Ice Tigers feiern ihre Fans

Wie laut kann man REIMER durch eine Maske schreien?

12.9.2021, 21:30 Uhr
Wie laut kann man REIMER durch eine Maske schreien?

© Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa

Niklas Treutle hatte bereits Gänsehaut, da hatte das Spiel noch gar nicht begonnen. Nach einer Saison, die sie verpasst und dabei eigentlich nichts verpasst hatten, weil die Ice Tigers sehr viel mehr Spiele verloren als gewonnen hatten, feierten die Fans den Nationaltorhüter, und die vielen Spieler, die sie bislang allenfalls auf Bildschirmen in den Trikots mit dem Tigerkopf gesehen hatten. Sie feierten den Moment, als Pucki, das Maskottchen, immer noch lachend, immer noch stumm, immer noch bestens gelaunt, auf das Eis fuhr. Und sie feierten bei der Spielervorstellung den Kapitän. „Patrick“, begann Christian Rupp, der Arena-Sprecher. Und 3400 Menschen beantworteten die Frage, wie laut man eigentlich durch Masken schreien kann, mit: „REIMER!“

Vielleicht war das der Moment, in dem sich Wolfgang Gastner allmählich beruhigte. Es ist kaum zwei Wochen her, da war der Geschäftsführer der Ice Tigers noch mit Funktionären von sechs weiteren bayerischen Erst- oder Zweitligisten bei einer Pressekonferenz auf dem Podium gesessen, „um laut zu sein“ und um Markus Söder darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht sein könne, dass in Bietigheim in einer ausverkauften Arena Eishockey gespielt werden dürfe, in Nürnberg aber nur vor 800 Fans. Es ist nicht ganz klar, ob der bayerische Ministerpräsident das Brüllen des Eistigers vernommen hat, fünf Tage später wurde jedenfalls festgelegt, dass künftig wieder 6339 Zuschauer in die Arena Nürnberger Versicherung kommen dürfen, getestet, genesen oder geimpft, mit Maske. Und als sich zum ersten Saisonspiel tatsächlich 3418 Menschen zum Maskenball in der Arena versammelten, da war Gastner „so nervös, wie vor keinem Heimspiel zuvor“.

Keine Kamera ersetzt das Gefühl

Es war eine Stimmung in der Arena, wie man sie von Hochzeitsfeiern kennt oder von sehr harmonischen Familientreffen. „Es ist einfach wunderschön“, sagte Peter Dörr in der ersten Drittelpause, da hatte er bereits das 1:0 von Tyler Sheehy bejubelt, ein schnelles, keineswegs fehlerfreies Spiel, das Eishockey an sich, vor allem aber das Leben als Fan an sich. „Da trifft man Menschen, die man seit eineinhalb Jahren nicht gesehen hat – und sofort fühlst du dich wieder wie in einer Familie.

Bejubelt wie ein Tor von Patrick Reimer: die Zuschauerzahl, verkündet von Arena-Sprecher Christian Rupp.

Bejubelt wie ein Tor von Patrick Reimer: die Zuschauerzahl, verkündet von Arena-Sprecher Christian Rupp. © Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa

Peter Dörr hat die letzte Saison auch auf dem Sofa verbracht oder auf dem Balkon oder wo auch immer er die Ice Tigers auf großen und kleinen Bildschirmen verfolgt hat. Es war kein gutes Jahr, ohne Vorbereitung fehlte es der Mannschaft an Sicherheit, erst gegen Ende der Saison fanden die Ice Tigers zu sich selbst. Die letztlich verheerende Bilanz war aber nicht das Problem. „Es gibt einfach keine Kameraperspektive, die das Gefühl ersetzen kann, ein Eishockeyspiel live im Stadion zu erleben“, stellte Peter Dörr, der Fan, nach 20 Minuten fest. Und Niklas Treutle, der Torhüter, rechnete weitere zwei Drittel und zwei weitere Nürnberger Treffer später vor, dass „Fans in dieser Sportart 60 Prozent ausmachen, mindestens“.

Stoa tanzt, die Fans jubeln

Es lässt sich nun nicht mehr beantworten, ob diese junge Ice Tigers-Mannschaft in der Vorsaison mit Fans im Rücken stabiler aufgetreten wäre. An diesem Sonntagnachmittag war es offensichtlich, dass dieses keineswegs erfahrenere Team vom warmen Jubel und der Freude auf den Rängen profitierte. "Für die Mannschaft macht es das immens viel einfacher", stellte Frank Fischöder fest, der sein erstes Heimspiel als Cheftrainer vor Fans erlebte. Fischöder sah aber auch, dass seine Spieler "sehr, sehr nervös" begannen. Trotzdem vermittelten die Ice Tigers den Eindruck einer Gruppe, die stets bemüht war, schnell zu spielen, die kompromisslos nach vorne laufen wollte, nicht selten mit den Verteidigern vorweg. Neben der wunderbaren Stimmung in der Arena war das der größte Unterschied zur vergangenen und vergessenen "trostlosen Saison" (Reimer). Auch diese Ice Tigers werden diese noch junge Saison nicht als Deutscher Meister beenden. Aber sie wollen begeistern.

Sie sind zurück: Die "we are back"-Schals hatte Hauptsponsor NCP für die Fans auslegen lassen. 

Sie sind zurück: Die "we are back"-Schals hatte Hauptsponsor NCP für die Fans auslegen lassen.  © Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa

Bei der ersten Gelegenheit ist ihnen das gelungen. Als der junge Tim Fleischer, aus Iserlohn gekommen, weil er dort kaum noch aufs Eis durfte, dem souveränen Ryan Stoa das 2:0 auflegte und der Kanadier den Bietigheimer Torhüter austanzte, da fühlte es sich an, als wäre das der entscheidende Treffer zum Titel gewesen. Und 3400 Zuschauer waren laut wie mehr als 7000. Man kann eben nicht nur "REIMER" sehr laut durch eine Maske schreien.

"Einfach wunderschön"

In der Arena Nürnberger Versicherung wurde tatsächlich schon um den Titel gespielt, 2007 war das. Die Arena hat 2001 WM-Spiele erlebt, euphorisierte Letten, sangesfreudige Schweizer und Tschechen. In den Playoff ging es schon vor vollen Rängen schon um alles - oder nichts. Dieses Spiel gegen den Aufsteiger aus Bietigheim aber reihte sich ein in die stimmungsvollsten Partien. Das haben selbst jene gespürt, die diese Geschichten allenfalls von Wikipedia kennen.

Nick Welsh zum Beispiel hat in der kanadischen Juniorenliga schon in größeren Arenen gespielt, vor mehr Fans. Aber als er nach dem 3:0 gegen hartnäckige Steelers von seiner ersten Ehrenrunde in Nürnberg zurückkehrte, da war der selbstbewusste junge Verteidiger noch ganz beseelt von der Atmosphäre. "Es war so laut", sagte Welsh, "einfach wunderschön."

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