Enorme Herausforderung: Pflegeheime trifft Corona besonders hart

16.4.2020, 05:58 Uhr
Enorme Herausforderung: Pflegeheime trifft Corona besonders hart

Mehr als drei Wochen ist es her, seit das strikte Besuchsverbot für Alten- und Pflegeheime verhängt wurde. Wochen, in denen Angehörige nur noch per Telefon oder Internet Kontakt zu Heimbewohnern halten können. Wenn sie denn dazu in der Lage sind. Bei Senioren, die etwa aufgrund fortgeschrittener Demenz nicht mehr telefonieren können, kann das Besuchsverbot dazu führen, dass jeglicher Kontakt zur Außenwelt faktisch abbricht.


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So auch im Fall von Brigitte Rütz, die ihren 91-jährigen Vater im Käte-Reichert-Heim der Awo nicht mehr sehen kann. Wegen seiner Demenzerkrankung fürchtet sie: "Weil wir ihn nicht mehr regelmäßig besuchen können, hat er uns längst vergessen." Trotz der dramatischen Auswirkungen auf ihren Vater kann die 47-Jährige die Maßnahmen, die dem Schutz der älteren Menschen dienen, aber grundsätzlich nachvollziehen: "Die Besuchsverbote sind völlig richtig", betont Brigitte Rütz.

Verdachtsfall unter Pflegern

Im Fall ihres Vaters scheinen aber auch die strengen Vorkehrungen nicht gegen die Ausbreitung geholfen zu haben. Am 1. April erhielt sie ein Schreiben aus dem Käte-Reichert-Heim, in dem die Heimleitung Brigitte Rütz informierte, dass es einen Verdachtsfall unter den Pflegekräften gibt, die die Abteilung ihres Vaters betreuen. Eine besorgniserregende Nachricht, die bei den Angehörigen viele Fragen aufwirft. Allen voran: Hat sich der Verdacht bestätigt?

Eine Antwort darauf konnte ihr die Pflegeeinrichtung nicht liefern: Man warte auf das Testergebnis, hieß es dort nur seit Tagen – und arbeitete scheinbar weiter, als wäre nichts geschehen.


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Diesen Eindruck, den sie gewonnen hatte – und ihren Unmut darüber –, brachte die besorgte Tochter in Absprache mit ihren Geschwistern in einem Schreiben an das Gesundheitsamt zum Ausdruck.

Darin will sie als Angehörige nicht nur wissen, ob die Behörde den Corona-Fall bestätigen kann, sondern auch, welche Präventionsmaßnahmen getroffen worden seien. Mit Verweis auf das strenge Vorgehen bei Verdachtsfällen in Kitas fragt sie konkret: "Sind Pfleger, Pflegekräfte, Pflegehelfer, Hilfspersonal, die mit der in Covid-19-Verdacht stehenden Person zusammengearbeitet haben, in Quarantäne?"

Laut Dr. Andrea Brouer, Leiterin der Heimaufsicht und stellvertretende Dienststellenleiterin im Gesundheitsamt, ist das natürlich der Fall – auch wenn es sich für Außenstehende nicht auf den ersten Blick erschließt. Quarantäne in einer Pflegeeinrichtung bedeute nämlich eben nicht, dass das Personal einfach heimgeschickt wird, wie in anderen Branchen. "Das geht natürlich nicht", erläutert sie. Schließlich könne man ja ein Pflegeheim auch nicht schließen wie eine Schule und die dort Lebenden nach Hause entlassen.

Gemeinsames Essen gestrichen

Stattdessen, so die Expertin, wird die betroffene Abteilung – samt Bewohnern und Mitarbeitern – sofort strikt von allen anderen isoliert. Auch untereinander heißt es: Distanz wahren. Die Heimbewohner werden alle nach Möglichkeit einzeln in Zimmern untergebracht und versorgt, Aktivitäten wie gemeinsames Essen gestrichen. Für das Personal, das dadurch einen deutlich erhöhten Betreuungsaufwand hat, wird bei der Arbeit zudem das Tragen von Schutzausrüstung zur Pflicht – je nach Tätigkeit und Nähe zu den Pflegepatienten, von Masken und Handschuhen bis hin zum Körperschutzanzug. Soweit das Prozedere, das laut Gesundheitsamt im Käte-Reichert-Heim auch völlig korrekt umgesetzt werde.


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Mittlerweile, so Andrea Brouer, habe das Robert-Koch-Institut, das die Präventions-Maßnahmen für die Altenpflege genau vorgibt, diese allerdings nochmals aktualisiert und verschärft. Seit dem 3. April stehen Pflegekräfte, die engeren Kontakt mit einem Corona-Verdachtsfall hatten, deutlich stärker unter Beobachtung.

Was das konkret bedeutet, weiß Heimleiterin Ina Schönwetter-Cramer zu berichten: "Unsere Mitarbeiter messen mehrmals täglich Fieber und tragen die Ergebnisse in ein Corona-Tagebuch ein, das alle führen müssen." Auch sonstige Beschwerden, die auf eine Erkrankung hindeuten könnten und – für den Fall der Fälle – alle Kontaktpersonen der Pflegekräfte werden darin festgehalten. Beim geringsten Verdacht heißt es dann: Ab nach Hause für mindestens sieben Tage.

Aufopferungsvoller Einsatz

Maßnahmen, die offenbar Wirkung entfalten: Obwohl sich der Corona-Verdacht bei dem Pfleger zwischenzeitlich bestätigt habe, gibt es in der seit Tagen isolierten Abteilung des Heims keine neuen Verdachtsfälle, berichtet Ina Schönwetter-Cramer.

Weder unter den Bewohnern, die seither – bis auf ein Ehepaar – in Einzelzimmern betreut werden, noch unter den Mitarbeitern, die laut Ina Schönwetter-Cramer aktuell auch unter den massiv erschwerten Bedingungen aufopferungsvoll weiter arbeiten und Großartiges leisten.

Tage voller Ungewissheit

Nur eines weiß auch Sie nicht: wieso das Testergebnis ihres Mitarbeiters so lange auf sich warten ließ. "Ich habe vom Verdachtsfall am Samstagabend, 28. März, erfahren und sofort das Gesundheitsamt informiert", berichtet Ina Schönwetter-Cramer, die das auch nachweisen kann. Der Mitarbeiter habe sich am nächsten Tag von sich aus zur Testung ins Nordklinikum begeben.

Trotzdem dauerte es laut Gesundheitsamt bis zum 7. April, bis dort das positive Testergebnis vorlag, sagt Andrea Brouer. Und das, obwohl Tests von systemkritischem Personal wie Medizinern, Polizisten, Feuerwehrleuten oder eben Pflegekräften priorisiert zu behandeln sind und normalerweise am folgenden Tag vorliegen, wie die stellvertretende Dienststellenleiterin im Gesundheitsamt ebenfalls bestätigt. "Warum es in diesem Fall so lange gedauert hat, untersuchen wir derzeit."


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