Teamgeist trotz Überstunden-Bergen: Krankenhäuser ziehen erste Corona-Bilanz

2.9.2020, 06:00 Uhr
Teamgeist trotz Überstunden-Bergen: Krankenhäuser ziehen erste Corona-Bilanz

© Foto: Peter Kneffel/dpa

Irgendwann in den Osterferien war die Stimmung in der Intensivstation des Nürnberger Nordklinikums auf einem Tiefpunkt. Trotz aller Bemühungen waren innerhalb von drei Tagen fünf Covid-19- Patienten verstorben. "Die jüngste war erst 38 Jahre alt", erinnert sich Professor Joachim Ficker, der Ärztliche Leiter der Pneumologie, an diese extrem belastende Phase, in der auch die Infektionszahlen in Bayern auf ihrem bisherigen Höhepunkt lagen.

Schon Anfang Januar, als die Corona-Pandemie Deutschland noch gar nicht erreicht hatte, hatten Ficker und sein Team die ersten Vorbereitungen für exakt so ein Szenario getroffen, doch gegen die damit verbundene seelische Belastung kann man sich nur schlecht wappnen. "Man kennt manche dieser Patienten ja seit vielen Wochen", erklärt der Nürnberger Mediziner. Wenn man dann den Kampf um deren Leben verliere, dann gehe das schon zu Herzen.


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Vor einem halben Jahr ist Sars-COV-2 in Nordbayern angekommen und hat die medizinische Infrastruktur in der Metropolregion einem außerordentlichen Belastungstest ausgesetzt. Circa 350 Covid-19-Patienten wurden zum Beispiel bisher im Nordklinikum stationär und ambulant behandelt, darunter relativ viele Corona-Opfer mit einem sehr schweren Krankheitsverlauf. Ein Stockwerk über der Intensivstation wurde deshalb "aus dem Nichts", wie Joachim Ficker erzählt, eine zweite Intensivstation aufgebaut.

Sieben stationäre Patienten

Die ist zurzeit zwar nicht in Betrieb, kann jedoch jederzeit wieder hochgefahren werden, sollte die Zahl der schweren Covid-19-Fälle nochmal deutlich steigen. Aktuell ist die Situation jedoch relativ entspannt: Sieben Corona-Patienten liegen derzeit im Nordklinikum, drei davon müssen künstlich beatmet werden.


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Im Universitätsklinikum Erlangen ist die Zahl der stationär zu behandelnden Covid-19-Opfer ebenfalls stark nach unten gegangen. Ende April lagen zeitweise bis zu 30 Patienten auf der Intensivstation oder in Isolationszimmern auf Allgemeinstationen. Aktuell sind es zwei.

Was aber nach wie vor an die Hochphase des Infektionsgeschehens erinnert, ist die gewaltige Zahl von Überstunden, den das Personal in den vergangenen Monaten aufgebaut hat. Zwar wurde zeitweise von kleineren Einrichtungen Ärzte und Pflegekräfte für die großen Krankenhäuser mit der höchsten Versorgungsstufe abgezogen, doch das glich den extremen Personalaufwand für die Behandlung mancher Patienten nicht aus. So wurde in Erlangen ein Covid-19-Opfer laut Klinik-Sprecher Johannes Eissing 54 Tage lang künstlich beatmet und überlebte dann auch.

Auch im Gesundheitsamt Nürnberg hat der Überstunden-Berg rekordverdächtige Höhen erreicht. Bis jetzt mussten sich die Mitarbeiter von Amtsleiterin Katja Günther mit über 1500 nachweislich Infizierten und über 6500 identifizierten Kontaktpersonen befassen, und jede infizierte Personen macht eine Vielzahl von Verwaltungsvorgängen, Untersuchungen und Telefonaten nötig. Das geht von der Eingabe des positiven Laborbefundes und der persönlichen Daten des Infizierten in eine Datenbank über tägliche Anrufe und die Organisation von regelmäßigen Abstrichen bis zur Entlassung aus der Quarantäne durch Fachpersonal.

Personal "ausgeliehen"

Die Folge: "Bisher wurden überschlagsmäßig vier Wochen Mehrarbeitsstunden pro Mitarbeiter aufgebaut", berichtet Günther. Und das trotz einiger personeller Verstärkungen wie etwa zehn Mitarbeitern vom Bildungszentrum, die vorübergehend ans Gesundheitsamt "ausgeliehen" wurden.

Aktuell laufen weitere Verhandlungen mit dem Personalamt, denn im Gegensatz zu den Kliniken, wo inzwischen wieder ein relativ normaler Alltagsbetrieb herrscht, ist der verwaltungstechnische Arbeitsaufwand zur Bewältigung der Coronakrise immer noch extrem hoch. "Die derzeitigen infizierten Reiserückkehrer mit leichteren Krankheitsverläufen sind ja kein Problem der Krankenhäuser", erklärt die Chefin des Nürnberger Gesundheitsamtes. Ihre persönlichen zusätzlichen Arbeitsstunden zählt Günther "nicht wirklich".


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Ähnlich ist die Lage im Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen, wo derzeit mehrere Hundert Beschäftigte mit der Corona-Pandemie in Bayern befasst sind. Unter anderem werden zahlreiche studentische Hilfskräfte eingesetzt, um die Unmengen von täglich eingehenden Daten zu verarbeiten. Dazu kamen laut LGL-Sprecher Aleksander Szumilas mehrere Tausend schriftliche Bürgeranfragen seit Beginn der Pandemie. "Außerdem fallen bei der Bürger-Hotline an bestimmten Tagen mehrere Tausend Anrufe an", berichtet Szumilas.

Gerade in den kritischen Phasen sei der Zusammenhalt der Mitarbeiter jedoch besonders groß gewesen, berichtet Katja Günther, während Joachim Ficker von der "zupackenden Grundstimmung" im Nordklinikum schwärmt. Das Personal habe sich weit über das normale Maß hinaus engagiert, lobt der Mediziner. Für ihn selbst war es "eine der spannendsten Phasen meines 30-jährigen Berufslebens".

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