Palikucas Abschied: Das Ende beseitigt nicht die Gründe

27.7.2020, 15:19 Uhr
Verlässt den Club nach rund 15 Monaten als Sportvorstand: Robert Palikuca.

© Daniel Marr, Sportfoto Zink Verlässt den Club nach rund 15 Monaten als Sportvorstand: Robert Palikuca.

Als außerordentlicher Sympathieträger wurde der gebürtige Bückeburger auf der Kommandobrücke des 1. FC Nürnberg nie wahrgenommen, dennoch überzeugte der zuvor nur Branchenexperten bekannte Manager-Rookie bei seiner Vorstellung den Großteil der FCN-Anhänger: Enthusiastisch und forsch trat er auf, wählte seine Worte mit Bedacht und Präzision, kündigte längst überfällige Strukturreformen an, sprach wunde Punkte an, ohne nachzutreten.

Rund 15 Monate später sitzt er wieder auf dem Podest im FCN-Pressekonferenzraum, wieder an der Seite des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Thomas Grethlein. In einem branchenunüblichen Prozedere steht der bald ehemalige Club-Sportvorstand den Journalisten in einer virtuellen Runde ausführlich Rede und Antwort. Er wirkt gefasst, als habe er sich darauf vorbereitet, es schon durchexerziert und seine Wortwahl ausführlich durchdacht. Er wirkt auch groteskerweise erleichtert, lächelt, als es in der Zoom-Konferenz technische Komplikationen gibt. Er sitzt aufrecht. Und er hat noch viel zu sagen, greift Antworten zu ungestellten Fragen vorweg, fügt an, wirft ein.


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"Es waren bestimmt Fehler dabei", räumt Palikuca eingangs Verfehlungen während seiner Amtszeit beim 1. FC Nürnberg ein. Alles andere wäre ob des desolaten Verlaufs der abgelaufenen Spielzeit ohnehin kaum vermittelbar. In der Folge beschreibt sich der 42-Jährige, der sich als "sehr selbstkritisch" bezeichnet, allerdings ein Stück weit als eine hilflose Marionette äußerer Umstände: Corona, (Mord-)Drohungen, Unruhe durch die Medien, schwieriges Vereinsumfeld.

Fehlende Kontinuität

Bei der Aufarbeitung seiner personellen Entscheidungen fällt auf, dass auch hier der Fehler nicht in erster Linie beim niedersächsischen Kroaten zu suchen sein sollte. Damir Canadi, den ersten Trainerfehlgriff, nennt er "einen renommierten Trainer aus dem Ausland, der hier nicht funktioniert hat". Auch Nachfolger Jens Keller genoss ursprünglich einen exzellenten Ruf, kannte er doch "die 2. Bundesliga und das Umfeld eines Traditionsvereins". Lässt man den einstigen Übungsleiter vom FC Ingolstadt, dessen Einstellung unbestritten mit einer grundverschiedenen Intention in einer komplett anderen Ausgangssituation einherging, vorerst aus dem Spiel, so bleibt man bei Wunschtrainer Canadi und einem Problem hängen, das dem Club auf zahlreichen Ebenen begegnet: fehlende Kontinuität im Doppelpass mit mangelnder Philosophie.

Fürth überzeugte zuletzt mit attraktivem Offensivspiel, das nahegelegene Regensburg baut seit Jahren auf aggressives Pressing und pfeilschnelles Konterspiel – und der Club? Verpflichtete mit Köllner und Schommers, Canadi und Keller zuletzt Trainer mit vollends unterschiedlichen Auffassungen vom Fußball und damit auch mit anderen Anforderungen an die ihnen zur Verfügung stehenden Spieler. Der Punkteschnitt bestätigte die Richtigkeit des letzten Trainerwechsel von Canadi (1,21) über die Zwischenstation Mintal hin zu Keller (1,10) jedenfalls nicht. Allerdings soll an dieser Stelle nun auch nicht jene Entscheidung thematisiert, kritisiert oder befürwortet werden, vielmehr dient sie als Paradebeispiel für ein strukturelles Problem beim Club, das sich seit Jahren durch den Verein zieht, und das Robert Palikuca, wie er bei seiner Vorstellung ausführte, hätte angehen sollen.


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Beim Implementieren einer trainer- und mannschaftsübergreifenden Ideologie ist der 42-Jährige gescheitert, dennoch leistete er mit einigen personellen Reformen in der sportlichen Leitung zumindest einen geringfügigen Beitrag zum Fortschritt. Mit Frank Steinmetz lotste Palikuca einen Experten der Belastungssteuerung vom Auer Erzgebirgsstadion an den Neuen Zabo, wo er als Co-Trainer Athletik zunächst für die Relegation Michael Wiesinger assistierte. Die Forderung des gebürtigen Burghausers bereits nach wenigen gemeinsamen Einheiten: "Gib ihm einen Zehnjahresvertrag!" Eine Genugtuung für den Sportvorstand.

An der Personalie Wiesinger setzt im Übrigen auch ein zweiter Verdienst des einstigen Düsseldorfer Marketingleiters an: "Palikuca hat das NLZ wieder auf sehr gute Beine gestellt. Er hat viele der uns verlustig gegangenen Ex-Spieler integriert, er hat einem Ex-Spieler und -Trainer die Leitung anvertraut", lobte Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Thomas Grethlein. Mit den Aspekten Identifikation und Club-Vergangenheit setzte Palikuca tatsächlich auf eine Karte, die Nürnbergs Lieblingsverein gut zu tun schien. Es liegt allerdings im Wesen der Nachwuchsarbeit, dass seine Maßnahmen erst in einigen Jahren Früchte tragen werden. Dennoch: Im Bereich Struktur und Jugend hat der 42-Jährige den ein oder anderen richtigen Stein umgedreht.


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Vielleicht liegt es Palikuca, der nach seiner verletzungsbedingt beendeten Karriere als Profifußballer zunächst im Marketing der Fortuna einstieg und dann als Manager Lizenzmannschaft in der Abteilung Scouting & Kaderplanung eher in der zweiten Reihe die Fäden zog, generell eher, im Hintergrund zu arbeiten. In dieser Funktion überzeugte der Niedersachse im Rheinland, wurde er doch vom Express bei seinem Abschied als "Erfolgsgarant" bezeichnet. Auch die Netzreaktionen der Düsseldorfer Anhänger legen einen hohen Stellenwert jenes in Nürnberg bis dato unbekannten Mannes nahe. An den polykausalen Zusammenhängen im schnelllebigen Geschäft, der am Valznerweiher schnell entstehenden Eigendynamik und den Entscheidungen im Bereich der Kaderplanung scheiterte der erstmals im Blickpunkt stehende 42-Jährige aber unumstritten.

Zu aufgebläht war der Kader, zu homogen seine Spielertypen: Für rund sieben Millionen Euro verpflichtete Palikuca 15 Neuzugänge. Letztendlich gelang es unter den externen Neuzugängen, nimmt man den Marktwert als Indiz, nur Robin Hack, eine positive Entwicklung zu nehmen. Mit Innenverteidiger Mavropanos fädelte der kantige Kroate ein geschicktes Leihgeschäft mit einem talentierten Spieler ein, der der Mannschaft auf Anhieb helfen konnte. Die Krux: Es war eben ein Leihgeschäft. Bezüglich der Neuverpflichtungen scheint Palikuca an der in Nürnberg immerwährenden und zunehmenden Diskrepanz zwischen der romantischen Erinnerung an ruhmreiche Tage der Vergangenheit und der ernüchternden Realität gescheitert zu sein.

Schleuseners später Stocher-Treffer in der Relegation rettete den Club vor dem Abstieg.

Schleuseners später Stocher-Treffer in der Relegation rettete den Club vor dem Abstieg. © Sportfoto Zink / Daniel Marr

Im Selbstverständnis des fränkischen Altmeisters gehören große Namen und Spieler von großen Vereinen zum Club, sie werden gefordert, allerdings garantieren wie im Falle Geis auch keine 144 Erst- und Zweitligaeinsätze, dass es auch in Nürnberg funktioniert. Es zieht sich durch sämtliche Bereiche: Dass der frühere Marketingleiter auf Renommée, das sicher seinen Preis hatte, setzte, kann man ihm zwar als Wesenszug, als Berufskrankheit vorwerfen: Mehr Schein als Sein. Auch schlechte Produkte glänzend verkaufen – Hauptsache, die Außenwirkung stimmt. Allerdings stellt sich auch die Frage nach den Alternativen: Hätte das chronisch ambitionierte Umfeld toleriert, wenn eben nicht ein namhafter Dovedan, ein Geis oder ein Junioren-Nationalspieler Hack verpflichtet worden wäre, sondern – wie im Falle der Fürther und Regensburger - unbekannte Youngster und Dritt- oder Regionalliga-Stars? Ja, es gäbe auch bundesligaerfahrene Akteure und hochveranlagte Talente, diese wären für den finanziell limitierten Club jedoch nicht stemmbar gewesen oder schlichtweg nicht zum FCN gewechselt, gilt dieser doch längst nicht mehr als Top-Adresse für Talente.


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Ein zweifellos uneingeschränkt von Palikuca verschuldetes Problem bei der Kaderplanung, die er in Düsseldorf als eine seiner Kernkompetenzen maßgeblich betreute: zu viele zu gleiche Spieler. Geis, Dovedan, Medeiros – sie alle verfügen sicherlich über eine feine Technik, allerdings mangelt es ihnen, wie so vielen Spielern im Nürnberger Kader, an Dynamik und Tempo. Abgesehen davon erhielten zu viele Spieler zu unnötig lange Verträge, auch das "Grundgerüst", sprich die Spieler, die aus dem bestehenden Kader übernommen wurden, wurden nach eigener Aussage falsch bewertet. Der Kroate fügte an: "Im Nachgang hätte man sich mehr mit dem Abstiegsthema beschäftigen können, ob man noch einen Schalter umlegen kann, ob man der Sache gewachsen ist, was Verantwortungsübernahme betrifft."

Die Suche nach dem Verantwortlichen, oder – wie man in Krisenzeiten zu sagen pflegt – die Schuldfrage, ist im Fußball nur selten eindeutig zu beantworten. So wie man aber das Scheitern der beiden Trainer und dem Großteil der Neuzugänge nicht nur auf deren Qualität, sondern auch auf Palikucas Kompetenzen zurückführt, so sind dessen Verfehlungen ebenfalls der nächst höheren Instanz, dem Aufsichtsrat, anzukreiden. So gering die Trennschärfe ist, so wichtig ist die Beurteilung von Palikucas Leistungen losgelöst von den Problemen, die am Valznerweiher seit Jahr und Tag in den Entscheidungsstrukturen und im schwierigen Umfeld herrschen. Der Bückeburger soll von seiner Schuld keinesfalls frei gesprochen werden, allerdings müssen auch die Bedingungen für seine Arbeit in Betracht gezogen werden.


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Dabei kommt man immer wieder auf ein Wort zu sprechen: Kontinuität. Wenn man von den Qualitäten eines Trainers oder eines Sportvorstands überzeugt ist, dann hält man auch in Zeiten sportlichen Schiefstands an jenen Personalien fest. Einfach, weil man letztlich bei der Frage, wer denn der Richtige ist für das Meistern der Krise, immer wieder beim Gleichen herauskommt – siehe Frank Schmidt, siehe Christian Streich, siehe Florian Kohfeldt, siehe auch Max Eberl. Grethleins Argumentation, es liege ausdrücklich nicht an der "geleisteten Arbeit", sondern man wolle keinen "Rucksack" voller Negativ-Erlebnisse zu tragen haben, durchkreuzt jede Perspektive zukünftiger Palikuca-Nachfolger, Krisen – die es in jedem Umbruch bei jedem Verein gab und gibt – zu überdauern.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Wer nicht liefert, darf freilich nicht nur der Kontinuität wegen sein Amt behalten. Wenn aber jemand nicht liefert, dann ist das nicht nur auf ihn, sondern auch auf Verfehlungen der ihn installierenden Instanz, die ihn fälschlicherweise für den Richtigen hielt, zurückzuführen. Es ist nicht nur die Schuld Palikuca, dass die Saison lief, wie sie eben verlief. Vielleicht erkannte der Aufsichtsrat auch seine eigene Fehleinschätzung und ermöglichte dem "integren" Palikuca auch deshalb nach einer derart fürchterlichen Spielzeit, einen solch branchen- und vor allem Club-untypischen, stilvollen Abgang.

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