Corona: So fahndet das Rother Gesundheitsamt nach Kontaktpersonen

28.10.2020, 06:00 Uhr
Corona: So fahndet das Rother Gesundheitsamt nach Kontaktpersonen

© Foto: Tobias Tschapka

Ist das Gesundheitsamt Roth-Schwabach noch in der Lage, in der Corona-Pandemie jede einzelne Infektionskette nachzuverfolgen? Die Antwort lautet: möglicherweise. Möglicherweise auch nicht. Die Aufgabe wird bei steigenden Fallzahlen auf jeden Fall immer schwieriger, selbst wenn das Amt inzwischen von gut 30 auf rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestockt worden ist.

Wer wissen will, wie schwierig es ist, Infektionsketten nachzuspüren und sie möglichst frühzeitig zu unterbrechen, der muss Dr. Stefan Schmitzer zuhören. Der Allersberger leitet seit Juni 2018, also seit gut zwei Jahren, das Gesundheitsamt. Dass einmal eine weltweite Pandemie sämtliche andere Aufgaben überlagern würde, das hätte sich der Mediziner bestimmt nicht ausgemalt, als er seinerzeit seinen neuen Job antrat.

Um zu zeigen, wie aufwändig die Arbeit der vielfach neu eingestellten Kontaktnachverfolger ist, greifen wir einmal zwei Beispiele heraus, die das Gesundheitsamt in den vergangenen Wochen tatsächlich auf Trab gehalten haben. Es geht dabei nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Denn niemand steckt andere Personen mit Absicht an. Deshalb spielen Name und Ort auch überhaupt keine Rolle.

Fall 1: Der Auhof

Ein Auhof-Bewohner, also eine Person mit geistiger Behinderung, verbringt das Wochenende bei seinen Eltern. Dort infiziert sich der Mann mit dem Corona-Virus. Ob bei seinen Eltern oder bei weiterer Verwandtschaft, die anreist, weil sie den Mann schon lange nicht mehr gesehen hat, spielt keine Rolle.

Zurück im Auhof entwickelt der Betroffene nach einigen Tagen coronatypische Symptome. Das ist kritisch. Denn erstens wohnen in einer Behinderteneinrichtung viele Menschen, die alleine aufgrund ihrer Behinderung zur Risikogruppe gehören. Und zweitens können in einer Einrichtung, in denen Menschen mit geistigen Handicaps leben, die AHA-Regeln nur unzureichend umgesetzt werden. Sie werden dort eher zu "HA-Regeln". H wie Hygiene ist elementar, auch A wie Alltagsmasken gehören im Auhof selbstverständlich längst zum Standard.

Doch A wie "Abstand halten" funktioniert in solchen Einrichtungen nicht. Denn Behinderte benötigen soziale Nähe, sie brauchen Berührungen und Umarmungen wie andere die Luft zum Atmen. "Social distancing", die wirksamste Waffe gegen das Virus, kann und darf es im Auhof nicht geben.

Das Problem: Der eine Infizierte hat in der Einrichtung relativ engen Kontakt zu 150 Personen. Dazu zählen seine Mitbewohner in der eigenen und einer benachbarten Wohngruppe, aber auch weitere Auhof-Bewohner – und vor allem auch Betreuer, die das Virus dann natürlich wieder aus dem Auhof nach draußen, zu ihren Familien, zu ihren Kindern, zu ihren eigenen sozialen Kontakten tragen.

Viele Betreuer müssen sich in häusliche Quarantäne begeben, die Rummelsberger, Träger des Auhofs, mobilisieren "das letzte Aufgebot", wie es Stefan Schmitzer ausdrückt. Denn man kann die Behinderten ja nicht alleine lassen.

Corona: So fahndet das Rother Gesundheitsamt nach Kontaktpersonen

© Screenshot: Robert Gerner

Am Ende gibt der Mann mit Handicap, der das Wochenende bei seinen Eltern verbracht hat, das Virus an 15 Menschen in seinem Umfeld weiter, die wiederum 56 weitere direkte Kontaktpersonen haben, die in Quarantäne müssen. Mehrere Menschen erkranken ernsthaft, acht müssen ins Krankenhaus. Es dauert Wochen und am Ende 260 (!) Corona-Tests, bis die Lage wieder unter Kontrolle ist.

Fall 2: Der Sänger

Es beginnt mit einer Chorprobe mit anschließendem gemütlichen Zusammensitzen. Einer der Sänger ist, natürlich ohne es zu ahnen, corona-positiv. Weil eine Chorprobe länger als 15 Minuten dauert, sind seine 30 Mitsänger direkte Kontaktpersonen und potenzielle Viren-Empfänger. Denn beim Singen verbreiten sich die gefürchteten Aerosole besonders gut.

Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass der Sänger noch in einem zweiten Chor aktiv ist, der wenige Tage später probt. Dort trifft der infizierte Sänger, noch immer ohne Symptome, auf weitere 20 Sängerinnen und Sänger.


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Als er schließlich positiv getestet wird, ist die Kontaktverfolgung aufwändig. Zu seinen direkten Kontaktpersonen zählen jetzt 50 Mitsänger, fünf sonstige Personen und sechs Familienmitglieder.

Es stellt sich heraus: Er hat beim Singen elf Chormitglieder angesteckt (die natürlich auch wieder persönliche und familiäre Kontakte haben), in seiner eigenen Familie gibt er das Virus an seinen schulpflichtigen Enkel weiter. Das Gesundheitsamt muss über den Enkel, dessen komplette Schulklasse und vier Lehrer Quarantäne verhängen. "Ein einziger Fall löst mitunter eine ganze Lawine aus", sagt Stefan Schmitzer.

Nicht jeder Infizierte erkrankt

Man muss an dieser Stelle sagen: Beileibe nicht jeder, der sich mit dem Corona-Virus infiziert, erkrankt auch. Bei vielen verläuft die Infektion mit milden oder gar keinen Symptomen. Es gilt aber auch: Je weniger Menschen sich infizieren, desto weniger werden auch krank.

Je weniger Corona-Kranke es gibt, desto weniger werden schwer krank. Je weniger schwer erkranken, desto weniger müssen auf Intensivstationen beatmet werden. Und je weniger Menschen auf Intensivstationen beatmet werden müssen, desto weniger werden am Ende an oder in Verbindung mit dem Virus sterben.

Mal einfach, mal kompliziert

Stefan Schmitzer, der Leiter des Gesundheitsamtes, sagt: Die Hauptweitergabe des Virus erfolgt im privaten Bereich. Es habe in seinem Zuständigkeitsbereich bislang keinen (dokumentierten) Fall gegeben, in dem das Virus in der Schule oder in einer Kita weitergegeben worden wäre. Allerdings versuche man in diesen Bereichen auch sehr schnell zu reagieren. "Da zeigen wir Präsenz, auch samstags und sonntags", so der Mediziner.

Soll heißen: Während das Gesundheitsamt im Privatbereich alle Verdachtsfälle, die mobil sind, zur Teststation nach Roth schickt, damit dort ein Abstrich gemacht wird, wird das Amt, sobald es um Kitas, Schulen und Altenheime geht, selbst aktiv. Dann wird der Abstrich entweder in einer zweiten Teststation im Landratsamt (frühere Kfz-Schilderstelle) gemacht, oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder beauftragte Ärzte fahren selbst hinaus zu den Einrichtungen und führen Reihentests durch.


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In sozialen Medien wird hin und wieder zwar über die neue Teststation an der "Steinernen Eiche" in Roth (Parkplatz direkt an der B2) gemeckert. Stefan Schmitzer hält diese Teststation jedoch für ein "zuverlässiges System. Es läuft gut, es ist gut organisiert, ich habe mich dort selbst testen lassen".

Ergebnis nach 14 Stunden

Die meisten Corona-Tests in Schwabach und im Landkreis werden inzwischen über die Firma Eurofins ausgewertet, die auch die Teststation an der B 2 betreibt. Laut Stefan Schmitzer haben der Betroffene (per E-Mail) und das Gesundheitsamt nach durchschnittlich 14 Stunden das Ergebnis.

Der offizielle Weg über das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wird tendenziell seltener bestritten. Grund: Die Labore des LGL seien schon an oder über ihrer Kapazitätsgrenze. Deshalb, so Schmitzer, gebe es die Testergebnisse oft nicht mehr zeitnah. Doch Tempo ist bei der Kontakt-Nachverfolgung nun einmal eine ganz wichtige Waffe.