"Vieles verändert": Club-Sportvorstand Palikuca im Derby-Interview

22.11.2019, 06:00 Uhr
"Ich bin überzeugt, dass diese Mannschaft die Qualität hat, im oberen Tabellendrittel mitzuspielen": Sportvorstand Robert Palikuca mit seinen Fußballern.

© Foto: Daniel Marr/Zink "Ich bin überzeugt, dass diese Mannschaft die Qualität hat, im oberen Tabellendrittel mitzuspielen": Sportvorstand Robert Palikuca mit seinen Fußballern.


Robert Palikuca, 41 Jahre alt, war Fußballprofi beim FC St. Pauli und Fortuna Düsseldorf. Bei der Fortuna stieg er 2010 ins Management ein und trug als Manager der Lizenzspielermannschaft zum Aufstieg 2018 und zum Klassenverbleib bei. Am 15. April 2019 trat der im niedersächsischen Bückeburg geborene Kroate als Sportvorstand beim 1.FC Nürnberg an. Palikuca ist verheiratet und hat drei Kinder.


Vor dem Interview: eine gemeinsame Zigarette auf dem Dach. Beim Besuch im Pressehaus genießt Robert Palikuca dabei den herrlichen Ausblick über Nürnberg. Nach oben will der Sportvorstand auch den 1.FC Nürnberg führen. Vor dem Zweitliga-Derby am Sonntag in Fürth allerdings steht der Club weit unten. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt Palikuca, was bisher schiefging, wie es besser werden soll – und wie er dabei seine eigene Rolle sieht.

 

 

Herr Palikuca, gerade ist ihre Tochter Emma zehn Jahre alt geworden. Was ist denn anstrengender: Ein Kindergeburtstag – oder der 1.FC Nürnberg?

Die Antwort ist ganz einfach. Natürlich ein Kindergeburtstag.

Wie oft haben Sie sich während des Kindergeburtstages überfordert gefühlt? Und gedacht: Wie schön wäre es jetzt, am Valznerweiher einen Trainer zu feuern. Oder einen Spieler zu kaufen.

Die Überforderung fängt ja schon Tage vorher an. Du bist glücklich, wenn es dann losgeht. Es war ein schöner Geburtstag.

Ein Kindergeburtstag ist der 1.FC Nürnberg gerade wieder einmal ganz und gar nicht, schön auch nicht. Gemeine Frage: Überfordert Sie dieser immer anstrengende Club?

Ich empfinde den Verein nicht als anstrengend und Fußball erst recht nicht, andernfalls hätte ich für mich längst die Konsequenzen gezogen. Ich liebe Fußball, ich sehe das als große Herausforderung. Wir befinden uns in einer schwierigen Phase, in der es einen klaren Kopf braucht.

13 Spiele, 14 Punkte, Platz 14: Man kann das eine Krise nennen, oder?

Medial gesehen ist es eine Krise. Man spürt, dass die Fans unzufrieden sind. In der Summe ist es sehr unbefriedigend. Wir wussten, dass es ein spannendes Jahr wird, wir hatten noch im Oktober eine tolle Hauptversammlung, eine Serie von sechs Spielen ohne Niederlage – vier Wochen später ist der Strich unten näher gekommen, jetzt muss man sich da herausarbeiten.

Dass Trainer Damir Canadi gehen musste, haben Sie ehrenwerterweise ein gemeinsames Scheitern genannt. Wo liegt Ihr Anteil an diesem Scheitern?

Am Ende trage ich die Verantwortung auch für den Trainer. Damir Canadi hat gezeigt, dass er Spieler und Mannschaften entwickeln kann, er hat die Trainerarbeit auf dem Platz geleistet und die Überzeugungsarbeit bei den Neuzugängen. Wenn das dann nicht funktioniert, habe ich als Verantwortlicher dabei einen Großteil der Aktien drin.

Man hörte, dass es Beziehungsprobleme zwischen dem Trainer und der Mannschaft gegeben habe.

Ich empfand Damir als sehr respektvoll im Umgang mit den Spielern. Aber man kann schwer die Interessen von 30 Fußballern immer komplett berücksichtigen. Und Gerüchte entstehen immer, wenn die Ergebnisse nicht stimmen.

Die haben am Ende gar nicht mehr gestimmt. Warum nicht?

Am Anfang denkst du noch, da fehlt ein bisschen das Matchglück. Dann ist es Richtung Verunsicherung gegangen. Erzgebirge Aue, ein Spiel, das im Chaos geendet ist, das Gegentor gegen Jahn Regensburg, 96. Minute, verletzungsbedingt ist fast kein Torwart mehr da, es gab unglückliche Schiedsrichterentscheidungen gegen uns. Das alles hat auch dazu geführt, dass Damir das Gespräch suchte, weil er selbst unzufrieden und unglücklich war und sich der Verantwortung gestellt hat.

Er hat sich also mehr oder weniger selbst entlassen?

Nein, das hat er nicht, das wird kaum je ein Trainer tun. Aber es ging in die Richtung, dass er diese Gespräche angeboten hat.

Er hat sich einfach nicht mehr wohlgefühlt im Club?

Ich möchte jetzt nicht für ihn reden. Ich schätze ihn und seine Ehrlichkeit sehr, wir haben über alles gesprochen – und ich habe dann entschieden, dass wir etwas anders machen. Es geht um den 1.FC Nürnberg. Es geht nicht um Canadi oder Palikuca oder Behrens oder Valentini oder Margreitter, es geht nur um den Club.

Aber jetzt geht es natürlich auch und besonders um Robert Palikuca. Sie haben es ja gesagt: Sie stellen sich der Verantwortung für die Situation einer Mannschaft, die Sie zusammengestellt haben. Lesen Sie, was in den sogenannten sozialen Medien über Sie geäußert wird?

Ich bin da nicht vertreten.

Emma liest auch nicht mit?

Sie ist da auch nicht aktiv. Meine Frau schickt mir schon einmal einen Screenshot, aber ich habe keinen genauen Überblick. Das müssten Sie mir jetzt erzählen.

Naja, es ist wie immer, es ist alles dabei. Von sachlicher Kritik bis hin zu persönlichen Beleidigungen. Das ist ja ein Trend im Fußball: Obwohl es ein enorm komplexes Mannschaftsspiel mit vielen Beteiligten ist, sucht man einzelne Schuldige, die man dann an den Pranger stellen kann, zum Beispiel Sie.

Das ist ein Trend in den sozialen Medien, sie gehören heute zur Gesellschaft. Aber beim Fußball gewinnt man gemeinsam und man verliert gemeinsam. Wir haben uns jetzt in diese beschissene Situation gebracht, jetzt müssen wir gemeinsam heraus – und die Fans zurückgewinnen, die uns vertraut haben, immer wieder zu uns gekommen sind, die fair zu uns waren – und jetzt viel Frust mit sich herumtragen.

Sie selbst und Ihre Arbeit wurden noch im Sommer weit überwiegend positiv bewertet, die Zusammenstellung der Mannschaft überzeugte die Fachleute mehrheitlich. Wie geht es Ihnen jetzt, wenn Sie in der Früh Ihren Mail-Ordner öffnen?

Ich bekomme haufenweise Post, nicht nur Mails, auch Briefe, und an der Schrift sieht man, dass es oft Fans sind, die schon seit fünfzig Jahren Clubberer sind.

Und? Was steht drin?

Da ist auch alles dabei. Ermunterungen, Zuspruch, Spielanalysen, Kritik, Beschimpfungen, Drohungen.

Haben Sie zurückgedroht?

Nein, aber ich überlege, ob ich den einen, der mich öfter bedroht hat, mal auf einen Kaffee besuche.

© Foto: Michael Fischer

Denkt man nicht manchmal: Hmmm ... hätte ich besser etwas anderes gemacht im Leben? Als junger Mann haben Sie in einer Kneipe gejobbt.

Ich komme aus einer gastronomischen Familie, das Kellnern hat mir Spaß gemacht. Es ist ja sehr sozial, ich unterhalte mich gerne mit Menschen. Aber: Nein, diesen Gedanken hatte ich für keine Sekunde, genau deswegen bin ich diesen Weg gegangen und zum 1.FC Nürnberg gekommen. Das ist Fußball, das ist Leben. Fußball war und ist der große Traum, das, was mich lebendig gemacht hat. Fußball ist für mich kein Stress, es ist ein Spiel.

Wenn man den 1.FC Nürnberg spielen sah, dachte man zuletzt: Vielleicht ist die Mannschaft, Ihre Mannschaft, doch nicht so entwicklungsfähig, wie man glaubte. Vielleicht war das bloß ein Irrtum.

Ich weiß nicht, ob es nicht zu früh ist, um so ein Gesamturteil zu fällen. Wir wollten ein Grundgerüst mitnehmen, ich war und bin der Überzeugung, dass das die richtigen Jungs sind, weil sie aufgestiegen sind und zum Teil auch in der Bundesliga gute Spiele abgeliefert haben. Die Verstärkungen sollen uns die Qualitäten bringen, die wir noch brauchen. In der Offensive sieht man, dass wir gegen jede Mannschaft in der Lage sind, ein Tor zu schießen. Unser Problem nach 13 Spieltagen ist die Defensiv-Arbeit.

Worin sehen Sie im Moment Ihre persönlich wichtigste Aufgabe?

Das Wichtigste war, die Vorgaben, die ich mir nach der Trennung von Damir Canadi gemacht habe, zu erfüllen. Wir wollten einen Trainer, der in Deutschland in der 2. Liga gearbeitet hat, das habe ich in der richtigen Frist hinbekommen mit einer für mich überzeugenden Entscheidung: dass Jens Keller der richtige Trainer ist. Ich stehe ihm jetzt zur Seite, ich versuche, dem Trainerteam den Rücken freizuhalten. Die nächste Aufgabe ist das Derby in Fürth.

 

Das haben Sie bei der Vorstellung von Jens Keller gesagt: Wie wichtig das Tagesgeschäft ist. Gefragt nach den Perspektiven, haben Sie sich für Ihre Verhältnisse ungewohnt verklausuliert ausgedrückt. Einfach gefragt: Gilt das Perspektivziel Aufstieg 2021 überhaupt noch?

Klar, ich bin überzeugt, dass diese Mannschaft die Qualität hat, im oberen Tabellendrittel mitzuspielen. Man muss seine Möglichkeiten nutzen, um sie in den nächsten Transferperioden zu verstärken. Aber im Tagesgeschäft müssen wir jetzt nach unten schauen, vor vier Wochen haben wir noch nach oben geschaut. Ein Monat hat vieles verändert, aber wenn wir uns stabilisieren – wovon ich fest überzeugt bin –, werden wir unser Ziel im Auge behalten. Nur weil es jetzt ein bisschen ruckelt, darf man nicht in Panik verfallen.

Sie haben es erwähnt: Am Sonntag steht, zum Einstand von Jens Keller, das Franken-Derby im Fürther Ronhof an. Für Sie ist es das erste. Sind Sie nervös?

Ich war früher in den Derbys, die ich gespielt habe, immer rotgefährdet.

Wann würden Sie Rot sehen, also: Was kann die Mannschaft falsch machen, was möchten Sie nicht sehen?

(Überlegt länger) Passivität, Angst.

Jens Keller will, das hat er gesagt, der Mannschaft wieder Mut machen., Sicherheit geben. Wie weit ist er schon?

Es ist sehr laut im Training. Aber nicht nur Keller ist laut, die Spieler sind es auch, man sieht sehr viel Aggressivität, die Schwerpunkte liegen natürlich im Defensivverhalten.

Wer ist der Favorit?

Ich habe gehört, dass die Mannschaft, in der Johannes Geis (Ex-Fürther beim 1.FC Nürnberg, Fürths Siegtorschütze im Bundesliga-Derby 2013, d. Red.) spielt, gewinnt.

Das hat Ihnen bestimmt Johannes Geis erzählt – vor seiner Verpflichtung.

Sie meinen, deshalb haben wir ihn geholt?

Wäre ja kein ganz schlechter Grund dafür.

Man könnte natürlich sagen, ein Spiel ist ein Spiel, drei Punkte sind drei Punkte. Aber es ist das Derby. Man spürt das Knistern. Diese Emotionen muss unsere Mannschaft am Sonntag leben.

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