"Die Hände meiner Mutter": Wucht der Erinnerung

1.12.2016, 08:00 Uhr

© Farbfilm

Familienfeier bei den Schaffhausens: Als sein kleiner Sohn Adam mit einer Schramme auf der Stirn vom Toilettengang mit der Oma zurückkehrt, schwemmt es in Marcus (Andreas Döhler) etwas hoch. Plötzlich ist die Party ausgeblendet. Wie Hammerschläge fahren die Erinnerungen in den Kopf des 39-Jährigen: Da war doch was in seiner Kindheit – etwas, über das nie mehr gesprochen und das über Jahrzehnte erfolgreich verdrängt wurde. Und das alles hat mit den nächtlichen Besuchen der Mutter (Katrin Pollitt) in seinem Kinderzimmer zu tun...

17 Jahre ist es her, dass Thomas Vinterberg in seiner Dogma-Arbeit "Das Fest" eine Familienfeier platzen ließ. Auch in "Die Hände meiner Mutter" geht es um sexuellen Missbrauch, jedoch mit dem Fokus darauf, was dieser mit den Opfern macht. Dass hier die Mutter Täterin ist (Fachleute gehen davon aus, dass zehn bis 20 Prozent aller Missbrauchsfälle von Frauen verübt werden), bleibt unerheblich.

Brillant ist indes die Erzählweise. In Kapitel unterteilt setzt Florian Eichinger die Puzzlestücke peu à peu zusammen und erspart dem Zuschauer nichts. Gleichermaßen nüchtern wie präzise seziert der Ludwigsburger Regisseur und Drehbuchautor die Drei-Generationen-Familie und legt behutsam die Wunden der Opfer sowie die perfiden Verdrängungsmechanismen auf allen Seiten frei. Für die Schlüsselszenen seines Films greift er auf einen stilistischen Kniff zurück: In den Rückblenden steht Marcus als Erwachsener in seinem Elternhaus und durchlebt noch einmal die Übergriffe der Mutter.

Die Abgründe, die sich dank dieser cleveren Verfremdung auftun, sind bodenlos. Großartige Schauspieler, brutales Thema. Der Weg zur Wahrheit ist quälend, unterwegs bleibt nicht nur Marcus’ Ehe auf der Strecke, auch die Psychotherapie kommt schlecht weg. In diesem Szenario gibt es nur Verlierer. Es ehrt Eichinger, dass er trotzdem ein wenig Hoffnung in sein beklemmendes Drama einstreut. (D/106 Minuten).

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