Mercedes EQS: Die elektrische S-Klasse kommt

17.4.2021, 13:02 Uhr
Mercedes EQS: Die elektrische S-Klasse kommt

© Hersteller

Dass die etablierten Autobauer irgendwann ihre Lektion gelernt haben und sich anschicken würden, Tesla mit seinen eigenen Waffen – sprich Elektroantrieb – zu schlagen, das ist nicht immer absehbar gewesen. Doch allmählich wird es tatsächlich ernst für die Kalifornier. Denn mit Mercedes schickt im Sommer der Luxushersteller schlechthin einen Edel-Stromer auf die Straße, der direkt auf Teslas Vorzeigelimousine Model S zielt. Dazu holt das schwäbische Imperium alles aus dem Köcher, was seine Ingenieursexpertise, die dekadenlange Erfahrung mit automobiler Noblesse, aber auch das neuerworbene Wissen um Digitalisierung in Topform hergeben.

EQS heißt die große Limousine, deren Stellenwert für Mercedes gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. "Die Bedeutung des EQS für den Ruf von Daimler als E-Auto-Bauer ist immens", hat Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer bereits wissen lassen. Schließlich bildet der EQS das elektrische Gegenstück zur S-Klasse, dem traditionellen Aushängeschild der Marke also. Nein, sagt Susanne Velleuer, Chefin des Produktmanagments "Electric Cars", das alleinige neue Flaggschiff sei der EQS nicht, die elektrische Welt und die der Verbrenner würden von Mercedes gleichberechtigt bedient. Und nein, man könne derzeit noch nicht sagen, ob und wann der EQS der S-Klasse speziell auf Märkten wie den USA oder China den Rang ablaufen würde. Aber: Man sei auf alles vorbereitet.

Spezielle Elektro-Architektur

Warum der Hype, mag der aufmerksame Leser fragen, elektrische Modelle von Mercedes, die werden doch schon längst angeboten, was ist denn mit EQCEQA oder EQV? Richtig, die gibt es bereits. Der EQS ist aber das erste Elektroauto mit Stern, das nicht mehr auf einer Verbrenner-, sondern einer eigens entwickelten Elektroarchitektur basiert.

Just dies sieht man dem Luxusliner auch an: Anders als die S-Klasse, deren Design dem klassischen Drei-Box-Prinzip folgt, das Fronthaube, Passagierkabine und Kofferraum fein säuberlich trennt, pflegt der 5,22 Meter lange EQS etwas, das Mercedes "One Bow"-Ästhetik nennt. Extrem kurz sind Überhänge und Vorbau, in einem straffen Bogen spannt sich die coupéhafte Silhouette bis zum fein abgerundeten Heck. An der Front verbindet ein Leuchtenband oberhalb der tiefschwarzen Kühlerverkleidung die beiden Scheinwerfer, auch am Heck gibt es ein solch durchgehendes Leuchtenband.

Auch der Aerodynamik wegen – der cW-Wert liegt bei exzellenten 0,20 – sind die Türgriffe bündig versenkt. Anders als der Audi e-tron belässt es der EQS aber bei konventionellen Außenspiegeln und verzichtet auf Kamerabasiertes; der Strombedarf einer digitalen Lösung, sagt Mercedes-EQ-Chef Christoph Starzynski, würde den Nutzen für die Aerodynamik nicht aufwiegen.

Bildschirm für den Beifahrer

"Nimm das, Elon", ist man beim Blick in jene Räumlichkeit zu sagen, in der sich die Passagiere aufhalten. Allein gegen den Armaturenträger, der zur Gänze aus dem spektakulären (aber aufpreispflichtigen) "Hyperscreen" besteht, sieht selbst das Tesla-Cockpit mit seinem XXL-Screen aus wie aus dem Baumarkt. Unter der riesigen, gewölbten Glaseinheit des Hyperscreen sitzen letztlich drei Bildschirme, das OLED-Display ganz rechts ist für den Beifahrer gedacht, der so beispielsweise Filme gucken kann. Sicherheitshalber gibt es eine Sperrlogik: Wenn das verantwortliche Kamera-Auge erkennt, dass der Fahrer in Richtung Beifahrer-Display hinüberlinst, wird dieses bei bestimmten Inhalten automatisch abgedimmt.

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Dem Luxusbedarf seiner Nutzer wird der EQS in vielfacher Hinsicht gerecht. Das geht schon bei den Komforttüren los; speziell die Fahrertür öffnet sich bei Annäherung an das Fahrzeug automatisch, die übrigen sind per Fernbedienung zu öffnen, beispielsweise, um Kinder einsteigen zu lassen. Ein Programm namens "Energizing Comfort" vermittelt unter anderem drei akustische Stimmungen namens Waldlichtung, Meeresrauschen und Sommerregen, der Natur-Akustiker Gordon Hempton hat sie komponiert, auf die Passagiere sollen sie eine beruhigende Wirkung entfalten, die von der passenden Lichtinszenierung und Raumbeduftung noch verstärkt wird. Auch belebende Programme gibt es, und außerdem "Power Nap", das dann auch die Stellung von Rollos und Sitzen sowie, beim Aufwachen, deren Massagefunktion mit einbezieht.

Luftfilter gegen Viren

Wer das offenporige Echtholz nicht von Leder begleitet haben möchte, kann auf Hightech-Neopren zurückgreifen. Und ein HEPA-Aktivkohlefilter reinigt die Luft, auch von Viren und Bakterien, wie es heißt.

Weil dieser Filter unter der Fronthaube verbaut wurde, gibt es dort keinen "Frunk". Ein solch zusätzliches Staufach ist durchaus praktisch, allein, was die Unterbringung der Ladekabel betrifft. Andererseits bietet der EQS mit 610 bis (bei umgeklappten Rücksitzlehnen) 1770 Litern schon grundsätzlich Kofferraum genug.

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Zeit, sich der Technik zu widmen: Zum Marktstart fährt der EQS in zwei Versionen vor. Der EQS 450+ wird über die Hinterräder angetrieben und bekommt einen permanenterregten Synchronmotor mit 245 kW/333 PS sowie 568 Newtonmetern Drehmoment. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h erfolgt in 6,2 Sekunden.

Der allradgetriebene EQS 580 4Matic hingegen bringt es auf 385 kW/523 PS und 855 Newtonmeter. In 4,3 Sekunden gelingt der Standardsprint. Bei beiden Varianten ist die Höchstgeschwindigkeit auf 210 km/h begrenzt. Schneller wird wohl erst die 560 kW/761 PS starke AMG-Version stromern, die sich bereits in der Planung befindet. Auch ein extra-luxuriöser EQS Maybach ist zu erwarten.

770 Kilometer Reichweite

Als Energiespeicher dient zunächst ein großer 107,8-kWh-Akku, später soll eine EQS-Version mit etwas kleinerer Batterie nachgereicht werden, deren Kapazität bei 90 kWh liegt. Mit solch opulenten elektrischen Reserve im Rücken schafft der EQS 450+ nach WLTP eine Reichweite von 770 Kilometern. Wie der Aktionsradius beim EQS 580 Matic aussieht, hat Mercedes noch nicht kommuniziert.

Serienmäßig stattet Mercedes seinen Luxus-Elektriker mit einem 11-kW-Bordlader aus. Gegen Aufpreis lässt sich ein 22-kW-Onboardcharger ordern, der den Aufenthalt an AC-Wallbox oder öffentlicher Ladestation von 10 auf 5 Stunden reduziert. Die Fähigkeit zum Schnellladen ist in dieser Preisklasse gesetzt, die DC-Ladestation zapft der EQS mit bis zu 200 kW an. In einer Viertelstunde soll der große, 700 Kilogramm schwere Akku so für weitere 330 Kilometer Fahrt befüllt sein, eine halbe Stunde reicht für die Ladung von 0 auf 80 Prozent.

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Ein leistungsstarkes 800-Volt-System, wie es Porsche, Audi, Hyundai (Ioniq 5) oder Kia (Kia EV6) anbieten, ist für den EQS derzeit nicht vorgesehen.

Auf die Batterie gibt Mercedes zehn Jahre beziehungsweise über eine Laufleistung von 250.000 Kilometern hinweg Garantie.

Rekuperiert wird dreistufig über Schaltwippen am Lenkrad, auch die Segelfunktion lässt sich so einstellen. Außerdem ist da die intelligente Rekuperation, die sich der Hilfe des sogenannten Eco-Assistenten bedient und die vorausschauend agiert, was bedeutet, dass sie auch Verkehrslage und Topographie berücksichtigt. Und die "Electric Intelligence"-Navigation berechnet bei der Routenplanung auch gleich den Energiebedarf, wobei wiederum die Topografie und die Verkehrssituation eine Rolle spielen, aber auch der Streckenverlauf, der Heiz- und Kühlbedarf, die verfügbaren Ladestationen mitsamt ihrer Ladeleistung und Bezahlfunktionen. Dem MBUX-Infotainment ist dann zu entnehmen, ob die aktuelle Batteriekapazität ausreicht, um ohne Ladestopp zurück zum Startpunkt zu kommen. Besteht das Risiko, dass dies nicht gelingt, empfiehlt das Fahrzeug, die reichweitenverlängernden ECO-Fahrfunktionen zu aktivieren.

Functions on Demand

Zu den Möglichkeiten, die sich per Over-the-Air-Updates bieten, gehören auch die sogenannten Functions on Demand. Damit sind Fahrzeugfunktionen gemeint, die sich noch nachträglich aufspielen lassen. Auf diese Weise kann beispielsweise für die serienmäßige Hinterachslenkung ein größerer Lenkwinkel (10 statt 4,5 Grad) freigeschaltet werden.

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Das Bild vom umweltfreundlichen Elektroauto soll auch insofern etabliert werden, als Recycling-Garn in den Bodenbelägen oder Kunststoffrezylate in den Kabelkanälen verarbeitet werden. Was die Zellchemie der Batterie betrifft, so heißt es, dass der Kobaltanteil auf 10 Prozent reduziert wurde; bei den Lieferketten rund um den Akku hätten Aspekte wie Umwelt- und Menschenrechtskonformität "höchste Priorität". Und die Kunden des hauseigenen Ladeprogramms "me Charge" werden mit Öko-Strom versorgt.

Zu teuer für die Innovationsprämie

Im Sommer wird der EQS auf den Markt kommen. Über Preise schweigt sich Mercedes derzeit noch aus – mit Sechsstelligkeit muss indes gerechnet werden. Ein Fall für die Innovationsprämie ist der elektrische Luxusliner damit nicht mehr.

Der nächste EQ-Kandidat steht übrigens schon in den Startlöchern – das Kompakt-SUV EQB nämlich. Die neue Elektro-Architektur soll bald auch einer elektrischen E-Klasse (EQE) sowie den SUV-Varianten von EQE und EQS zugute kommen. Und 2025 debütieren erste Kompakt- und Mittelklasse-Stromer, die auf einer weiteren Elektroplattform namens MMA aufbauen. Für Tesla wird es wohl nicht leichter.

Ulla Ellmer

Mercedes EQS:

Wann er kommt: Im Sommer 2021

Wen er ins Visier nimmt: Audi e-tron GT, Tesla Model S, Porsche Taycan

Was ihn antreibt: Permanenterregte Synchron-Elektromotoren mit 245 kW/333 PS und 385 kW/523 PS (Dual Motor)

Was er kostet: Noch nicht bekannt

Was noch folgt: AMG-Version, Maybach-Variante