"Stonewall": Selbstbewusst in der Christopher Street

19.11.2015, 08:00 Uhr

© Warner

Die Sache eskalierte schnell. Gerade mal ein Jahr ist es her, seit publik wurde, dass Roland Emmerich – immerhin einer der bekanntesten offen schwulen Regisseure der Welt – sich erstmals einer queren Geschichte annimmt und zugleich den ersten großen Spielfilm über die Stonewall-Unruhen des Sommers 1969 auf die Leinwand bringt.

Die Vorfreude war groß, doch dann brach nach der Veröffentlichung des ersten Trailers im Sommer ein Online-Shitstorm los. Ungesehen wurde dem Film Geschichtsverfälschung und Whitewashing vorgeworfen. Zur Weltpremiere in Toronto folgte reichlich Häme seitens der Presse und schließlich der desaströse Start in den US- Kinos, wo „Stonewall“ am ersten Wochenende keine 150 000 Dollar einspielte. Exemplarischer kann eine zum Selbstläufer werdende Überreaktion kaum verlaufen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ein wirklich guter Film ist „Stonewall“ in der Tat nicht. Emmerich schickt den jungen, weißen Provinzbuben Danny (Jeremy Irvine) in jenem Juni 1969 nach New York. Dort findet der wegen seiner Homosexualität zu Hause rausgeflogene Teenager in der Christopher Street inmitten von Straßenkids und Strichern eine Ersatzfamilie. Er verliebt sich in einen Aktivisten (Jonathan Rhys Meyers) und gerät schließlich im Stonewall Inn in die ausbrechenden Krawalle. Das ist viel mehr eine harmlose Coming-of-Age-Geschichte als tatsächlich politisches Kino, allzu glatt erzählt und oft seltsam künstlich, wie ein Musical, dem die Songs abhandengekommen sind.

So weit, so durchwachsen. Trotzdem bleibt festzustellen: Jenseits des fiktiven Protagonisten ist es bei Emmerich eine widerständige Lesbe, die letztlich den Aufstand auslöst. Platz für afroamerikanische und transsexuelle Figuren findet sich außerdem. Und der hispanisch-stämmige Jonny Beauchamp als Ray ist der heimliche Star des Films. Auch die Vielfalt homosexueller Lebensentwürfe und Standpunkte, die sich in „Stonewall“ entdecken lassen, ist für einen Mainstream-Film erstaunlich.

Der Held im Sonnenlicht

Genau das ist es überhaupt, was den Film zu einem bemerkenswerten Unterfangen macht. Er zeigt, wie weit dezidiert schwule Geschichten inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind – und deshalb auch nach den entsprechend überraschungsfreien Mechanismen umgesetzt werden können. Denn Emmerich erzählt „Stonewall“ genauso wie er es bei „Independence Day“ oder „The Day After Tomorrow“ getan hat. Schlichte Dialoge inklusive. Nur dass der gequälte, in Sonnenlicht getauchte Held, der über sich selbst hinauswächst, nicht gegen Aliens oder Naturgewalten, sondern gegen Homophobie und die Übergriffe der Polizei kämpft. (USA/129 Min.; Cinecittà, Nürnberg)

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