Sportpause im Lockdown: "Leute haben abgebaut"

14.2.2021, 07:49 Uhr
Sportpause im Lockdown:

© Foto: BRSV Gunzenhausen

Das Wetter ist trüb, die Stimmung auch. Nur wenig Licht dringt durch die Fenster ins Büro der kleinen Geschäftsstelle des Behinderten- und Rehabilitations-Sportvereins Gunzenhausen (BRSV). Es ist später Nachmittag, Claudia Lodes und Gerd Rudolph sitzen mit sorgenvoller Miene an ihren Schreibtischen. "Momentan steht alles still. Wir sind gerade dabei, digitale Angebote aufzubauen aber sonst findet gar nichts statt", klagt Lodes. Sie ist die Geschäftsführerin des Vereins und außerdem selbst als Übungsleiterin aktiv.


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Ihr gegenüber sitzt Gerd Rudolph, seit dem Frühjahr 2000 Vorsitzender des BRSV. Er drückt auf seinem Smartphone herum, zeigt schließlich eine Whatsapp-Gruppe mit dem Namen "Hockergymnastik". Rudolphs Frau Christa hat Videos in den Chat gestellt, demonstriert in ihnen, wie man in den eigenen vier Wänden etwas für die körperliche Fitness tun kann. "Etwa 40 Leute sind in der Gruppe", erklärt Rudolph. "Wir hätten ja nie gedacht, dass überhaupt so viele unserer Mitglieder ein Smartphone haben. Man muss ja den Altersdurchschnitt sehen." Bald werden weitere Übungsleiter ihr Wissen über digitale Medien weitergeben. Ein Ersatz für den Sport in der Gruppe ist das trotzdem nicht.

Lockdown kostet Mitglieder

Sportpause im Lockdown:

© Foto: Dominik Mayer

In normalen Zeiten ist das Angebot des BRSV breit gefächert. Wassergymnastik gibt es da, Lungensport, Nordic Walking, Wirbelsäulengymnastik oder Sport für Diabetiker. Die Aktivitäten des Vereins orientieren sich an den Bedürfnissen älterer, behinderter oder kranker Menschen. 1953 als Versehrtensportverein für Weltkriegs-Veteranen gegründet, steht heute der Reha-Sport im Vordergrund. "Das hat sich in den vergangenen Jahren so ergeben. Der Behindertensport ist dagegen etwas in den Hintergrund gerückt", sagt Rudolph. Viele der Kursteilnehmer kommen auch mit ärztlicher Verordnung des Arztes zum BRSV. Der Verein rechnet dann mit den Krankenkassen ab und erzielt so Einnahmen. Etwa 50 Prozent des Gesamtbudgets macht das aus, die andere Hälfte des Umsatzes fließt durch die Mitgliedsbeiträge in die Vereinskassen.

Die pandemiebedingte Sportpause, hat beim BRSV allerdings einen erheblichen Mitgliederschwund eiausgelöst. "Zum Ende des Jahres 2020 hatten wir 1700 Mitglieder, jetzt haben wir noch exakt 1368", rechnet Geschäftsführerin Lodes vor. Viele derjenigen, die jetzt abgesprungen sind, seien mit einer ärztlichen Verordnung gekommen. Die ist jetzt aber ausgelaufen – oftmals ohne dass die Patienten je an einem Kurs teilnehmen konnten. Zwar haben die Krankenkassen die Gültigkeit ihrer Verordnungen angesichts der Corona-Krise um ein halbes Jahr verlängert. Wer aber schon im Frühjahr 2020 die ärztliche Überweisung zum Reha-Sport bekam, hat davon nun nichts mehr.

Sportpause im Lockdown:

© Foto: Dominik Mayer

Beim Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern (BVS) hofft man jedoch, dass sich die Kassen hier kulant zeigen werden. Der Verbandsvorsitzende Jamil Sahhar erklärt, dass es rechtlich sogar möglich sei, während des Lockdowns Reha-Sport in Gruppen abzuhalten. Voraussetzung sei, dass alle Teilnehmer eine ärztliche Verordnung haben. "Wir lehnen es als Verband aber klar ab, zum momentanen Zeitpunkt solche Kurse anzubieten. Die meisten Sportler gehören ja zur Corona-Risikogruppe", so Sahhar. Beim BRSV stellt sich diese Frage sowieso nicht, alle Sportstätten sind derzeit geschlossen.

"Hygienekonzept war nicht machbar"

Nach dem ersten Lockdown hat sich der Verein zurückgekämpft. Hygienekonzepte erarbeitet, Teilnehmer informiert, Kurse neu eingeteilt. "Wir haben die Gruppen halbiert und die beiden Gruppenhälften kamen dann im 14-tägigen Wechsel", erklärt Lodes. Weniger Sport als sonst, aber deutlich besser als nichts. Die Teilnehmerzahlen waren den Sommer über recht stabil, nur Wenige trauten sich aus Angst vor einer Corona-Infektion nicht in die Halle. "Wir wurden eher gelobt, dass wir uns so viel Mühe gegeben haben mit dem Infektionsschutz", sagt Lodes.


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Nur die Wassergymnastik – mit insgesamt 400 Teilnehmern eine der tragenden Säulen des Vereins – war auch im Sommer nicht möglich. "Das Hygienekonzept war für uns nicht machbar", berichtet Gerd Rudolph. "Im Jura-Mare, zum Beispiel, haben wir immer 90 Minuten. Hintereinander kommen da 50-60 Leute in verschiedenen Gruppen zur Gymnastik. Da hätten sich dann aber nur vier Leute gleichzeitig in der Umkleide aufhalten dürfen. Das funktioniert natürlich nicht." Die Gruppen hätten extrem verkleinert werden müssen, um Kurse zu ermöglichen. Das wäre finanziell nicht zu stemmen gewesen. Schließlich wollen die Übungsleiter bezahlt werden. Wegen einer knappen Handvoll Sportler lohnt sich das nicht.


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Überhaupt wird sich die Krise deutlich in den Finanzen des Vereins niederschlagen. "Wir leben noch von der Substanz, können noch Verordnungen aus dem Vorjahr abrechnen. Aber im nächsten Jahr wird Schmalhans Küchenmeister sein", befürchtet Rudolph. Die einzige fest angestellte Übungsleiterin ist derzeit zwar in Kurzarbeit, andere Fixkosten wie Versicherungs- und Verbandsabgaben laufen aber weiter.

"Manchen geht es verdammt schlecht"

Schlimmer als sie ausbleibenden Einnamen ist für die Verantwortlichen aber das Gefühl, nicht wie gewohnt für die Mitglieder da sein zu können. "Jeden Tag fragen mich Leute, wann es wieder los geht", sagt Lodes. "Trauer und Fassungslosigkeit" habe Ende Oktober – als klar war, dass die Sportstätten wieder schließen müssen – unter den Teilnehmern geherrscht. Für viele sind die Kurse des BRSV für Gesundheit und Wohlbefinden von großer Bedeutung. "Ich bekomme immer wieder Anrufe, in denen Leute erzählen, dass es ihnen momentan verdammt schlecht geht und sie nicht wissen, was sie machen sollen", berichtet Lodes. Manchmal rät sie dann zu einer Einzelbehandlung bei einem Physiotherapeuten. Doch auch das geht nur mit ärztlicher Überweisung.

Lodes erzählt, schon nach dem ersten Lockdown habe sie gesehen, welche Spuren die Sportpause hinterlassen hat: "Ich habe gemerkt, dass einige Teilnehmer abgebaut haben, dass die Beweglichkeit gesunken ist, die Schmerzen zugenommen haben." Die Politik unterschätze die negativen Auswirkungen des Lockdowns auf ältere, behinderte und kranke Menschen. Auch die psychische Gesundheit leidet. Gerade bei den Alten, deren Ehepartner schon verstorben ist. "Die sozialen Begegnungen, das gemeinsame Überwinden des inneren Schweinehundes, das vermissen die Leute", sagt Rudolph.


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Das gilt auch für ihn selbst, schließlich ist er nicht nur Vorsitzender des BRSV sondern auch begeisterter Kursteilnehmer. Letzteres wird er wohl noch länger bleiben, den Vorsitz hingegen könnte der 70-Jährige bald abgeben. In einem Jahr stehen die nächsten Vorstandswahlen an – ob Rudolph dann noch einmal antreten wird, ist offen: "Da bin ich noch in der Entscheidungsfindung". Ausschließen will er eine erneute Kandidatur aber nicht. Spaß macht es ihm eben immer noch – trotz aller Widrigkeiten.

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