Interview mit OB Maly: Zeit für die politische Bilanz

1.3.2020, 17:19 Uhr
Interview mit OB Maly: Zeit für die politische Bilanz

© Foto: Stefan Hippel

NZ: Herr Maly, was hätten Sie als Oberbürgermeister gerne noch verwirklicht?

Ulrich Maly: Ich bin ja noch nicht fertig. Ich möchte gerne noch mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien die Renovierungen im Doku-Zentrum und im Memorium Nürnberger Prozesse klären, außerdem die Zuständigkeiten bei der Vergrößerung des Ostflügels im Justizpalast für die neue Ausstellung. Ansonsten gilt das Bild von der Bügelwäsche: Der Korb wird nie leer. Wenn du versuchst, etwas hinzupfuschen, nur damit es beendet ist, müssen die anderen Nacharbeit leisten. Lieber etwas Halbfertiges hinterlassen.

NZ: War die parteiübergreifende Zusammenarbeit im Nürnberger Rathaus richtig? In dem Bündnis üben sich die Fraktionen von SPD und CSU, anfangs auch noch mit den Grünen, seit 2002 in Rücksicht und Einigkeit.

Maly: Natürlich war es richtig. Es gab damals keine Alternative. Die Republikaner sollten bei Entscheidungen nicht zum Zünglein an der Waage werden. Ich weiß, dass das in den Augen kritischer Journalisten gern als langweilig bezeichnet wird. Die demokratische Legitimation einer Großen Koalition ist aber in Nürnberg viel höher als die einer kleinen. Ich glaube, dass das Modell, alle relevanten Kräfte an der Stadtregierung zu beteiligen, auf Dauer richtig ist. Wenn die politische Debatte in der Referentenrunde monochrom wäre, wäre es einfacher. Aber da würde dann halt innerhalb der Fraktion gestritten. Für die Stadt war es nicht das Schlechteste. Als Städtetagsvorsitzender musste ich auch immer parteiübergreifend tätig sein. Am Anfang stand mir noch ein Freistaat Bayern gegenüber, in dem die CSU auf die absolute Mehrheit abonniert war. Sie haben den Kompromiss erst lernen müssen. So hat sich auch Markus Söder weiterentwickelt – zum Guten.


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NZ: Hat Markus Söder das Zeug zum Kanzler?

Maly: Er wird klug genug sein, das Richtige zu tun, falls die Frage sich stellt. Die empirischen Erfahrungen bayerischer Kanzlerkandidaten sind überschaubar. Ich bin mir sehr sicher, dass Markus Söder eines so ungern will wie ich: eine Wahl verlieren.

NZ: Was raten Sie den Sozialdemokraten auf Bundesebene?

Maly: Sich aus dem Mechanismus zu befreien, dass bei uns die Vorsitzenden schuld sind. Den Blick über den Gartenzaun zu richten und sich die Frage zu stellen, wie man die Grundwerte der SPD in aktuelles politisches Handeln übersetzt. Das immer noch nicht reine Verhältnis zur Ökologie als Gerechtigkeits-Topos zu definieren – das haben wir bisher nie gemacht. Wo wohnen denn die armen Menschen in der Großstadt? Dort, wo die Luft schlechter ist. Uns fehlt ein klares Verhältnis zur Digitalisierung. Vielleicht brauchen wir auch ein etwas anderes Staatsverständnis. Weg von der Formulierung: Wir wissen immer genau, was für die Menschen gut ist, und wir sagen es ihnen auch noch – manchmal bevor es die Menschen selber wissen. Lieber fröhlicher Weltverbesserer sein als verbissener Zwangsbeglücker. Was im Moment stattfindet – wir rücken ein bisschen nach links, und alles wird gut – halte ich für einen strategischen Fehler.

NZ: Welche Themen kamen in Ihren drei Amtszeiten zu kurz?

Maly: Es gab, wenn ich es selbstkritisch sehe, eine gewisse Traumatisierung in Sachen verkehrspolitischen Mutes. Da bilden sich aber im Moment neue Mehrheiten, wir sind mittlerweile umzingelt von Radverkehrsexperten quer durch alle Fraktionen. Ich glaube, wir müssen Zug um Zug die Innenstadt weitgehend autofrei machen. Auch auf dem Altstadtring ist vermutlich aus alter Gewohnheit mehr Durchgangsverkehr unterwegs, als wir wollen; das wollen wir messen. Viele nehmen, wenn sie aus dem Süden zum Flughafen wollen, nicht den Autobahnring, sondern fahren über den Hauptbahnhof. Wenn das so ist, müssen wir regionale Verkehre stärker aus der Stadt rauskriegen. Dabei würde der Frankenschnellweg helfen.


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Bei der Wohnungspolitik kann man uns vorwerfen, wir hätten zu spät angefangen. Auf der anderen Seite muss man im politischen Prozess ehrlich sein. Hätten wir zum Zeitpunkt, als die Schlange beim Wohnungsamt noch kürzer war, begonnen, mit der Kettensäge vorzufahren, wäre der Protest gegen die Flächenversiegelung noch größer gewesen. Du brauchst einen Leidensdruck bei diesen Güterabwägungen. Wobei die Umweltpolitik von Peter Pluschke (der Umweltreferent der Grünen gibt mit der Kommunalwahl ebenfalls sein Amt ab, d. Red.) viel besser ist als ihr Ruf. Was er in einer alten Industriestadt gemacht hat, ist im Großstadtvergleich grandios.

NZ: Der Ausbau des Frankenschnellwegs bleibt also richtig?

Maly: Ich glaube ja. Ich überprüfe ja in regelmäßigen Abständen die eigenen Entscheidungen. Mut zum Irrtum gehört auch nach 18 Jahren dazu. Den Frankenschnellweg könnte man für obsolet erklären, wenn man sich sicher wäre, dass der Individualverkehr dramatisch zurückgeht, und noch sicherer, dass der Schwerverkehr zurückgeht. Ich glaube nicht, dass die Elektrifizierung die Erosion der Autozahlen bewirkt – in Deutschland passiert gerade das Gegenteil. Auf Jahre hinaus wird der Schwerverkehr die Lkw-Logistik sein. Weil ich diese Fahrzeuge nicht wegbeschließen kann, muss ich einen Deckel draufmachen.

NZ: Haben Sie auch falsche Entscheidungen getroffen?

Maly: Ja, sicher. Bei der Verkleinerung der Referentenbank habe ich ein paar Sündenfälle begangen: Die Abschaffung des Stadtbaumeisters, die Zusammenlegung von Bau- und Umweltreferat haben allergische Schocks ausgelöst. Da habe ich sicher die eine oder andere Debatte vom Zaun gebrochen, die es nicht gebraucht hätte.

NZ: Es blieb ja bei den Debatten.

Maly: Aber Debatten hinterlassen Spuren. Auch bei der Idee, das Bildungszentrum aus der Nürnberger Akademie zu verlagern, war die Erregungssensibilität von Teilen der Bevölkerung höher, als ich dachte. Wenn Sie Stimmung in der Stadt vergiften und das Vertrauen erschüttern, ist es ein Fehler. Ich würde heute auch versuchen, die alte Milchhof-Halle zu erhalten.

NZ: Worauf sind Sie besonders stolz?

Maly: Nächste Frage! Ich bin stolz darauf, dass meine Kinder anständig geraten sind und zwei Freunde mir gesagt haben, dass ich mich kaum verändert habe. Stolz klingt so, als wäre alles meiner Hände Arbeit gewesen.

NZ: Na dann "zufrieden"?

Maly: Der Grat zwischen Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit ist ein schmaler. Deswegen bin ich beim Bilanzziehen so verstockt. Bilanz, das klingt immer so: Es gibt den 1. Mai 2002 und den 30. April 2020, und alles dazwischen war ich. Das ist natürlich Quatsch. Das Schauspielhaus hätte wahrscheinlich jeder andere Oberbürgermeister gebaut. Das Volksbad wiederzubeleben, das hätten auch Herr Schmidt und Frau Müller versucht. Das Bauen von Kindertagesstätten kann man vielleicht mir zurechnen, aber wer weiß? Gießen wir es lieber in drei Zahlen. Die Arbeitslosenquote lag zu Beginn meiner Amtszeit bei 13,2 Prozent, jetzt bei fünf. Das ist klasse. Die Kinderkrippenversorgung stieg von gut drei Prozent auf 38. Die Investitionsmittel haben sich vervierfacht.

NZ: Gewachsen ist aber auch der städtische Schuldenberg, auf 1,5 Milliarden Euro.

Maly: Stimmt. Dem stehen aber erstens auch Werte gegenüber, zum Beispiel ein neues Schauspielhaus, eine Stadtbibliothek, ein Langwasserbad. Investitionen, deren Nutzen in der Zukunft liegt, dürfen auch zukünftig abbezahlt werden. Und zweitens: Wer bei den derzeitigen Zinsen nicht investiert, macht was falsch.


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NZ: Dauerthema ÖPNV – ist im Verkehrsverbund VGN das Einstimmigkeitsprinzip nicht das größte Problem? Bei so vielen Interessen der Gemeinden kann man nie Reformen beschließen.

Maly: Nein. Das Prinzip ist jetzt 30 Jahre lang gutgegangen, es erfordert einfach höheren Abstimmungsaufwand. Das Problem entsteht eher bei den kommunalen Mitfinanzierungsleistungen. Es gibt Landkreise, die außer ihrem VGN-Mitgliedsbeitrag noch nie etwas gezahlt haben und sich fragen, warum sie für ein Defizit von anderer Stelle einstehen sollen. Ich glaube aber, dass sich auf Bundes- und Landesebene Unterstützungsformen verstetigen werden, die unsere Konsensbildung erleichtern.

NZ: Übergeben Sie die Maly-Formeln "Stadtpolitik im Dialog" und "Solidarische Stadtgesellschaft" an Ihre Nachfolger?

Maly: Zumindest altmodisch sind sie nicht geworden. Stadtpolitik und Verwaltung müssen heute noch sehr viel mehr und direkter kommunizieren, zusätzlich über Medien und soziale Kanäle. Und die gesellschaftliche Sehnsucht nach Solidarität und Gerechtigkeit ist wahrscheinlich heute noch viel größer als 2002.

NZ: Welche Ideen der OB-Kandidaten finden Sie gelungen?

Maly: Wenn ich bewerte, was mein Kandidat macht: Klar ist es richtig, die Kleinteiligkeit bei Stadtteilplätzen zu beachten und Brunnen zu versprechen. Die erwähnten Entwicklungen in der Verkehrspolitik halte ich auch für richtig. Es gibt Riesenchancen, die sich aus der Hochschulgründung ergeben – man könnte die Wissenschaft zur Chefsache machen.

NZ: Thorsten Brehm, der SPD-Kandidat, will sich auch dem Thema Einsamkeit widmen.

Maly: Die Zahl der Single-Haushalte wächst. Das sind nicht nur Rentnerinnen und Rentner. Natürlich funktioniert eine Stadtgesellschaft nur, wenn Kommunikation stattfindet. Da bietet die Kulturhauptstadt-Bewerbung eine Riesenchance.

NZ: Der nächste Stadtrat dürfte noch heterogener werden. Wie geht man am besten mit der Bürgerinitiative Ausländerstopp und künftig mit der AfD um?

Maly: Wir haben seit 1996 in unterschiedlicher Stärke rechtspopulistische und -extremistische Parteien dabei. Da gibt es keinen goldenen Mittelweg, weder für die Politiker aus dem demokratischen Spektrum noch für die Medien. Dass man sich nicht mit ihnen einlassen darf, hat Thüringen gezeigt. Totschweigen wird nur manchmal helfen. Und die Auseinandersetzung muss man manchmal suchen. Ich bin überzeugt: Die Höcke-AfD ist kein Thüringer Phänomen, die gibt es überall. Nur Höcke gibt es im Moment nur in Thüringen. Aber es ist ja eindeutig zu sehen, wie die Partei weiter nach rechts rückt.

NZ: Können Sie drei Begriffe nennen, die Sie Nürnberg für die Zukunft wünschen?

Maly: Lebensqualität. Das beginnt beim Sicherheitsgefühl, geht über sozialpolitische Infrastruktur bis zu Schulen, Jobs und bezahlbaren Kultur- und Freizeitangeboten. Das Zweite: Wir dürfen in Nürnberg aufgrund unserer besonderen geschichtlichen Verpflichtung nie geschichtsvergessen werden. Das Dritte: Ich wünsche den ideellen Gesamtnürnbergern, dass sie ein Stück weit so bleiben, wie sie sind. Ein bisschen nörgelig. Manchmal sieht man die einzige Wolke, obwohl außenherum die Sonne scheint. Das macht einfach unseren Liebreiz aus.

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