Nürnberg: Juden und Muslime gemeinsam gegen rechten Hass

21.2.2020, 20:07 Uhr
Nürnberg: Juden und Muslime gemeinsam gegen rechten Hass

© Foto: Günter Distler

"Es ist zum Kotzen", wettert Jo-Achim Hamburger schon kurz nachdem er die orientalisch dekorierte Begegnungsstube Medina betritt. Was den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) stört, ist allerdings nicht, dass die Gastgeber Muslime sind. Schließlich sind Jo-Achim Hamburger und seine jüdische Gemeinde, mit der der muslimische Verein bereits seit vielen Jahren zusammenarbeitet, dort schon so etwas wie Stammgäste.


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Nein, Hamburger ist frustriert darüber, dass es wieder einmal ein rassistischer Anschlag ist, der ihn mit seinen "muslimischen Brüdern" zusammenbringt. "Solidarität zu demonstrieren, ist in solchen Situationen zwar wichtig und richtig", betont der IKG-Chef. Aber angesichts dessen, dass sich derartige Ereignisse in den letzten Monaten weltweit zu häufen scheinen, frage er sich persönlich manchmal auch, was man sonst noch tun sollte.

"Nicht auseinanderdividieren lassen"

Seinen Solidaritätsbesuch bei seinem "langjährigen Freund" Cemalettin Özdemir von der Begegnungsstube will er damit natürlich ebenso wenig infrage stellen wie seine Teilnahme an einer Mahnwache, bei der am Abend zuvor der Opfer der Hanauer Anschläge gedacht wurde. Aber Hamburger trägt sein Herz auf der Zunge und lässt das Ohnmachtsgefühl, das ihn – wenn auch nur kurz – beschleicht, ebenso frei heraus wie seinen Unmut über jene Mahnwache am Ehekarussell: "Da ging es nicht nur gegen Extremismus, sondern plötzlich auch gegen die Polizei und um Themen wie Armut", berichtet er und schüttelt den Kopf. Damit habe die Linke die Gedenkveranstaltung "poliitisch entführt", kritisiert er.

Hamburger wie seinem muslimischen Gegenüber ist nach der Bluttat in Hanau wichtig, dass die Menschen gemeinsam gegen jede Form von extremistischer Gewalt einstehen – egal, ob sich diese gegen Juden, Muslime, Migranten oder aber Schwule und Lesben richtet. "Wir müssen zeigen, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen", sagt Özdemir.


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Ähnlich äußerte sich Bülent Bayraktar, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in der Metropolregion Nürnberg (TGMN), die auch zu einer Mahnwache aufgerufen hatte: "Heute haben wir uns am Plärrer versammelt, um ein Zeichen gegen diejenigen zu setzen, die versuchen, uns zu spalten." Der TGMN-Chef bezeichnete Rassismus und Hass als Gift, das zu den Untaten der NSU, dem Lübcke-Mord und den Attentaten in Halle geführt habe, und kritisierte auch "die geistigen Brandstifter in Politik und Medien, die verantwortlich sind für eine wachsende rassistische und völkische Stimmung" im Land.

AfD als Brandstifter

Weniger diplomatisch ist da Jo-Achim Hamburger, der Ross und Reiter benennt und explizit AfD-Politiker wie Björn Höcke, den er als Faschisten bezeichnet, für den zunehmenden Extremismus verantwortlich macht. Statt sich geschlagen zu geben, wie es seinerzeit in der Weimarer Republik geschehen sei, müssten die Demokraten sich heute aber wehrhaft zeigen.

Wehrhaft und vor allem wachsam, wie er ergänzt: "Wir müssen mehr auf unseren Nächsten achten und hellhörig werden, wenn jemand sich verändert, anfängt, sich komisch zu verhalten, oder sich zurückzieht. Keiner wird von heute auf morgen zum Attentäter." Für Cemalettin Özdemir ist das Alltag. Sein Verein engagiert sich gemeinsam mit Behörden gegen die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher: "Wenn wir merken, dass sich da etwas zusammenbraut, melden wir solche Fälle der Polizei."

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