Feindbild Polizei: Rechtsstaat darf Gewaltorgien nicht hinnehmen

22.6.2020, 09:50 Uhr
"Create don't destroy" (Erschaffe, zerstöre nicht): Dieser Spruch steht auf Holzplatten, die eine in der Gewaltnacht zerstörte Scheibe in der Stuttgarter Innenstadt abdecken.

© Marijan Murat, dpa "Create don't destroy" (Erschaffe, zerstöre nicht): Dieser Spruch steht auf Holzplatten, die eine in der Gewaltnacht zerstörte Scheibe in der Stuttgarter Innenstadt abdecken.

Solche Bilder kannten wir bisher allenfalls aus Berlin-Kreuzberg oder von den Krawallen beim G-20-Gipfel in Hamburg vor zwei Jahren: Eskalierende, exzessive Gewalt gegen Polizisten, Plündereien, Zerstörungen - in Stuttgart, der sonst eher beschaulichen Hauptstadt Baden-Württembergs, herrschte in der Nacht zum Sonntag Ausnahmezustand.

Nach einer Drogen-Kontrolle durch die Polizei solidarisierten sich, so die Ermittler, etliche hundert Jugendliche mit dem 17-jährigen Verdächtigen. Und die Nacht der Gewalt begann, mit unerträglichen Szenen: Ein Jugendlicher nimmt Anlauf und springt einem Polizisten mit beiden Beinen in den Rücken - solche Videos verbreiteten sich in Windeseile quer durch die Republik.


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Genau das, da liegt Stuttgarts grüner OB Fritz Kuhn richtig, wollen etliche der Täter: mit solchen Bildern in den (so genannten) sozialen Netzwerken für "Likes" und Beachtung sorgen. Sie treffen damit auf eine unfassbare Stimmungslage bei zu vielen Jugendlichen: Für sie ist "die Polizei" das Feindbild. Befeuert wird das durch eine sichtbare Enthemmung auch bei vermeintlich ganz normalen Bürgern: Zu oft ist zu erleben, wie Polizisten oder auch Feuerwehrmänner oder Helfer bei Einsätzen behindert, attackiert und beleidigt werden.

Das ist nicht hinnehmbar. Und die Gewaltnacht von Stuttgart muss Folgen haben. Die so genannte "Partyszene" (eine seltsame Art des Feierns) war der Polizei durchaus bekannt. Sie muss offensichtlich stärker in den Blick genommen werden. Und da wird es dann sehr kompliziert. Denn nicht nur Tübingens OB Boris Palmer, stets für sehr offene Worte bekannt, stellte nun fest, dass auf Fotos von der Stuttgarter Nacht sehr viele junge Migranten zu sehen sind - manche davon offenbar mit deutschem Pass.

Was treibt diese Szene an? Dass der Rap, den viele von ihren hören, Spuren hinterlässt, muss man annehmen. Da strotzt es nur so von Hass gegen "die" Polizei und auch den Staat, den sie schützt. Vor ein paar Tagen erschien in der linksalternativen Berliner "tageszeitung" ein Artikel, dessen Abdruck besser verhindert worden wäre - zu Recht entschuldigte sich die Chefredakteurin inzwischen dafür. In dem Text hieß es, Polizisten könnten nach einer eventuellen Abschaffung der Polizei unter "ihresgleichen" auf der Mülldeponie arbeiten. Der geeignete Platz für die "über 250.000 Menschen, die dann keine Jobs mehr haben", sei dort, "wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."

Sollte das Satire gewesen sein, so ging es vollends in die Hose - der Artikel war eine Verletzung der Menschenwürde. Wer sich an den Aufschrei erinnert, der mit Recht durchs Land ging, als der damalige AfD-Chef Gauland davon schwadronierte, die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz in Anatolien "zu entsorgen", der muss auf so einen hasserfüllten Text ähnlich empört reagieren.

Vorurteile und Feindbilder schaukeln sich hoch

Wir sehen eine schwierige Gemengelage: Eine Polizei, die sich sicherlich zu Recht und ebenso wie andere Berufs- und Gesellschaftsgruppen dem (keineswegs pauschal erhobenen) Rassismus-Vorwurf stellen muss - Rassismus, den es bei einigen wenigen, keineswegs bei allen Beamten gibt. Beamte, die in aller Regel gewissenhaft und geduldig einen schwierigen Job ausüben - und dafür von manchen zum Fußabstreifer gemacht werden. Und eine Polizei, die es zu tun hat mit den Schattenseiten der Gesellschaft - und die nun, nicht nur in Stuttgart, erlebt, dass es zu oft jugendliche Migranten sind, die sich über Regeln und Gesetze hinwegsetzen. So schaukeln sich Vorurteile und auch Feindbilder hoch - und genau das wollen etliche der jugendlichen Täter.


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Sie müssen die Härte des Rechtsstaats spüren, sie dürfen nicht erleben, dass dieser Rechtsstaat ihre Taten ungestraft durchgehen lässt. Denn genau dann verachten sie diesen Rechtsstaat noch mehr - einen Rechtsstaat, der in ihren Augen nur zuschaut, wenn seine Regeln gezielt und provokant verletzt werden. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Er darf es sich keinesfalls entreißen lassen, sonst droht eine gefährliche Eskalation.


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