. "Wenn der Konflikt das ganze Jahr besteht, warum sollte er an Weihnachten gelöst werden?", so Eva-Maria Hesse, die Familien- und Paartherapeutin aus Nürnberg. Wer trotz Unstimmigkeiten nicht ganz auf Gesellschaft verzichten möchte, könne den Besuch bei den Eltern ja zeitlich begrenzen.

Unbegründete Sorgen

Dann gibt es wiederum die Leute, denen eine Zankerei vor der Weihnachtsgans lieber wäre, als allein zu sein. Denn sie sind an den Feiertagen gezwungenermaßen für sich, weil die Familie weit weg lebt, es keine (mehr) gibt oder weil sie ohne feste Bezugspersonen leben.


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Eine repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse hat ergeben, dass sich vor allem Frauen (45 Prozent 37 Prozent der Männer) vor einem einsamen Fest sorgen. Doch eigentlich muss es gar keinen Grund zur Sorge geben.

"Es gibt Lebenssituation, in denen wären die Menschen ohnehin alleine. Manche sind jetzt wegen Corona das erste Mal nicht in Gesellschaft, andere haben vielleicht einen lieben Menschen verloren oder sich getrennt." In so einem Fall rät Eva-Maria Hesse dazu, den Schmerz zuzulassen und nicht zu verdrängen. "Erstmal kommt das Annehmen, dann kann man etwas gehen lassen." Man könne sich zum Beispiel in diesem Fall für den Heilig Abend einen guten Film aufheben oder sich in Ruhe in ein Buch vertiefen.


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Die Familientherapeutin meint außerdem: "Man kann den Erwartungsdruck an diese Tage auch einfach runterfahren. Auch Weihnachtsfeiertage haben nur 24 Stunden und sind dann vorbei." Schließlich ist das perfekte Weihnachtsfest um den üppig gedeckten Tisch, mit Flöte spielenden Enkeln und glückseligen Familien ohnehin vor allem eins: Eine schöne Illusion.

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