Stress bekämpfen

Ständig unter Strom: So krank macht Stress im Job

22.8.2023, 15:55 Uhr
Dass sich im Job die Arbeit auftürmt, kennt wohl jeder. Irgendwann schlägt positiver Stress zu negativem Stress um.

© imago images/Jochen Tack Dass sich im Job die Arbeit auftürmt, kennt wohl jeder. Irgendwann schlägt positiver Stress zu negativem Stress um.

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Viel Verantwortung, große Herausforderungen, zu wenig Zeit: Stress im Job betrifft viele Menschen. Grundsätzlich ist Stress nichts Schlechtes. Der Alarmzustand ermöglicht es abzuliefern.

Wer dauernd unter Strom steht, riskiert seine Gesundheit und kann unter Umständen weniger Leistung bringen. Fakten und Methoden, wo die Ursachen liegen und wie Sie stressige Situationen bewältigen.

Laut einer Forsa-Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016 ist die Arbeit der Stressfaktor Nummer eins: 46 Prozent der Befragten, die sich gestresst fühlen, nannten den Job als Ursache.

Für Männer scheint der Beruf stressiger zu sein als für Frauen:

  • 54 Prozent der männlichen Befragten nannten den Job als Grund,
  • unter den Frauen waren es 39 Prozent.

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov im Auftrag des Versicherungsunternehmens SwissLife aus dem Jahr 2019 zufolge empfinden 63 Prozent der gut 2000 Befragten ihr Stresslevel im Job als hoch oder eher hoch.

Typische Stressfaktoren im Job kennt Utz Niklas Walter. Er leitet das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG), das seit 2013 regelmäßig Beschäftigte dazu befragt.

Die Gründe sind vielfältig, weit verbreitet sind demnach:

  • Termin- und Leistungsdruck: Diesen verspürten 48 Prozent der Befragten. Unter den Menschen mit Führungsverantwortung waren es sogar 58 Prozent. Bei den übrigen Beschäftigten waren es 44 Prozent.
  • verschiedene Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen, stresst 60 Prozent aller Befragten.
  • Unterbrechungen bei der Arbeit, gaben 46 Prozent der Befragten als Stressfaktor an.
  • eine unangenehme Arbeitsatmosphäre oder Kollegen als Stressfaktor nannte knapp die Hälfte der Befragten in der YouGov-Befragung.

Häufig betroffen von Stress sind laut IFBG Beschäftigte im Bereich:

  • Gesundheit,
  • Ernährung,
  • Verkehr.

Auch äußere Faktoren können stressen, zum Beispiel:

  • klimatische Bedingungen: "Arbeitet jemand zum Beispiel im Kühlhaus, stellt der ständige Temperaturwechsel eine Belastung für den Körper dar", so Annette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbandes der Betriebs- und Werksärzte.
  • Lärm: "Man gewöhnt sich zwar subjektiv an den Geräuschpegel, aber der Körper begegnet dem Lärm immer mit Stress."

Tipp: In einigen Fällen lassen sich Stressoren einfach minimieren, zum Beispiel durch die richtige Kleidung oder einen Gehörschutz.

Neben äußeren Faktoren nennt auch Wahl-Wachendorf einige Stressoren, die jeder unterschiedlich wahrnimmt. Dazu zählen etwa:

  • etwa unklare oder sich ständig ändernde Arbeitsaufträge,
  • ein schlechtes Kollegenverhältnis,
  • das Verhalten von Vorgesetzten, "wenn man sich schlecht behandelt fühlt, löst das Stress aus."

Kurzfristige Folgen von Stress sind unter anderem:

  • Herzfrequenz steigt,
  • Blutdruck steigt,
  • Muskeln sind angespannt.

Die langfristigen Folgen von Stress können unter anderem sein:

In wie vielen Fällen Stress krank macht oder gar zu Berufsunfähigkeit führt, lässt sich nicht exakt feststellen. Aber: Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen sind mit 37 Prozent die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit. Das zeigen Daten des Versicherers Swiss Life Deutschland.

Und: psychische Erkrankungen führen zu den längsten Fehlzeiten im Job, zeigt eine Auswertung der Bundespsychotherapeutenkammer aus dem Jahr 2018. Demnach hatten psychisch erkrankte Arbeitnehmer knapp 35 Fehltage und Mitarbeitern mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen rund 20.

Durch Corona hat sich die Lage zugespitzt: So empfanden 38 Prozent der 1000 Befragten ihre Arbeit stressiger als vor der Pandemie, zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse von 2020.

Das betraf vor allem Eltern: Während in der Befragung nur knapp die Hälfte der Erwerbstätigen ohne Kinder angab, im Homeoffice gestresst zu sein, waren es unter den Eltern 68 Prozent.

Ein ähnliches Bild ergab eine Umfrage Boston Consulting Group. Die Beratungsgesellschaft hatte 20 000 Menschen in zwölf Ländern befragt, aus Deutschland nahmen etwa 1500 Beschäftigte großer Unternehmen teil. Demnach fühlten sich 40 Prozent der deutschen Befragten körperlich oder psychisch gestresst.

Vor allem Väter sorgen sich demnach um ihre Zukunft im Unternehmen: Das gaben 35 Prozent an. Unter den Müttern waren es 22 Prozent.

Bei den kinderlosen Befragten waren diese Sorgen mit 21 Prozent bei den Männern und 20 Prozent bei den Frauen geringer.

Fest steht: "Stress ist nicht per se schlecht. Anti-Stress-Training ist deshalb Quatsch. Wer sich schlecht ernährt, geht ja auch nicht zum Anti-Ernährungstraining", so Jacob Drachenberg, ehemaliger Leistungssportler und Psychologe. Er hatte selbst ein stressbedingtes Burnout und durch Stress-Essen 21 Kilogramm Übergewicht.

Seit sechs Jahren coacht Drachenberg andere Menschen und Unternehmen in Sachen Stressmanagement. "Das Stresslevel ist ein Thermostat für Wichtigkeit. Wir brauchen ein gewisses Level an Druck und Stress."

Wichtig sei die Frage: Wie geht es mir mit dem Stress im Job? Denn: "Es ist nicht der Stress selbst, der uns krank macht, sondern der Umgang damit", sagt Drachenberg.

Der Umgang mit Stress lässt sich trainieren und ist kein Schicksal. Sieben Tipps vom Coach Drachenberg:

1. Klartext reden

Wer zu viel zu tun hat, und zu wenig Zeit dafür, der sollte den Dialog mit der Führungskraft suchen. Das Gespräch mit dem Chef können Sie nutzen, um Prioritäten zu setzen. Sollen Sie nur einige Aufgaben zu 100 Prozent erledigen? Muss wirklich alles fertig werden, reicht dann ein 60 oder 70 prozentiges Ergebnis?

2. Tagebuch führen

Im Normalfall überlegen wir nur: Was läuft schlecht? Was fehlt? Wir sollten versuchen, andere Fragen zu stellen:

  • Was habe ich geschafft?
  • Wofür bin ich dankbar?

Auch diese Dinge sollten wir wahrnehmen - und das wirklich im Sinne von "etwas für wahr nehmen".

Drachenberg empfiehlt, jeden Tag vier Minuten ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Er selbst macht das seit sieben Jahren. Dort trägt er Dinge ein, für die man an diesem Tag dankbar ist, die er geschafft hat.

"Der Alarmmodus Stress ist in unserem Gehirn eine Autobahn, Dankbarkeit nur ein schmaler Trampelpfad. Den Pfad müssen wir ausbauen", erklärt Drachenberg.

3. Regelmäßig reflektieren

Wer seine Gedanken nicht täglich aufschreiben möchte, sollte zumindest einmal im Monat zurückdenken, wie es einem in den letzten vier Wochen ergangen ist.

Wenn man das Gefühl hat: "Das war viel zu viel" oder man erinnert sich nur an:

  • Kopfweh,
  • Rückenschmerzen,
  • nicht schlafen können,
  • Grübelei.

Dann sollten Sie das ernst nehmen und versuchen, etwas zu ändern.

Drachenberg empfiehlt auch bewusst auf die positiven Dinge des letzten Monats zu schauen und sich zu fragen:

  • Was habe ich gelernt?
  • Was waren die Highlights?
  • Was nehme ich mir für die nächsten vier Wochen vor?

4. Auf dem Boden bleiben

"Unser genetisches Programm passt nicht zur heutigen Zeit", so Drachenberg. "Wie leben hier in Deutschland sehr sicher, wir reagieren auf Stress aber immer noch, als ginge es um Leben und Tod. Unser Gehirn übertreibt." In Stresssituation helfe es oft schon, sich genau das vor Augen zu führen.

In unserer Wahrnehmung ist alles wichtig, alles dringend. Unsere Aufgabe sei daher, zu entspannen. "Das spart unglaublich viel Energie."

Dabei kann es auch helfen, sich klar zu machen, dass man seine beste Leistung abliefert, dass man aber ohnehin nicht beeinflussen kann, wie das Ergebnis von anderen bewertet wird. "Oft ist Annahme, proaktive Gelassenheit und Akzeptanz die Lösung, nicht Kampf."

5. Fokus auf das Positive

Das Kind an einem stressigen Tag pünktlich aus dem Kindergarten abholen, das Team hält die Deadline nicht ein, das wichtige Meeting mit einem Kunden müssen Sie vorbereiten: Solche Dinge machen uns oft Stress. Dass diese Dinge auf ihrer To-Do-Liste stehen, daran lässt sich wohl nichts ändern.

Aber: Mit einer ganz einfachen Frage können Sie alles ganz anders bewerten.

Was habe ich alles geschafft, dass ich diesen Stress haben darf?

Mögliche Antworten:

  • Das Kind liebt Sie sehr und hat es sich so gewünscht,
  • den Job mit Führungsverantwortung wollten Sie schon lange,
  • nun leiten Sie ein zehn-köpfiges Team,
  • ein Vertrauensbeweis - der Chef überlässt ihnen das Meeting mit so einem wichtigen Kunden.

Wer seinen Stress mehr von der Haben-Seite aus betrachtet, kann damit anders umgehen. So kommen Sie gedanklich von dem Mangel in die Fülle.

6. Bewusster Ausgleich

Viele Menschen legen sich gestresst auf die Couch oder ins Bett, und wundern sich, warum sie nicht zur Ruhe kommen. "Stress programmiert uns für Kampf und Flucht. Das muss man also erstmal simulieren, um Adrenalin und Kortisol abzubauen", so Drachenberg.

Er empfiehlt: "Liegestütze, Joggen - eine halbe Stunde richtig ackern, dann kalt duschen. Danach kann man sich zur Entspannung auf die Couch legen."

7. Perfektionismus abschalten

Sie sollten eine einfache Formel beherzigen. Eins ist größer als null. Das gilt in allen Bereichen:

  • 20 Minuten arbeiten ist mehr als gar nichts,
  • Nur zehn Minuten Sport treiben, ist besser als gar nicht.

So bekommen Sie den Perfektionismus in den Griff. Bestmöglich abliefern, anstatt perfekt sein, lautet die Zauberformel.

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