Warum die Glocken läuten: Eine klangvolle Erinnerung

1.4.2021, 17:15 Uhr
Warum die Glocken läuten: Eine klangvolle Erinnerung

© Michael Matejka/NNZ

Mit dem Läuten der tiefsten Glocken beteiligte sich auch Nürnberg vergangene Woche am bayernweiten Corona-Gedenken. Der dunkle, durchdringende Ton sollte bewusst machen, dass bisher über 13.000 Menschen in Bayern (76.000 in Deutschland, weltweit über 2,8 Millionen) an oder mit Corona verstorben sind. Eine klangvolle Erinnerung.

Brutale Verbalattacken

Vor drei Jahren setzte die evangelische Pfarrerin von St. Jakob ein Zeichen gegen die menschenverachtenden Sprüche von Pegida: Die Glocken übertönten die rechtsextremen Parolen vor der Kirchentür.


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Das Echo ließ allerdings nicht lange auf sich warten: Mehr als 100 Mails mit sexuell gefärbten, brutalen Verbalattacken landeten auf ihrem Computer. "So viel Hass ist mir noch nie entgegen geschlagen", berichtete sie entsetzt und erstattete Anzeige wegen Beleidigung. Ein Extremfall.

"Heimat, mein Zuhause"

Doch viele Menschen verbinden mit dem Klang der Bronzehüte positive Gefühle: "Für mich ist das Heimat, mein Zuhause", sagt der gelernte Glockengießer Martin Buchmeier aus dem Stadtteil Gartenstadt.

Warum die Glocken läuten: Eine klangvolle Erinnerung

© privat

Von Kind auf hat der 30-jährige Nürnberger die Glocke auf dem offenen Dachreiterturm der benachbarten Emmaus-Gemeinde bewundert. Dort konnte er sogar das Zugseil sehen, mit dem sie zum Schwingen gebracht wird.

In mehrere Teile zerbrochen

Buchmeier hat sich um die uralte Glocke von St. Martha gekümmert, als das mittelalterliche Gotteshaus in der Stadtmitte 2014 von einem verheerenden Brand zerstört wurde. Auch das fast 60 Kilo schwere Klanginstrument des Meisters Hans Glockengießer aus dem 15. Jahrhundert war damals in mehrere Teile zerbrochen.

Geschweißt wurde es in einer Nördlinger Spezialfirma. Martin Buchmeier brachte sein Fachwissen ein: Der Nürnberger entwarf den Bauplan für den Glockenstuhl, er zeichnete das Joch und schmiedete den originalen Klöppel von 1411 wieder passend.

Klang ist nach 600 Jahren immer noch großartig

"Ich habe das unentgeltlich gemacht, mich faszinierte einfach die Arbeit des Handwerkers", erzählt Buchmeier, "Hans Glockengießer hatte das Werkstück vor 600 Jahren geschaffen und es klingt heute immer noch großartig."

Warum die Glocken läuten: Eine klangvolle Erinnerung

© Hagen Gerullis

Werktags um sieben Uhr morgens, mittags um 12 Uhr und abends um 18 oder 19 Uhr läuten stadtweit die Glocken. Sie erinnern an die Gebetszeiten und sorgen mit dem Stundenschlag für einen gewissen Tagesrhythmus. Freitags um 15 Uhr denken Gläubige an die Todesstunde Jesu, samstags wird bereits um 14 Uhr der liturgische Beginn des Sonntags eingeläutet.

Dramaturgischer Effekt

Zum Ende der Karwoche schweigen die Klangkörper allerdings generell: "Der Karfreitag ist ein stiller Tag, die komplette Festlichkeit wird herunter gefahren, um dann am Ostersonntag mit vollem Jubel wieder zu läuten", erklärt der katholische Stadtdekan Andreas Lurz.

Ein bewusster dramaturgischer Effekt also, um die Rückkehr des Lebens zu feiern." Der archaische Klang der Glocken berührt mich, es sind wunderschöne Musikinstrumente", sagt Pfarrer Lurz.

Glockensachverständiger Markus Willinger sieht dies ebenso. Neben dieser Tätigkeit lehrt er als Professor für Orgelspiel an der Nürnberger Musikhochschule. Im Gespräch mit dem Magazin "Leben im Erzbistum Bamberg" erklärt er, dass die Glocke ein Idiophon, ein Selbstklinger ist. Sie erzeugt einen Klang, der sich aus mehreren Unter- und Obertönen zusammensetzt.

Deutlicher Abrieb durch Klöppel

Der Fachmann mahnt einen sorgsamen und verantwortungsvollen Umgang besonders mit historischen Glocken an. Bei Jahrhunderte alten Bronzehüten habe der Klöppel oft schon für einen erheblichen, deutlich sichtbaren Abrieb gesorgt. Daher müsse man sie schonend behandeln.

Gemeinden fragen den Experten um Rat, wenn zu einem bestehenden Geläute neue Glocken dazukommen. Dies ist besonders heikel, findet Willinger. Denn schließlich muss ein harmonisches Klangbild erhalten bleiben.

Wegen Geläute vor Gericht

Nicht immer harmonisch ist das Verhältnis mit unmittelbaren Anwohnern. Gelegentlich kommt es zu Gerichtsverfahren, weil sich Nachbarn durch die Lautstärke des Glockenläutens gestört fühlen. Vor zwei Jahrzehnten musste die katholische Kirche "Verklärung Christi" im Nürnberger Stadtteil Steinbühl Schallbretter montieren lassen, um den Klang zu dämpfen.


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"Da gab es noch ein besonderes Extra dazu", berichtet Stadtdekan Lurz, "das Abendläuten findet seither zwei Minuten vor 19 Uhr statt, um die Nachbarn nicht beim Nachrichten hören zu stören." Ob die Begründung tatsächlich richtig ist, weiß der Geistliche allerdings nicht, so lange ist er noch nicht in der Pfarrei, aber: "Wenn es nicht stimmt, so ist die Geschichte für das vorzeitige Läuten zumindest gut erfunden", äußert er augenzwinkernd.

Besonderheit im Knoblauchsland

Auch der evangelische Pfarrer Martin Brons von St. Sebald berichtet von einer Besonderheit: Er ist im Knoblauchsland aufgewachsen und da gibt es um 11 Uhr das "Suppenläuten". "Das ist ein Signal für die Bauern auf dem Acker, dass es Zeit zum Mittagessen ist, eine wunderbare Tradition", erklärt Brons.

Für ihn ist Glockenläuten generell "ein Herausgerufen werden aus dem Strom des Alltags, eine Zeit zum Innehalten". Es mache ihm die Gebetszeiten bewusst, er empfindet diese Signale als strukturierend und befreiend. Der Glockenklang vor dem Gottesdienst ist für ihn der Ruf zur Gemeinschaft. ​Es werde hörbar, dass Menschen zur Feier zusammenkommen.

Läuten auf dem letzten Weg

Übrigens: Glocken sind keine christliche Erfindung.​​, es gibt sie in vielen Kulturen und Religionen. Die ältesten Tonkörper sollen von der chinesischen Shang-Dynastie aus dem 15. Jahrhundert vor Christus stammen.

Glocken sind nicht ausschließlich auf Kirchtürme beschränkt. Am Nürnberger Süd- und Westfriedhof begleitet das Läuten Verstorbene auf ihrem letzten Weg - hinaus aus dieser Welt.

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