Heckings Start beim FCN: "Können alle nicht zufrieden sein"

5.11.2020, 06:00 Uhr
Telefoniert auf der Tribüne und schreibt auf der Tribüne: Dieter Hecking ist jetzt Sportvorstand.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, ARC Telefoniert auf der Tribüne und schreibt auf der Tribüne: Dieter Hecking ist jetzt Sportvorstand.

100 Tage als Sportvorstand beim 1. FC Nürnberg: Mit wie viel Kraft, Elan und Freude starten Sie denn nach diesen 100 Tagen in einen wahrscheinlich auf vielen Ebenen komplizierten Winter, Herr Hecking?

Dieter Hecking: Ich weiß nicht, ob der Winter kompliziert wird. Und nein, das ist alles ungebrochen. Die Aufgabe macht mir sehr viel Spaß. Dass da auch einmal Herausforderungen warten, das bringt ja jeder Beruf mit sich.

Sie sind vor diesen 100 Tagen in einen sehr aufgeregten Verein zurückgekehrt. Ist das Ihre bislang größte Leistung, dass diese Aufregung verschwunden scheint? Oder ist sie das gar nicht?

Hecking: Das können Sie besser beurteilen als ich. Intern arbeiten wir ruhig, im Umfeld nehme ich auch keine großen Ausschläge wahr. Wobei das natürlich immer auch von den sportlichen Ergebnissen abhängig ist. Wir müssen eben realistisch an die Dinge herangehen. Diesen Realitätssinn habe ich versucht zu transportieren – vielleicht wirkt das gerade.

Wie zufrieden sind Sie denn mit den sportlichen Ergebnissen bislang?

Hecking: Wir können alle nicht zufrieden sein. Ich gebe zwar nicht zu viel auf Statistik, aber wir haben einfach zu viele Punkte liegen gelassen. Das ist ärgerlich. Die Spiele in Regensburg und gegen Sandhausen waren absolut okay. Gegen Darmstadt waren wir die schlechtere Mannschaft. Der Punkt auf Sankt Pauli war gut, ein intensives Spiel. Die beiden letzten Spiele fand ich nicht gut von uns. Wir müssen noch geschlossener agieren, zielstrebiger. Wir hätten uns in diesen Spielen ein besseres Gefühl erarbeiten können.

"Die Geschlossenheit fehlt manchmal"

Woran liegt das? Es gab ja in diesen Spielen immer die Phasen, in denen sich der Club gut fühlen konnte. Dann wurden immer wieder Führungen verspielt. Mit Ihrer Erfahrung von 100 Tagen in diesem Verein: Was ist los mit dieser Mannschaft? Ist es das Können oder ist es der Kopf?

Hecking: Ich glaube, es ist weder das Können noch der Kopf. Die Erwartungshaltung, die jeder einzelne Spieler an sich hat, ist es eher. Jeder sieht sich ein bisschen besser, als er es in den letzten zwei Jahren war. Und es fehlt, wie schon erwähnt, die Geschlossenheit über 90 Minuten. Die muss da sein, wenn du einen Gegner bezwingen willst – und zwar von der Nummer eins bis zur Nummer 20. Das ist bei uns bislang nicht immer gegeben. Erst einmal muss sich jeder selbst hinterfragen, ob er die Leistung bringt, die der Mannschaft hilft. Da brauchen wir dann nicht darüber diskutieren, ob wir ein Kopf-Problem haben, wenn wir in Führung gehen. In jedem Spiel, finde ich, können einzelne Spieler einfach besser spielen – und das sind nicht immer die gleichen. Wir brauchen die Selbstkritik, ohne uns zu kritisch zu sehen. Die Fehlerquote ist einfach noch zu hoch – da kann man nicht sagen, dass bei uns jeder Fehler bestraft wird.


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Hätten Sie sich als Sportvorstand gewünscht, dass Sie im Sommer mehr Möglichkeiten auf dem Transfermarkt gehabt hätten, als es Ihnen die Pandemie ermöglicht hat?

Hecking: Nein. Es war relativ schnell klar, dass wir wegen Corona nicht so viele Aktivitäten auf dem Transfermarkt durchführen werden. Diese Mannschaft hat unser Vertrauen verdient. Keiner will so etwas wie im letzten Sommer noch einmal erleben. Auch darauf setze ich, dass die Spieler sich den Spiegel vorhalten und sich sagen: Das passiert nicht noch einmal.

Ist es unter diesen Umständen überhaupt fair, jetzt schon die Arbeit eines Sportvorstandes zu beurteilen?

Hecking: Das ist schon okay. Wir haben nicht so viel gemacht, aber doch ein bisschen etwas. Wir hatten ein wenig Pech mit Pascal Köpke und Manuel Schäffler, die verletzt waren, aber die ich für zwei sehr gute Stürmer in der zweiten Liga halte. Tom Krauß spielt als 19-Jähriger jedes Spiel, das ist nicht selbstverständlich. Christian Früchtl hat Christian Mathenia zu besseren Leistungen provoziert. Bei Sarpreet Singh sieht man, dass er noch robuster werden muss, aber ich bin sicher, dass er uns noch viel Spaß machen wird. Wir setzen aber auch darauf, dass sich Spieler, die letztes Jahr schon da waren, positiv weiterentwickeln.

"Fachlich kommt der Trainer an"

Die wichtigste Personalie war der Trainer: Bislang macht er einen sehr sympathischen Eindruck. Er erklärt sich und den Fußball sehr eloquent. Ist er denn ein guter Trainer?

Hecking: Er ist ein junger Trainer, der das erste Mal Cheftrainer im Profibereich ist. Auch ihm muss man eine gewisse Zeit geben, bis er mit seinen Vorstellungen komplett durchdringt. Was ich aus der Mannschaft und aus dem Stab höre: Fachlich und menschlich kommt er gut an. Dass er das in der Schnelle der Zeit hinbekommen hat, spricht absolut für ihn. Aber er muss hier jetzt auch lernen, mit Niederlagen umzugehen und damit, wie es ist, wenn einen die Öffentlichkeit piekst. Er macht es gut, letztendlich besteht seine Herausforderung darin, jeden Tag zu nutzen, noch besser zu werden.

Wie sieht der Austausch aus zwischen Ihnen? Ist das ein täglicher oder lassen Sie ihn auch einmal in Ruhe vor sich hinwurschteln?

Hecking: Wurschteln sollte er nicht.

Gut, arbeiten.

Hecking: Er kommt immer mal wieder hoch ins Büro und dann nehmen wir uns Zeit. Aber ich schaue jetzt auch nicht mehr jeden Tag beim Training zu. Das mache ich nur noch bei den großen Einheiten, wo auch einmal ein elf gegen elf gespielt wird, um meinen Blick auf die Mannschaft zu haben. Aber wenn wir uns sehen, dann reden wir über alles: Über den Club, den großen Fußball, den kleinen Fußball, weil wir beide ein Faible für den Amateurfußball haben. Wir reden aber auch über private Dinge. Wenn Robert mich fragt, bekommt er ehrliche Antworten. Letztendlich muss er seine richtigen Schlüsse ziehen.

Notizen auf der Tribüne

Wie sehr sind Sie denn noch Trainer? Ertappen Sie sich manchmal auf der Tribüne beim Gedanken, dass Sie das taktisch ganz anders gemacht hätten?

Hecking: So ganz werde ich das wahrscheinlich nie ablegen. Die Gesichtspunkte unter denen ich ein Spiel gucke, sind aber jetzt anders aufgestellt. Ich bin ja auch schon mal angesprochen worden, was ich mir da immer für Notizen mache auf der Tribüne.

Und?

Hecking: Das ist schnell aufgeklärt: Das ist einfach nur die Grundformation des Gegners. Außerdem noch die Einwechslungen und die Gelben Karten – für den Fall, dass mal eine vergessen wird und einer Gelb-Rot gefährdet ist. Das sind meine Notizen und am Ende des Tages hefte ich die ab. Spieler, die mir auffallen, markiere ich – für mich ist das auch Scouting.


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Das heißt, Sie haben daheim ein eigenes Zimmer, das vollgestellt ist mit Ordnern, in denen Grundformationen Ihrer bisherigen Gegner stehen?

Hecking: Ja, das sind meine Saisonbücher.

Schaut man da im Nachgang auch wirklich nochmal rein oder sind das einfach Staubfänger?

Hecking: Natürlich schaue ich da rein. Gerade jetzt auch als Sportvorstand. Vielleicht findet man da jetzt Spieler, die für den Club interessant werden können.

Ein Strahlkraft-Bundesligist

Sind Sie inzwischen schon komplett zum Sportvorstand geworden oder lernen Sie immer noch dazu?

Hecking: Egal wie lange man diesen Job ausübt, man lernt jeden Tag dazu. Es gibt Sachverhalte, die sich mir noch gar nicht erschließen können, weil sie eben irgendwann das erste Mal auf meinem Schreibtisch liegen. Da bin ich auch mal auf die Mitarbeiter angewiesen. Das habe ich aber auch nicht anders erwartet. Beim zweiten oder dritten Mal will ich die Dinge dann selbst regeln können.

Was ist der bessere Beruf: Trainer oder Sportvorstand?

Hecking: Sportvorstand natürlich. Ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden und kann – um zur Eingangsfrage zurückzukommen – auch nach 100 Tagen sagen, dass ich diese Aufgabe mit dem gleichen Elan ausübe, wie zu Beginn. Auch wenn ich weiß, dass noch viele Herausforderungen auf uns warten.

Weil Sie den Realitätssinn angesprochen haben: Wann ist der 1. FCN wieder ein richtig erfolgreicher Fußballverein, der über die erste Liga nachdenken kann?

Hecking: Das möchte ich nicht mit einem konkreten Zeitplan beantworten.

Aber die grundsätzliche Hoffnung gibt es noch?

Hecking: Das ist mein ambitioniertes Streben und ich möchte niemandem diese Hoffnung rauben. Von seiner Tradition und Strahlkraft ist der Club ein Bundesligist, sportlich haben wir letzte Saison in der letzten Sekunde die Klasse gehalten. Daraus lassen sich Anspruch und Realität am besten ableiten.

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