Der Fall Mamo: Eine Schwabacherin, ein Geflüchteter und eine ungewöhnliche Freundschaft

6.12.2019, 10:55 Uhr
Der Fall Mamo: Eine Schwabacherin, ein Geflüchteter und eine ungewöhnliche Freundschaft

© Foto: Sophia Kembowski/dpa

Luise May ist verzweifelt. Mehrere Aktenordner dokumentieren mittlerweile ihren Einsatz für einen 26-jährigen Geflüchteten aus Gambia namens Mamo (für den – unwahrscheinlichen – Fall, dass ihm Nachteile dadurch entstehen könnten, lassen wir den Nachnamen weg). May hat sich mit diversen Behörden auseinandergesetzt, hat eine Anwältin eingeschaltet, sprach vor bei Politikern und Beratungsstellen. Trotzdem hat sie es bisher nicht geschafft, dass Mamo, den sie so gern hat, dass sie ihn adoptieren will, in Schwabach leben darf.

Aber der Reihe nach: Luise May ist 66 Jahre alt, ihr Mann ist 2009 an Krebs gestorben. Mit ihren erwachsenen Kindern, das deutet sie an, hat sie kein gutes Verhältnis. Plötzlich tritt 2017 Mamo in ihr Leben, durch puren Zufall. "Mir ist am Stuttgarter Bahnhof mein Handy auf den Boden gefallen, ein junger Mann hob es auf und gab es mir zurück", erzählt May. Sie freut sich, bedankt sich und gibt dem Mann einen Kaffee aus.

Schlimme Überfahrt

Bald erfährt sie seine Geschichte. Er heißt Mamo, stammt aus Gambia und kam mit dem Schiff nach Europa. May geht nicht ins Detail, es muss aber eine schlimme Überfahrt gewesen sein, von der der Geflüchtete erzählt. May schlägt vor, dass Mamo sie mal in Schwabach besuchen kommt – sie zahlt ihm das Zugticket. "Wir sind dicke Freunde geworden", sagt May. Die beiden bleiben weiter in Kontakt. Anfangs habe man noch Englisch miteinander gesprochen, dann wurde Mamos Deutsch immer besser.

Eine Idee reift in May, und irgendwann spricht sie es aus: "Ich adoptier’ dich". Mamo hat Tränen in den Augen. "Echt?" "Ja!"

Kann es sein, dass Mamo ihre Einsamkeit ausnützen will? May protestiert vehement: "Ich verstehe schon, warum Sie so etwas fragen. Aber ich sehe ihn wirklich wie meinen Buben", sagt sie. Er rauche nicht, er trinke nicht, er lerne fleißig deutsch mit ihr. Kurzum: Er sei ein anständiger junger Mann.

Mamo soll nach Schwabach ziehen

Soweit die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Aber so einfach ist es nicht. Mamo lebt in Stuttgart in einer Gemeinschaftsunterkunft. Im Juli 2018 spricht May mit einer Notarin wegen der Adoption. Die Notarin bremst: Zunächst sollte sich eine Beziehung entwickeln, eine Art Mutter-Kind-Verhältnis. Dafür wäre es gut, wenn Mamo in Schwabach leben würde. May beauftragt ihre Anwältin, einen Antrag zu stellen. Mamo soll nach Schwabach ziehen dürfen.

Außerdem vermittelt May ihm ein Praktikum bei der Schwabacher Metzgerei Rühl. Chefin Elisabeth Rühl ist auf Anhieb begeistert von Mamo und bietet ihm eine Lehrstelle an. "In unserer Branche tun wir uns hart, geeignete Leute zu finden", sagt die Metzgerin. Mamo habe einen sehr guten Eindruck gemacht. So gut, dass Rühls Angebot nicht zeitlich gebunden ist: Wann auch immer Mamo nach Schwabach umziehen kann, kriegt er die Lehrstelle. Seine Deutschkenntnisse sieht sie nicht als Problem. Es reiche, um die Lehre anzufangen und er lerne ja – auch Dank der Nachhilfe von Luise May – schnell dazu. "Das würde auf jeden Fall klappen", betont Rühl.

Irritierende Ablehnung

Seit Mitte 2019 liegt das Angebot des Lehrvertrags vor. Mays Anwältin sieht darin die bessere Chance, Mamo nach Schwabach zu bringen und stellt deshalb – laut Luise Mays Aussagen – einen entsprechenden Antrag. Den vorherigen Antrag zieht sie zurück. Vor wenigen Tagen aber hat Mays Anwältin ein Ablehnungsschreiben erhalten. Es bezieht sich nur auf die Adoption. Darin moniert die Behörde, es lägen keine Beweise für diese Adoption vor. Geht ja gar nicht, sagt May, sie habe schließlich noch nicht stattgefunden. Aber warum eine Ablehnung auf einen längst zurückgezogenen Antrag?

May ist frustriert. Behörden, Beratung, Politik, die eingeschaltete Anwältin – sie habe alles versucht. "Ich habe die Geburtsurkunde von Mamo aufgetrieben, eine Versicherungskarte besorgt, den Lehrvertrag vorgelegt, eine Bescheinigung seines Deutschniveaus – die wollen jedes Mal etwas anderes!"

Kein Recht auf Umverteilung

Zumindest wurde der zweite Antrag, der die versprochene Lehrstelle als Grund nennt, noch nicht abgelehnt. Wie geht es damit weiter? Liegt es an den Deutschkenntnissen? Nicht unbedingt. Auf Nachfrage heißt es vonseiten der Regierung von Mittelfranken, der Besuch einer Berufsschule – der für Azubis obligatorisch ist – mache nur Sinn, wenn die Prüfungsaufgaben auch gelesen, verstanden und beantwortet werden können. Aber: "Es liegt im Verantwortungsbereich des Ausbildungsbetriebs, ob das notwendige Sprachniveau erreicht wird, um die Ausbildung zu beginnen und erfolgreich abschließen zu können". Das wäre also nicht das Problem.

Dazu ist allerdings festzuhalten: Die Informationen der zuständigen Regierung von Mittelfranken beziehen sich nicht auf den Fall Mamo, sie sind allgemeiner Natur. Demnach gibt es generell kein Recht auf eine Umverteilung aufgrund eines in Aussicht stehenden Ausbildungsplatzes. Jeder Einzelfall werde geprüft, letztlich sei es eine Ermessensentscheidung.

Luise May jedenfalls fühlt sich an der Nase herumgeführt. Doch sie will weiterkämpfen: "Aufgeben kommt nicht in Frage."

"Willkür ist inakzeptabel"

Redakteur Thomas Correll kommentiert den Fall:

Der Fall Mamo hat eine rechtliche Ebene: Es gibt nach geltendem Gesetz keinen zwingenden Grund, Mamo den Umzug nach Schwabach zu erlauben. Der Fall hat aber noch eine zweite Ebene, eine politische: Ein Geflüchteter, der eine Aufenthaltsgestattung hat, sollte auch arbeiten oder eine Ausbildung beginnen dürfen. Es am Wohnort scheitern zu lassen, ist kein gutes Signal an einen integrationswilligen Menschen.

Wird der Umzug von immer neuen Bedingungen abhängig gemacht, wie Luise May behauptet? Es ist merkwürdig, dass in dem Ablehnungsschreiben von der Lehrstelle überhaupt keine Rede ist. Der Ausbildungsvertrag liegt der Behörde schließlich längst vor, wie May betont.

Leider sind verwirrende Signale, unterschiedliche Maßstäbe und komplizierte Bürokratie eher die Regel als die Ausnahme, wenn es um Geflüchtete geht. Jeder, der sich in diesem Bereich engagiert, kann ein Lied davon singen. Regeln sind Regeln, das ist das eine. Aber Willkür ist inakzeptabel.

Verwandte Themen


Keine Kommentare