"Buy American": Was Bidens Sieg für die Wirtschaft bedeutet

18.11.2020, 12:30 Uhr
"Made in America": Auch Joe Biden hat im Wahlkampf damit geworben, Arbeitsplätze in den USA zu schaffen.

© Carolyn Kaster, dpa "Made in America": Auch Joe Biden hat im Wahlkampf damit geworben, Arbeitsplätze in den USA zu schaffen.

Herr Siegert, der US-Wahl Krimi ist gelaufen, der gewählte Präsident heißt Joe Biden. Kommt der handelspolitische Protektionismus à la Donald Trump nun wieder in die Mottenkiste – oder wird er nur netter verpackt? Zwei zentrale Slogans von Biden lauten ja "Made in America" und "Buy American".

Armin Siegert: Auch Joe Biden hat sich die Aufgabe gestellt, Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten zu schaffen. "Buy American" bedeutet letztendlich, dass das Geschäft mit Amerika nicht unbedingt einfacher wird. Von Biden erhoffen sich unsere Unternehmen aber eine atmosphärische Verbesserung im Dialog, mehr Sicherheit und damit auch Planbarkeit – das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Trump hat es verstanden, in maßgeblichen Bereichen Unsicherheit zu verbreiten. Und Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, auch Biden will den heimischen Markt schützen.

Armin Siegert ist seit vielen Jahren bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken im Bereich Außenwirtschaft tätig, 2006 avancierte er zum Leiter des Geschäftsbereichs International. Das besondere Augenmerk des Diplom-Volkswirts gilt seit jeher dem Asien-Pazifik-Raum, einer der großen Wachstumsregionen der Welt.

Armin Siegert ist seit vielen Jahren bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken im Bereich Außenwirtschaft tätig, 2006 avancierte er zum Leiter des Geschäftsbereichs International. Das besondere Augenmerk des Diplom-Volkswirts gilt seit jeher dem Asien-Pazifik-Raum, einer der großen Wachstumsregionen der Welt. © Roland Fengler, NNZ

Die mittelfränkische Wirtschaft ist sehr exportorientiert. Die USA stehen laut einer IHK-Statistik bei Auslandsinvestitionen nach wie vor auf Platz 1. Das klingt ja erst einmal nicht so, als ob das Amerika-Geschäft der regionalen Wirtschaft in den Trump-Jahren besonders gelitten hätte...

Siegert: Trumps "America first"-Politik hat neue Handelshemmnisse und Maßnahmen geschaffen, die globale Lieferketten stören – und unsere Region mit einer Industrie-Exportquote von über 50 Prozent leidet darunter natürlich auch. Trumps Handelskonflikt mit China trifft zudem deutsche Unternehmen, die in beiden Ländern investiert haben und in beiden Supermächten je eine Million Menschen beschäftigen. Was die konkreten Auswirkungen auf das Geschäft der mittelfränkischen Wirtschaft angeht, kann ich mich nur an den deutschen und bayerischen Zahlen orientieren, die sich allerdings auf die regionale Wirtschaft übertragen lassen. Demnach lief das Amerika-Geschäft trotz allem gut, zumindest bis zur Corona-Pandemie. Aber es gab natürlich auch Schwierigkeiten – wenn zum Beispiel ein Unternehmen zur Installation einer Maschine einen Experten nach Amerika schicken musste, dieser aber kein Visum bekam.

Joe Biden will ein riesiges Konjunkturpaket auflegen, um die US-Wirtschaft in Schwung zu bringen und den Klimaschutz zu forcieren. Wittern Sie da Chancen für die mittelfränkische Wirtschaft – Energie und Umwelt gehören ja zu den Kompetenzfeldern der Metropolregion.

Siegert: Das Konjunkturprogramm von Joe Biden unter dem Motto "Build back better" umfasst mehrere Punkte. Da sind einmal der Aufbau einer starken industriellen Basis und einer modernen Infrastruktur sowie Investments in erneuerbare Energien. Auch der Gesundheitssektor soll gestärkt werden, das Thema Ausbildung steht ebenfalls auf der Agenda weit oben. Alles Themen, bei denen die mittelfränkische Wirtschaft über exzellente Kompetenzen verfügt. Hier gilt es, Geschäftspotenziale in den Vereinigten Staaten zu heben, zum Beispiel in der Medizintechnik.

Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt, auf Platz zwei liegt China. Das Reich der Mitte gilt als lukrativer, aber hürdenreicher Markt: Peking agiert seit jeher höchst protektionistisch. Ist China für die regionalen exportorientierten Unternehmen nicht eigentlich die größere Baustelle?

Siegert: Zunächst ist festzustellen: China wird heuer wohl das einzige Land sein, dessen Wirtschaft wächst, Corona ist im Griff. Die Volksrepublik zählt seit vielen Jahren zu Deutschlands wichtigsten Handelspartnern. Trotz aller Schwierigkeiten hat die mittelfränkische Wirtschaft ihre Exporte nach China und Aktivitäten vor Ort in den zurückliegenden Jahren unter dem Strich ausgebaut. Es gibt natürlich auch Unternehmen, die ihr Engagement in China zurückgefahren haben, weil es für sie kein Billiglohnland mehr ist und sie deshalb in anderen Regionen investiert haben.

Ohne den chinesischen Markt hätte unsere Wirtschaft also viel größere Probleme?

Siegert: Selbstverständlich. Aktuell ist diese Volkswirtschaft die einzige, die wächst und zum Beispiel deutschen Autobauern und zum Teil den Zulieferern gute Gewinne beschert. Dass wir relativ glimpflich durch die Finanzmarktkrise vor gut zehn Jahren gekommen sind, hatten wir nicht zuletzt der chinesischen Wirtschaft zu verdanken.

China will sich ja jetzt stärker auf den inländischen Konsum und die Produktion vor Ort ausrichten, sich durch diese sogenannte interne Zirkulation wirtschaftlich unabhängiger vom Rest der Welt machen. Muss sich der Westen, muss sich die Exportnation Deutschland warm anziehen?

Siegert: Die Kommunistische Partei unter Xi Jinping hat eine neue Strategie entwickelt als Reaktion auf Trumps China-Politik. Danach gibt es zwei Kreisläufe: einen inneren und einen äußeren. Beim inneren geht es auch um die Förderung von Innovationen, um so unabhängiger von den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt zu werden. Der äußere Kreislauf betrifft den internationalen Handel und Investments. China liegt im Wachstumszentrum der Weltwirtschaft, der Region Asien-Pazifik, und hat gerade mit 14 asiatisch-pazifischen Staaten das größte Freihandelsabkommen der Welt zu schließen: Die "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP), wie der Pakt heißt, bedeutet freien Zugang zu diesen Märkten mit seinen 2,2 Milliarden Menschen. Die Kreislauf-Strategie insgesamt knüpft an den Masterplan "Made in China 2025" an – ein Projekt, von dem Peking so nicht mehr spricht.

Warum denn?

Siegert: Na ja, mit dem Masterplan verfolgt China das Ziel, in wichtigen Schlüsseltechnologien schnell aufzuholen und Produkte selbst zu entwickeln – qualitativ hochwertig, aber billiger. Dies erhöht den Wettbewerb und schürt damit Ängste im Westen. Was wiederum mit der Frage zusammenhängt: Wie kommt China an Technologie, wie an neue Produkte?

Womit wir beim Dauerthema Produktpiraterie sind.

Siegert: Man darf dabei aber nicht vergessen: Auch in China wird mit viel Geld entwickelt und geforscht, das Land meldet inzwischen mehr Patente an als zum Beispiel die Europäer.

Ist das nicht auch genau ein Grund dafür, dass sich der Westen warm anziehen muss, weil China einfach auf breiter Front aufholt?

Siegert: Aber das ist doch eigentlich eine ganz normale Geschichte. Man kann einem Land ja nicht verwehren, dass es auch technologisch vorne mitspielen möchte. Genau das schafft Wettbewerb. Und Wettbewerb bedeutet Fortschritt. Nur: Wenn man in sensiblen Bereichen ausländischen Firmen den Zugang zu Technologien ermöglicht und diese dann über Kopieren vorankommen, dann ist das nicht in Ordnung. Sowohl in Deutschland als auch Europa hat man dies erkannt und schaut ganz genau hin, wer wo in welche Technologie investiert.

China bespielt die Weltmärkte, beschränkt aber weiterhin den Zugang zum eigenen Markt: eine Strategie, an der sich der Westen seit Jahren abarbeitet – mit überschaubarem Erfolg.

Siegert: Ja, es gibt Probleme bei Marktzugang, öffentlicher Beschaffung, Rechts- und Eigentumsschutz, beim fairen Wettbewerb. Und da müssen wir dranbleiben. Aber zur Wahrheit gehört auch: China hat Gesetze, zum Beispiel gegen Produktpiraterie – das Problem im Reich der Mitte ist die Umsetzung und Durchsetzbarkeit des Rechts. Denn die Regelungen werden manchmal von Provinz zu Provinz unterschiedlich angewendet. Wir dürfen nicht vergessen, wir bewegen uns in China in einer völlig anderen Kultur- und Wertegemeinschaft, einem Land, das in rasanter Geschwindigkeit aufgestiegen ist. Damit müssen wir umgehen und Wege finden, dort aktiv zu werden und zu verkaufen. Und das schaffen die mittelfränkischen Firmen ja auch.

Welche Rolle spielt das Mega-Infrastrukturprojekt "Neue Seidenstraße" in der aktuellen Strategie Pekings?

Siegert: Das Projekt Seidenstraße, das 2014 von Peking verkündet wurde, ist eingebunden in den äußeren Kreislauf. Mit dem Vorhaben konnte im Westen zunächst kaum jemand etwas anfangen. Inzwischen sehen wir, was schon alles weltweit erreicht wurde. Bei diesem Projekt geht es aber nicht nur um Infrastruktur. Peking setzt über die Seidenstraße internationale Normen und Standards. Auch dient es beispielsweise der Verbreitung der chinesischen Währung.

Das Projekt Seidenstraße, das 2014 von Peking verkündet wurde, ist eingebunden in den äußeren Kreislauf. Mit dem Vorhaben konnte im Westen zunächst kaum jemand etwas anfangen. Inzwischen sehen wir, was schon alles weltweit erreicht wurde. Bei diesem Projekt geht es aber nicht nur um Infrastruktur. Peking setzt über die Seidenstraße internationale Normen und Standards. Auch dient es der Verbreitung der chinesischen Währung.


Wo Nürnberg schon jetzt Teil der "Neuen Seidenstraße" ist


Mit dem Projekt baut China seinen Einfluss in der Welt aus – und die Abhängigkeit anderer Länder: China finanziert Vorhaben, bevorzugt aber eigene Firmen bei der Ausführung der Arbeiten.

Siegert: Richtig, dem ist so: China hat in der Tat finanzielle Abhängigkeiten geschaffen, was insbesondere bei überschuldeten Ländern höchst problematisch ist. Die internationale Kritik blieb denn auch nicht aus. Die Regierung in Peking hat Besserung versprochen, auch, was die Transparenz und Vergabe von Ausschreibungen betrifft. Daran muss sie sich messen lassen.

Allerdings gilt auch: Wenn Peking in Kenia eine Eisenbahn-Infrastruktur aufbaut, dann ist das eigentlich für den Handel insgesamt positiv zu werten. Kenias Wirtschaft profitiert und die Eisenbahn nützt auch deutschen Firmen, die ihre Produkte dort transportieren. Strategisch ist die Seidenstraße auf jeden Fall durchdacht. China hat einen klaren Plan: Zum 100. Jubiläum der kommunistischen Partei 2049 will das Land die führende Industrienation, also die Nummer 1 der Welt sein.

Verwandte Themen