Aus Zufall zum Maskenhandel: Unternehmen managt Millionenlieferungen

30.4.2020, 09:16 Uhr
Aus Zufall zum Maskenhandel: Unternehmen managt Millionenlieferungen

© Foto: Firma Modl Pappenheim

"Ich arbeite im Moment 16 bis 19 Stunden am Tag, mit zehn Minuten Mittagspause, seit fast vier Wochen und habe sechs Kilo abgenommen", erzählt Modl. "Wer meinen Job will, kann ihn haben", sagt sie und schnauft kurz durch. "Das ist Krieg da draußen." Sie meint das hektische Chaos, das auf diesem Markt in Wild-West-Manier gerade herrscht. Die 39-Jährige ist erschöpft, aber auch voller Adrenalin von einer Arbeit, die schnelle Lösungen verlangt.

Eigentlich leitet Nicole Modl das gleichnamige Familienunternehmen in Pappenheim – einen Mechatronik-Mittelständler mit rund 150 Mitarbeitern. Derzeit jongliert sie aber täglich mit Millionen Masken und Euros, koordiniert chinesische Lieferketten, Flugtransporte, verhandelt mit dem Zoll, richtet Zwischenlager ein, beauftragt Wachdienste, prüft Zertifikate und nimmt Bestellungen von der Deutschen Bahn, EON und Unikliniken auf. Das Gesundheitsministerium aus Berlin ruft an, man spricht direkt mit dem Freistaat. Business as unusual, sozusagen.

Schuld daran ist ein guter Freund. Ein Arzt, der sich bei ihr über den Mangel an Masken im Gesundheitssystem beklagt hat. Nicole Modl wollte nicht glauben, dass es so schwer sein kann, eine Lieferung aus China zu organisieren. Sie behielt recht. Als das Weißenburger Tagblatt darüber berichtete, dass sie eine Lieferung von zwei Millionen Masken bekomme, war die bereits verkauft. "Am Abend vor Erscheinen des Artikels hat ein Kunde die ganze Lieferung gekauft. Da war die noch im Flieger. Also musste ich neue besorgen. So fing das an." Und seitdem hörte es nicht mehr auf.



Als der Arzt ein paar Tage später auf einen Besuch vorbeischaute, konnte er Nicole Modl nur noch zusehen, wie sie Telefonate koordinierte. Nach einiger Zeit zog er unverrichteter Dinge und leise kopfschüttelnd wieder ab. "Ich bin nicht mal dazugekommen, mit ihm zu reden", sagt die 39-Jährige. Seit den ersten Lieferungen wird sie mit Anfragen überrollt. Bei den großen Konzernen hat sich die Firma aus dem Altmühltal als Geheimtipp herumgesprochen.

Wie kann es sein, dass es einem Mittelständler aus einer medizinfernen Branche gelingt, woran Politik und Behörden sowie die allermeisten Unternehmen scheitern? Die Behörden hielten an ihren Routinen fest, was Verhandlungen und Bestellungen betrifft, glaubt Modl. Nur, dass diese in einem Markt nicht hilfreich sind, in dem die Ware in der Früh einen anderen Preis hat als am Vormittag und mittags dann bereits weg sein kann.

Die 39-Jährige kann mit ihrer Fünf-Mann-Taskforce in Pappenheim schnell handeln und sie baute auf bestehende Kontakte ihres Unternehmens auf. Binnen einer Woche stampfte sie ein System aus dem Boden, das von zwei fernöstlichen Fabriken unter Aufsicht des chinesischen Militärs bis zu ihr führt. "Man muss Leute haben, die schon vor Corona funktionierende Lieferketten hatten und denen man vertrauen kann", sagt sie.


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Denn: Auf dem Markt ist auch viel Schrott unterwegs. "Kein Laie kann einschätzen, was er da kauft, was die einzelnen Zertifikate wert sind." Ihre Lieferungen lässt sie vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen prüfen. "Man muss da auf allen Ebenen mit Profis zusammenarbeiten, sonst ist das Risiko zu groß." Und es bleibt auch dann nicht unbedingt klein.

Lob für die Banken

Bei den sehr großen Aufträgen fungiert sie als Vermittlerin, aber die normalen Millionenaufträge wickelt sie selbst ab. Das heißt, sie kauft die Ware, finanziert sie vor und verkauft sie weiter. "Ich bin sehr dankbar, dass da auch die Banken vor Ort mitziehen", sagt Modl und lobt die Sparkasse Mittelfranken-Süd und die Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte.

Es geht um Millionenbeträge, die da auf die Schnelle organisiert werden müssen. "Der höchste Betrag, mit dem ich bei einer Vermittlung zu tun hatte, waren 73 Millionen Euro", so die 39-Jährige. "Das sind keine Summen, die ich gewohnt bin." Auch die regionalen Banker mussten sich kurz schütteln.

Bis August, denkt sie, wird der Maskenmarkt angespannt bleiben. Die Produktionskapazitäten in China seien vorhanden. Allein die zwei der zehn großen Produktionsstandorte, auf die sie Zugriff habe, produzierten pro Tag ca. 20 Millionen Masken. "Aber das Problem ist, dass die ganze Welt Hunger hat." Und: Es zeichnet sich ab, dass die Stoffe für die Masken knapp werden. Die Preise steigen kontinuierlich, berichtet Modl. Was im Moment für alle Bereiche des Markts gilt.


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Auch das Pappenheimer Unternehmen verdient an dem, was es tut. "Ich muss damit zwingend Geld verdienen, weil ich 16 bis 19 Stunden meiner Lebenszeit diesem Thema widme und meine eigentliche Aufgabe als Geschäftsführerin gar nicht mehr wahrnehmen kann", erklärt Nicole Modl. "Aber ich wehre mich gegen den Vorwurf der Abzocke. Jeder, der professionell in der Branche tätig ist, kennt die Rohstoffsituation, kennt die wahnsinnigen Transportkosten, kennt die Probleme, die es beim Zoll geben kann und hat das Thema Sicherheit der Ware auf dem Schirm. Die Ware muss 24/7 bewacht werden, sie muss kommissioniert und transportiert werden – teils unter Bewachung. Das alles kostet Geld, was sich natürlich auch auf den Verkaufspreis auswirkt."

Um bessere Konditionen für ihre Kunden zu bekommen, bündle sie die Bestellungen und gebe das an die Kunden weiter. "Das müsste ich nicht machen, da meine Kunden es sowieso nicht kontrollieren könnten, tue ich aber", stellte Modl fest. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass die Masken für sie ein Geschäft sind, aber eines, das fair für alle Seiten abläuft. Auch wenn der Markt durchdreht.

Tatsächlich könnte die Pappenheimerin bei manchen Kunden auch andere Preise verlangen. Mitunter ist die Verzweiflung groß: "Mich ruft der Vorstand eines Uniklinikums persönlich an und bittet um Masken. Es sind am Telefon auch schon Tränen geflossen und man hat uns angefleht, irgendwoher Masken zu besorgen", erzählt Nicole Modl.

Dass sie nun so groß im Geschäft ist, hat ihr auch Ärger eingebrockt. Und zwar vor Ort. Sie konnte manche Kleinbestellungen aus der Region nicht mehr bedienen, weil bei ihr die Großen Schlange stehen. Inzwischen arbeitet sie mit der Greifen-Apotheke in Weißenburg zusammen, die die Masken für die Region anbietet. "Da sind wir total dankbar, dass das geklappt hat", sagt Modl.

Nicht alles funktionierte von Anfang an

"Wir sind von der Entwicklung absolut überrollt worden", gibt sie zu. Was als einmaliges Hilfsprojekt für die Region begann, ist zu einem mindestens nationalen Großhandel geworden. "Bei uns hat am Anfang bestimmt nicht alles funktioniert, da muss man nicht drum rumreden. Aber wenn man so viel arbeitet, dann machen Menschen Fehler. Und wenn wir jemanden verärgert haben, dann garantiert nicht mit Absicht", bittet sie um Verständnis. "Wir haben manchmal Leute bei uns auf dem Hof stehen, die um Masken bitten, weil sie Angst um ihre Oma haben. Das geht mir auch an die Nieren."

Man versuche dann Lösungen zu finden, aber manchmal sei man gezwungen, Entscheidungen zu treffen. "Wenn eine große Klinik Masken braucht, dann kann es da um Leben und Tod gehen und dann geht das eben auch mal vor."

Dass aus diesen turbulenten Wochen und Monaten ein neuer Geschäftszweig für die Firma entsteht, kann sich die 39-Jährige nicht vorstellen. "Um ehrlich zu sein, freue ich mich darauf, wieder Schaltschränke zu verkaufen. Ich mag meinen Job", lacht sie. Dann verabschiedet sie sich. Ab in die nächste Videokonferenz.


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